Bauprojekte: Auf eigene Faust

Architekten: Bauherren, Investoren und Vermieter

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Mit Klischeevorstellungen über Architekten mag Martin Lesjak nicht in Verbindung gebracht werden. „Das traditionelle Bild vom ständig kämpfenden Architekten haben wir weit hinter uns gelassen“, sagt der Partner der Grazer Architektengruppe Innocad. „Architektur, so hat man uns auf der Hochschule erklärt“, präzisiert Lesjak, „sei ein ständiger Konflikt mit Auftraggebern und ausführenden Unternehmen, die einem die eigenen Qualitätsvorstellungen zurechtstutzen wollen.“

Lesjak streicht mit der Hand über die Oberfläche des neuen Konferenztischs. Auch hier finden manchmal Kämpfe statt, doch meist geht es zu wie in einem Theaterstück, bei dem die Personen ständig ihre Rollen tauschen. Lesjak ist zugleich Architekt, Bauherr und Immobilienverkäufer. Gemeinsam mit seinen Kollegen sucht er Grundstücke, entwickelt ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept, kauft den Grund, bebaut ihn und wirbt um Käufer für das fertige Gebäude.

Üblicherweise werden Architekten erst konsultiert, wenn wichtige Entscheidungen bereits getroffen sind: wenn es ein Grundstück und ein Budget für das darauf zu errichtende Gebäude gibt. Den Architekten bleibt unter diesen Gegebenheiten meist enger Spielraum, und Konflikte sind nicht selten vorprogrammiert – nicht allein deshalb, weil Architekten gelegentlich dazu neigen, mehr Geld ausgeben zu wollen, als eigentlich verfügbar ist. Das mag zwar immer wieder vorkommen, doch oft geht es um grundsätzliche Weichenstellungen: Welche Art von Wohnungen an einer bestimmten Stelle entstehen soll, ist beispielsweise eine der Fragen, über die sich Bauträger und Architekten nicht immer einig sind. Investoren tendieren oft zu bewährten Lösungen, da experimentelle Architektur, so die Befürchtung, sich schlechter oder zumindest schwieriger vermarkten lässt. Die Architekten hingegen werden nicht müde, für ihre eigenen Vorstellungen zu streiten, müssen sich aber vorhalten lassen, dass sie nicht das finanzielle Risiko zu tragen haben.

Hausmeister. Da der Markt überlaufen ist und bei offenen Wettbewerben nicht selten an die 150 Büros teilnehmen, ist die Entwicklung eigener Projekte mitunter auch eine Chance, um überhaupt ins Geschäft einzusteigen und vorzeigbare Projekte umzusetzen. Zuweilen dringen die Architekten dadurch sogar in völlig fremdes Terrain vor. So entdeckte das deutsch-kanadische Architektenpaar Britta Jürgens und Matthew Griffin ein Grundstück in einem Stadtteil von Berlin-Mitte, dessen Umfeld noch weit gehend vom Chic der Stehcafés, Galerien und Schuhgeschäfte verschont geblieben war.

Dort realisierten sie eine Mischform aus Hotel und Appartements mit acht Minilofts. Jürgens und Griffin, deren Büro deadline in den oberen Geschoßen des Objekts untergebracht ist, kümmern sich selbst um die Schlüsselübergabe und übernehmen sogar Tätigkeiten wie die Organisation des Reinigungsdienstes. Die Kunden kommen meist aus dem Kreativbereich und bleiben für Arbeitsbesuche durchschnittlich eine Woche in Berlin. Ein konventionelles Hotelzimmer mit Standardkomfort, so Griffin, sei teurer und habe nicht die Atmosphäre der Minilofts mit ihrer Raumhöhe von 3,80 Meter.

In Österreich gibt es mittlerweile zumindest vereinzelt vergleichbare Beispiele. Für die Mitglieder des Grazer Büros Innocad hat das Bauen auf eigene Gefahr auch nach vier realisierten Projekten nichts an Faszination eingebüßt. „Zuerst waren wir einfach neugierig und wollten den Bauprozess in allen Stufen kennen lernen“, berichtet Andreas Reiter, ebenfalls Partner und seit der Gründung im Jahr 1999 dabei. „Uns hat interessiert, wie Entscheidungen getroffen werden, welche Spielräume es wirklich gibt und ob es immer heißen muss: Nein, das geht nicht“, so Reiter. Rechtlich gesehen wickelt eine eigens gegründete Projektentwicklungsgesellschaft die Agenden des Bauherrn ab, und Innocad tritt in der Dienstleistungsfunktion als Architekturbüro auf.

