Treichls teuerster und riskantester Deal

Banken: Ihre Einsätze bitte

Erste Bank kauft die ru-mänische Großbank BCR

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Große Taten rechtfertigen große Worte. Also durften sie an diesem nasskalten Dezembertag in Bukarest miteinander um die Wette formulieren: der Staatspräsident, der Premierminister und natürlich der Gast aus Österreich.

Am Abend des 20. Dezember 2005 setzten Vertreter der rumänischen Privatisierungsagentur AVAS den Schlusspunkt unter einen Prozess, der alle Beteiligten monatelang in Atem gehalten hatte: den mehrheitlichen Verkauf der größten Bank des Landes, Banca Comerciala Romania SA, kurz BCR (korrekt ausgesprochen: Bätschärä).

Von den ursprünglich neun Interessenten, darunter Institute wie die Deutsche Bank, die italienische IntesaBCI, die belgische KBC, die französische BNP Paribas und die portugiesische Millennium BCP blieb am Ende einer über: die Wiener Erste Bank.

Das von Generaldirektor Andreas Treichl geführte Institut hat am Dienstag vorvergangener Woche den Zuschlag zur Übernahme von 61,88 Prozent der BCR erhalten – zum Preis von 3,751 Milliarden Euro.

Was Staatspräsident Traian Basescu noch am gleichen Tag ins Schwärmen brachte: Der Privatisierungsprozess, so der Präsident, sei eine „Lektion in Transparenz“ und brächte Rumänien der EU „ein gutes Stück näher“. Premierminister Calin Popescu-Tariceanu jubilierte über das „schönste Weihnachtsgeschenk“; und Andreas Treichl sprach überhaupt nur von einem „großen Tag für mein Haus“, einem „großen Tag für Österreich“ und einem „sehr guten Tag für Rumänien“.

Kein Schnäppchen. Ein überraschender Tag war es allemal. Bis zuletzt hatte eher kaum jemand damit gerechnet, dass für die Mehrheit an der BCR ein Preis nahe der vier Milliarden Euro zu bezahlen sein würde. Die nicht eben am Hungertuch nagende Deutsche Bank etwa war dem Vernehmen nach allenfalls bereit gewesen, 2,2 Milliarden Euro hinzulegen; die nach der erfolgreichen Expansion des Lokalrivalen UniCredit im Heimmarkt Italien unter Druck geratene IntesaBCI kaum mehr.

Obwohl die tatsächliche Höhe der Offerts bis heute geheim gehalten wird, dürfte der BCR-Verkauf ein regelrechtes Fotofinish gezeitigt haben. Der im Finale unterlegene Investor Millennium BCP aus Portugal soll in der Auktion lediglich 500.000 Euro weniger geboten haben als die Erste Bank. Ein bemerkenswert kleiner Abstand bei einem Deal dieser Größenordnung. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir es wirklich nur um Haaresbreite geschafft haben“, sagt ein involvierter Erste-Berater. Andreas Treichl belässt es beim süffisanten Hinweis, er habe die „teuerste Unterschrift seines Lebens geleistet“.

Niemals zuvor wurde für ein Bankhaus in Osteuropa eine derart hohe Summe bezahlt. In absoluten Zahlen nicht und schon gar nicht in Relation zum jeweiligen Substanzwert. Im Vorfeld der Privatisierung hatte die von der rumänischen Regierung beauftragte Investmentbank Merrill Lynch den so genannten Buchwert, dieser entspricht im Wesentlichen dem bilanziellen Substanzwert eines Unternehmens, mit exakt 1,037 Milliarden Euro festgesetzt.

Da Banken im zivilisierten Teil der Welt heute ausnahmslos in auktionsähnlichen Verfahren privatisiert werden, kommt der Buchwert einer Art Ausrufungspreis gleich.

Als vor bald zehn Jahren die ersten Kreditinstitute in Zentral- und Osteuropa privatisiert wurden, bewegten sich die tatsächlichen Verkaufspreise irgendwo zwischen dem Eineinhalbfachen und dem Doppelten des jeweiligen Buchwertes (siehe Kasten: „Wer bietet mehr“, Seite 40). Die Auswahl der zur Disposition stehenden Bankhäuser war groß, die Märkte wenig bis gar nicht entwickelt, und obendrein wusste niemand so recht, ob die hoch gesteckten Erwartungen auch tatsächlich halten würden. Bank Austria Creditanstalt, Erste Bank, die Raiffeisen-Gruppe und in kleinerem Rahmen auch Bawag-P.S.K., Hypo Alpe-Adria-Bank und Volksbanken haben das Potenzial frühzeitig erkannt – und schöpfen inzwischen bis zu 70 Prozent ihrer Erträge zwischen Budapest, Bratislava, Warschau und Sarajewo. Tendenz steigend. Das hat nach und nach auch französische, belgische, italienische und amerikanische Institute auf den Plan gerufen. Und weil die Zahl der zu privatisierenden Ostbanken immer kleiner wurde, das Interesse westlicher Investoren aber immer größer, stiegen folglich auch die erzielten Verkaufspreise.

