„Eine grenzwertige Debatte“

Bank Austria-Chef Cernko rückt von Bankgeheimnis ab

Interview. Bank-Austria-Chef Willibald Cernko begrüßt die Abschaffung des Bankgeheimnisses

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Interview: Ulla Kramar-Schmid, Michael Nikbakhsh

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Herr Cernko, im März 2011 sagten Sie in einem profil-Interview: „Das Bankgeheimnis weiter aufzuweichen, um dann Behörden auf Verdacht in alle Konten reinschnüffeln zu lassen, ist vollkommen inakzeptabel.“ Nun wird genau das passieren, wobei noch nicht restlos klar scheint, ob das Bankgeheimnis letztlich nur für Ausländer aufgehoben wird oder überhaupt für jeden Bankkunden. Wie stehen Sie heute dazu?
Cernko: Das gilt auch weiter unverändert. Denn es muss klare Spielregeln geben, wer wann und unter welchen Voraussetzungen in ein Konto Einsicht nehmen darf. Denn das Bankgeheimnis war nie dazu da, Steuersünder oder Straftäter zu schützen, sondern die Privatsphäre. Privatheit ist ein sehr subjektives Bedürfnis, das nehme ich sehr ernst. Man könnte genauso gut hergehen und das Briefgeheimnis abschaffen.

profil: Der Vergleich hinkt.
Cernko: Aber das subjektive Bedürfnis nach Privatheit gibt es. Es stellen sich die Fragen: Wie weit darf Privatheit gehen? Wer wird in Zukunft welche Informationen abrufen können und wie? Ich hätte mir gewünscht, dass wir genau diese Fragen vorab klären, und auch die Frage wie wir uns als Finanzplatz international positionieren wollen, ehe wir uns in Österreich auf diese grenzwertige Debatte einlassen.

profil: Gerade in Geldfragen herrscht seit der Abschaffung der anonymen Konten keine Privatheit mehr. Die Finanz weiß doch ohnehin, wer wie viel verdient – sofern man keine Steuern hinterzieht.
Cernko: Ich rede vom subjektiven Gefühl von Privatheit. Das ist bei jedem anders, ein sehr persönlicher Zugang.

profil: Gesetze können nun einmal nicht auf die Gemütslage des Einzelnen abstellen. Tatsache ist, dass das Bankgeheimnis Steuerhinterziehern entgegenkommt. So gesehen könnte man die Banken auch als Beitragstäter qualifizieren.
Cernko: Aber Gesetze spiegeln die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung wider und sind daher zu respektieren. Darüber hinaus weise ich den Vorwurf der Beitragstäterschaft zurück. Wir bewegen uns auf absolut legalem Boden. Wenn wir Beratungsleistungen anbieten, geht es um Steueroptimierung und nicht um Steuerhinterziehung.

profil: Was verstehen Sie unter Steueroptimierung?
Cernko: Möglichkeiten auszuschöpfen, die der Gesetzgeber einräumt und die ein auf europäischer Ebene nicht harmonisiertes Steuersystem anbietet. Das ist ein Versäumnis der Politik. Wenn jemand ein Unternehmen in Irland gründet, zahlt es 12,5 Prozent Körperschaftssteuer, in der Slowakei 19 Prozent, anderswo 25 Prozent. Es muss doch jedem offen stehen zu sagen: Ich gehe dort oder dort hin, weil ich langfristig Vorteile habe. Das ist nichts Illegales, man nutzt ein Angebot. Es ist auch das Recht jedes Kunden, sein Geld in unterschiedlichen Ländern bei verschiedenen Banken anzulegen, um kein systemisches Risiko einzugehen. Am Rande bemerkt: Die Berufsgruppe der Steuerberater, lebt davon, Optimierungen vorzunehmen. Und da müssen wir schon höllisch aufpassen, dass nicht alles kriminalisiert wird.

profil: Sie wissen, dass auf österreichischen Konten nicht nur sauberes Geld liegt.
Cernko: Wir sind nicht dazu angehalten zu überprüfen, ob jemand sein Geld korrekt deklariert hat. Was wir sehr wohl tun: Bei Verdacht auf Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung erstatten wir Meldung an das Innenministerium.

profil: Bei Geldwäsche und Terrorismus gilt das subjektive Bedürfnis nach Privatheit nicht, bei Steuerhinterziehung aber schon?
Cernko: Gegenfrage: Wie soll ich als Bank nachvollziehen, ob jemand Steuern hinterzogen hat?

profil: Aber das verlangt ja niemand von Ihnen. Es geht nur um die Frage, ob der Finanz Zugriff auf Konten ermöglicht werden soll, ohne richterlichen Beschluss, der wiederum ein eingeleitetes Strafverfahren voraussetzt, das wiederum einen begründeten Verdacht voraussetzt.
Cernko: Genau das ist die von der Politik bisher unbeantwortete Kernfrage: Wer soll in Zukunft unter welchen Umständen auf Kontodaten zugreifen können?

profil: Wie interpretieren Sie denn die Verhandlungslinie der Regierung gegenüber der EU-Kommission?
Cernko: Ich bin verwirrt nach den Ereignissen der vergangenen Wochen. Ich habe es als unglücklich empfunden, dass wir uns rasch in Schwarz-Weiß-Kategorien bewegt haben: da das Sparbuch der Oma, dort die Steueroase. Das bringt uns nicht weiter. Jeder Bankkunde hat das Recht zu wissen, wer unter welchen Voraussetzungen welche Informationen bekommt. Datenschutz ist in Österreich wichtig und hochsensibel. Und beim Bankgeheimnis soll das plötzlich nicht mehr gelten?

profil: Alle europäischen Modelle zeigen, dass ein Datenaustausch nur zwischen Banken und Behörden stattfindet. Das wird wohl auch in Österreich so sein. Warum tun jetzt alle Banker im Lande so, als würde das Ende des Bankgeheimnisses dazu führen, dass jeder jederzeit alles über jeden erfahren könnte?
Cernko: Das sage ich nicht. Ich bin der Letzte, der das jetzige System verteidigt, weil ich es für den Finanzplatz Österreich für nicht sehr gut halte.

profil: Sie plädieren also doch für die Abschaffung des Bankgeheimnisses?
Cernko: In der heutigen Form: ja. Aber Vorbedingung ist, dass es klare Spielregeln gibt, welche Behörde unter welchen Bedingungen auf Bankdaten zugreifen darf. Dann hielte ich auch eine richterliche Anordnung für nicht notwendig.

profil: Warum haben Sie das nicht gleich eingangs gesagt?
Cernko: Weil es einer Erklärung bedurfte. Die Debatte um das Bankgeheimnis hat chaotisch begonnen, weil die Politik und die Finanzwirtschaft sich nicht rechtzeitig damit beschäftigt haben. Wir kennen dieses Thema. Wir wissen, dass es auf der Agenda steht, seit es die Wünsche der US-Behörden gibt, wie man mit Kontodaten von US-Bürgern umzugehen hat. Spätestens dann hätten Politik und Banken mit der Debatte beginnen müssen.

profil: Die Bank Austria wirbt bei internationalen Privatkunden immer noch ziemlich offensiv mit dem Bankgeheimnis. Auf der Homepage werden Devisenausländer wie folgt adressiert: „Dieser Status bietet den Vorteil, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Zinsen aus Geldanlagen, Festgeldern und Rentenwerten von der österreichischen Kapitalertragsteuer befreit sind.“ Und gleich im nächsten Satz heißt es: „Das österreichische Bankgeheimnis zählt zu den strengsten der Welt.“
Cernko: Ein Schelm ist, wer Arges dabei denkt.

profil: Da steht nichts anderes als: In Österreich können Sie Steuern sparen, und erfahren wird das niemand – es gilt das Bankgeheimnis.
Cernko: Das ist Ihre Interpretation.

profil: Das steht ja nicht zufällig so dort.
Cernko: Natürlich, das reflektiert die heimische Gesetzeslage. Aber ich gebe Ihnen Recht, dass wir langsam ans Reinemachen gehen müssen. Mit kosmetischen Eingriffen allein werden wir die für den Finanzplatz Österreich schädliche Debatte um das Bankgeheimnis nicht beenden können.

profil: Zypern ist ein bereits geschädigter Finanzplatz. Die Krise der lokalen Kreditinstitute hat eine breite Debatte darüber ausgelöst, inwieweit Sparer an der Rettung von Banken beteiligt werden sollen oder müssen. Was sagen Sie dazu?
Cernko: Der Fall Zypern hat gezeigt, wie dringend wir die Bankenunion auf die Beine stellen müssen. Wenn wir uns nicht sputen, laufen wir Gefahr, anderswo bald ähnliche Fälle zu sehen. Es ist eindeutig und akzeptiert, dass wir einen einheitlichen Aufsichtsmechanismus in Europa brauchen. Das zweite Thema: Wir brauchen eine klare Antwort auf die Frage, wie man das Schicksal von Banken von jenem der Länder trennt und umgekehrt. Hier geht es nicht nur um frühzeitiges Eingreifen, hier geht es auch um den Prozess der Reorganisation und der Abwicklung. Da gibt es die Vorstellung eines „Resolution Fonds“, der von den Banken gespeist wird. Das wäre eine wichtige Finanzierungsquelle, um das volkswirtschaftlich relevante Einlagen- und Kreditgeschäft mit Privaten und Unternehmen gegebenenfalls zu rekapitalisieren. Und dann blieben noch die Teile einer Bank, die niemand haben will. Hier sollten auch die Aktionäre und die unbesicherten Gläubiger eingebunden werden.