Die Preistreiber. Bei der mehrheitlichen Übernahme der tschechischen Großsparkasse Ceska Sporitelna betrug der von der Erste Bank im Jahr 2000 zu bezahlende „Multiple“ – im Fachjargon der Aufschlag auf den Buchwert, der dann den Kaufpreis ergibt – bloß 1,5; der Einstieg bei der slowakischen Sparkasse Slovenska Sporitelna 2001 schlug mit dem Faktor 1,79 zu Buche. Bei der ungarischen Postabank 2003 war es schon das 2,7-Fache, bei der serbischen Novosadska Banka Mitte 2005 gar das 3,3-Fache des Buchwerts. Den aus österreichischer Sicht bis Dezember vergangenen Jahres höchsten Aufschlag musste mit 3,7 erst jüngst die Raiffeisen-International-Gruppe für die ukrainische Bank Aval bezahlen. „Die Zeiten, in denen man Banken um den 1,5-fachen Buchwert kaufen konnte, sind leider lange vorbei“, sagt Erste-Chef Treichl.

Nach dem BCR-Deal freilich müssen die Gesetze der Branche neu geschrieben werden. Die Erste Bank lässt sich ihr Engagement, gemessen an den BCR-Zahlen 2005, nämlich das 5,8-Fache des Buchwerts kosten – oder eben 3,75 Milliarden Euro, exakt 61,88 Prozent der Bank.

Hochgerechnet auf 100 Prozent der BCR-Anteile hat die rumänische Großbank damit jetzt einen Marktwert von annähernd sechs Milliarden Euro, in alter Währung rund 90 Milliarden Schilling.

Um dieses Geld hätte Andreas Treichl vor wenigen Jahren noch die damalige Bank Austria einschließlich der Creditanstalt kaufen können – und die Postsparkasse gleich dazu. Oder anders ausgedrückt: Der rechnerische Wert der BCR von sechs Milliarden Euro beträgt etwas mehr als die Hälfte der um ein Vielfaches größeren Erste Bank. Gemessen am Börsekurs wird das Wiener Institut am Kapitalmarkt derzeit mit annähernd zwölf Milliarden Euro bewertet. Treichl lässt derartige Vergleiche freilich nur bedingt gelten: „Als wir im Februar 2000 die Ceska Sporitelna in Tschechien gekauft haben, hatte die Erste Bank eine Marktkapitalisierung von 1,8 Milliarden Euro und die Ceska Sporitelna war eine Milliarde wert. Ich denke, wir haben in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen, wie man aus vermeintlichen teuren Übernahmen nachhaltige Ertragsquellen machen kann.“
Punkt für ihn.

Tatsächlich ist es der Erste Bank gelungen, aus der einst brustschwachen tschechischen Sparkasse Ceska Sporitelna (CS) ein florierendes Unternehmen zu machen. Als die Wiener im Jahr 2000 einstiegen, beschäftigte die Bank in annähernd 1000 Filialen rund 15.000 Mitarbeiter, hatte eine Bilanzsumme von 13 Milliarden Euro und schrieb tiefrote Zahlen. Heute sind es 10.000 Mitarbeiter in 650 Filialen, 23 Milliarden Euro Bilanzsumme und tiefschwarze Zahlen (Jahresüberschuss 2004: 314 Millionen Euro).

Ähnliches gelang Treichl und seiner Mannschaft auch beim bis vor Kurzem zweitgrößten Deal seines Instituts, der Übernahme der slowakischen Sparkasse Slovenska Sporitelna.

Nur: Keines der Häuser war auch nur annähernd so teuer wie die rumänische BCR. Mehr noch: Seit dem Jahr 2000 hat die Erste Bank fünf Banken in Osteuropa (Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Serbien und Montenegro) erworben und dafür insgesamt 2,5 Milliarden Euro ausgegeben.

Und jetzt also 3,75 Milliarden für eine einzelne Bank, deren Bilanzsumme von zuletzt 7,7 Milliarden Euro etwa so groß ist wie jene der selbst für österreichische Verhältnisse nicht gerade bedeutsamen Sparkasse Linz.

„Dass der Deal nicht gerade billig war, darüber brauchen wir nicht zu reden“, gesteht Treichl zu. „Aber ich darf Ihnen versichern, dass ich vom Aufsichtsrat das Pouvoir hatte, noch über die 3,75 Milliarden zu gehen.“ Gerüchte, wonach sich im Aufsichtsrat der Bank eingedenk des hohen Preises Widerstände geregt hätten, seien „absoluter Blödsinn“. Erste-Bank-Aufsichtsratsmitglied Wilhelm Rasinger dazu: „Ich kann Ihnen versichern, dass der Aufsichtsrat unter sorgfältiger Prüfung aller relevanten Punkte zugunsten des Deals entschieden hat. Sonst wären uns bei der nächsten Hauptversammlung ja die Kleinanleger an die Gurgel gegangen.“ Rasinger muss das wissen. Er vertritt im Kontrollgremium schließlich die Interessen eben jener privaten Kleinaktionäre.

Volle Hosen. Wahr ist, dass sich die Risiken der BCR-Beteiligung gegenüber früheren Engagements in Grenzen halten. „Die BCR hat letztes Jahr 200 Millionen Euro netto nach Steuern verdient, ich würde das nicht als Sanierungsfall bezeichnen“, meint Andreas Treichl. Man sei jetzt – nach Polen – führend vertreten im zweitgrößten Markt der Region, der überdies noch enormes Entwicklungspotenzial habe.

Ein Vorstandskollege Treichls beurteilt den Deal freilich etwas weniger euphorisch. „Die Frage war nicht, ob wir in Rumänien einsteigen, sondern zu welchem Preis. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ein paar Leute hier im Hause die Hosen gestrichen voll haben. Wir sind dort zum Erfolg verdammt.“

Die leise Ironie: Die Erste Bank hatte kaum eine andere Wahl, als in Rumänien zuzuschlagen – auch wenn der Preis jetzt an die Nieren geht. Längst ist das Haus seinem biederen Vorläuferinstitut im Zeichen der Biene entwachsen, längst gilt die Erste Bank auf den prosperierenden Märkten Zentral- und Osteuropas als ernst zu nehmender Mitbewerber. Treichl selbst wurde nie müde, die Bank im Allgemeinen und deren Aktie im Besonderen mit dem Begriff „Wachstum“ zu verknüpfen. Solange in Osteuropa Banken zu haben waren, konnte die Erste dem eigenen Anspruch umstandslos gerecht werden.

Mit der Öffnung der wirklich großen Märkte Polen und Rumänien und dem Auftritt potenter internationaler Investoren ist dies freilich immer schwieriger geworden. In Polen ist die Erste überhaupt nicht vertreten. Als dort die großen Bankendeals über die Bühne gingen, war die Erste dafür noch nicht gerüstet. Und hätte es in Rumänien mit der BCR nicht geklappt, hätte das dem eigenen Aktienkurs auf Dauer vermutlich nicht gut getan.

Noch heuer soll zwar die Bukarester Sparkasse CEC unter den Hammer kommen – diese spielt allerdings gegenüber der BCR eine vergleichsweise untergeordnete Rolle und wird, was den Buchwertmultiplikator betrifft, möglicherweise nicht viel billiger sein.

Die Analysten der international tätigen Investmentbank Goldman Sachs sprachen dazu bereits im September 2005 eine relativ deutliche Warnung aus: „Die Erste Bank ist zwar in kleineren osteuropäischen Staaten der Region gut aufgestellt, nicht aber in den beiden bevölkerungsreichsten Ländern Polen und Rumänien. In Polen ist der Zug abgefahren, in Rumänien sollte das nicht passieren.“

Verschnupfte Rivalen. Es ist nicht passiert – und die Anleger scheinen es zu goutieren. Der Kurs der Erste-Aktie ist nach dem 20. Dezember auf ein neues Rekordhoch geklettert, das Papier hat 2005 damit gut ein Viertel dazugewonnen.

So restlos happy dürfen indes nicht alle sein. Herbert Stepic, Generaldirektor der börsenotierten Raiffeisen International und ob seines Expansionseifers vom Wirtschaftsmagazin „trend“ für 2005 mit dem Titel „Mann des Jahres“ geadelt, soll sich jüngst im kleinen Kreis darüber beschwert haben, dass Treichl mit dem BCR-Deal die Preise in Osteuropa hinaufgetrieben habe. Raiffeisen International gilt derzeit als aussichtsreicher Kandidat für eine Übernahme der Bukarester CEC.

Andreas Treichl lässt derlei ziemlich unbeeindruckt: „Man sollte sich nur das kaufen, was man sich auch leisten kann.“

Von Michael Nikbakhsh