profil: Sparer sind unbesicherte Gläubiger, auch wenn das nur den wenigsten bewusst zu sein scheint.
Cernko: Daher braucht es in letzter Konsequenz auch eine einheitliche Einlagensicherungsarchitektur, in der die nationalen Einlagensicherungen nach europäischen Regeln aufgesetzt sind.

profil: Interessanter Vorschlag. Wir haben allein in Österreich fünf Einlagensicherungssysteme, für jeden Sektor eines.
Cernko: Ich finde es geradezu lachhaft, dass wir von einer europäischen Lösung reden, wo wir nicht einmal in der Lage sind, eine einheitliche österreichische Einlagensicherung auf die Beine zu stellen.

profil: Auf dem Papier sind Einlagen von Privaten bis zu 100.000 Euro abgesichert, das schützt aber nur die Kunden kleiner Banken. Die Bank Austria ist Teil der Einlagensicherung der Sparkassen. Wenn Ihr Haus ins Schleudern geriete, müsste der Sektor rund um die Erste Bank Ihre Kunden entschädigen. Das ginge sich niemals aus.
Cernko: Es müsste gar nicht die Bank Austria sein. Schon der Kollaps einer mittelgroßen Bank würde die jeweilige Sektorhaftung zerschießen. Am Ende müsste sowieso der Staat einspringen, als „lender of last resort“ (Kreditgeber letzter Instanz, Anm.). Ich musste allerdings feststellen, dass meine diesbezüglichen Diskussionsbeiträge von den Kollegen anderer Banken nicht sehr geschätzt werden.

profil: Tatsächlich wurde bisher auch noch keine sektorale Einrichtung gesprengt.
Cernko: Hypo Alpe-Adria!

profil: Die ist nicht pleite gegangen.
Cernko: Nein, da ist ja auch der lender of last resort eingesprungen. Aber genau das darf keine Dauereinrichtung sein. Wenn das Konzept der Bankenunion zügig aufgebaut und nicht wieder der Tagespolitik geopfert wird, würde es in Zukunft zwei große Schutzwälle geben, bevor die Einlagensicherung überhaupt zum Tragen kommt. Erstens: die gemeinsame, strengere EU-Aufsicht. Zweitens: klare Regeln, wie man Not leidende Institute aus dem Verkehr zieht, also unerwünschte Teile auf Kosten der Eigentümer liquidiert und die volkswirtschaftlich erwünschten Teile, das Kredit- und Einlagengeschäft, überlebensfähig hält, also restrukturiert. Wenn das gelingt, fällt bei der Einlagensicherung – wenn überhaupt – nur ein kleiner Teil an. Und dort sollte es meiner Vorstellung nach ein Bonus-Malus-System geben. Die europäischen Banksektoren dotieren einen Fonds. Wenn Geld herausgenommen werden muss, um Not leidenden Banken zu helfen, dann müssen die Sektoren, die das Geld beanspruchen, anschließend höhere Prämien nachzahlen. Wer also öfter in die Kasse greift, muss mehr einzahlen, wie bei einer Autoversicherung. So simpel ist das.


Willibald Cernko, 56,

ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender der UniCredit Bank Austria AG. Er begann seine Karriere Mitte der Achtziger Jahre im Raiffeisensektor, ehe zur Creditanstalt wechselte, eine der Vorgängerbanken der Bank Austria. 2000 rückte er ebenda in die zweite Führungsebene auf, 2003 zog er in den Vorstand – zuständig für Firmen- und Privatkunden – ein. Der gebürtige Steirer musste sich schon als Kind durchbeißen. Als er elf war, starb sein Vater und hinterließ die Mutter, eine Hausfrau, mit fünf Kindern. Cernko brach die AHS ab und ging arbeiten. Später holte er die HAK-Matura nach und absolvierte die Exportakademie der Wirtschaftsuniversität Wien.