Goldstück. Das jüngste Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn Innocad nach eigenen Vorstellungen und auf eigenes Risiko ein Gebäude entwickelt, wurde vor wenigen Monaten in Graz fertig gestellt. Das Haus wurde „Golden Nugget“ getauft und dient teilweise – im Erdgeschoß des Neubaus und auf drei Ebenen in einem sanierten Hofhaus – als Sitz des Architekturbüros. Darüber befinden sich im Neubau eine weitere Büroetage sowie drei Wohngeschoße mit vier Appartements und einem Penthouse. Andere Investoren, so Lesjak, standen bislang nicht gerade Schlange um diesen Bauplatz direkt an der Grenze zur Grazer Altstadt. „Die Lage ist zwar top“, sagt Lesjak, „aber erstens führt der Umfahrungsring direkt am Haus vorbei, und zweitens gilt das Viertel Jakomini nicht gerade als Spitzenwohnlage.“

Als sich der Vorbesitzer des Grundstücks zum Verkauf entschloss, gab es zwar einige Interessenten, aber die Architekten konnten das beste Angebot legen und bekamen den Zuschlag. „Wenn es gelingt, ein Gebäude mit starker Identität zu bauen, werden sich Käufer finden, die statt der ortsüblichen 2200 Euro pro Quadratmeter bereit sind, 2700 Euro zu zahlen“, beschreiben die Architekten ihr Kalkulationsmodell, das sich ihrer Ansicht nach als stimmig erwiesen hat. Die vier Wohnungen und das zweigeschoßige Penthouse seien jedenfalls bereits vor der Fertigstellung verkauft gewesen.

Doch es ist nicht allein die Wertsteigerung durch bessere Architektur, mit der hier kalkuliert wurde. Zudem wurde eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt, für die unter normalen Voraussetzungen wahrscheinlich Fantasie und Mut gefehlt hätten. So blieb etwa das anderthalbgeschoßige Hofgebäude erhalten. Das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert wurde entkernt und dient jetzt dem Architekturbüro als Arbeits-, Konferenz- und Rückzugsraum. Eingeklemmt zwischen einem goldglänzenden Neubau an der Grazbachstraße und dem Hofhaus ist das offene Stiegenhaus, mit dem die Architekten der Bauordnung ein Schnippchen schlagen: Wäre dieser Bauteil nicht vom Gebäude abgerückt und somit rechtlich „unsichtbar“ gemacht worden, würden auf jeder Etage rund zehn Quadratmeter fehlen – und das „Golden Nugget“ hätte sich kaum wirtschaftlich realisieren lassen.

Risiko auf Zeit. Selbst für die ökonomische Tragfähigkeit solcher Projekte verantwortlich zu sein, haben die Architekten laut eigenen Angaben bisher nicht bereut. Denn zum einen handle es sich letztlich um ein Risiko auf Zeit. Andererseits sei es schlicht reizvoll, sich bei Projekten der Größenordnung des „Golden Nugget“ um die Gesamtentwicklung zu kümmern – wobei das Ziel allerdings nicht sei, immer größere Bauvorhaben abzuwickeln. Innocad nimmt für sich eher in Anspruch, eine Marktlücke zu besetzen: „Etwa zehn Prozent aller Wohnungssuchenden, gleich ob Eigentum oder Miete, finden am Markt nicht das Richtige“, glaubt Lesjak.

Innocad sind in Österreich nicht die ersten Architekten, die zu Projektentwicklern in eigener Sache wurden, um ihre Vorstellungen realisieren zu können. Ein prominenter Vorläufer dieser Praxis war Otto Wagner, dessen wohl berühmteste Wohnbauten, die teils mit Majolikafliesen verzierten Häuser auf Höhe des Wiener Naschmarkts an der Linken Wienzeile, wohl nie entstanden wären, hätte nicht er selbst sich den Auftrag dazu erteilt. Damals war die heute übliche Trennung von Planung, Ausführung und Finanzierung aber ohnehin noch nicht gängig. Die berüchtigten Wiener Zinshäuser entstanden sogar meist ohne Architekten und wurden von Bauunternehmen errichtet, die nicht selten zugleich auch die Investoren waren.

Rollentrennung. Erst die Präzisierung des Berufsbildes des Architekten, die Anfang des 20. Jahrhunderts einsetzte, brachte eine mehr oder minder strikte Aufteilung der Rollen, welche die Beteiligten bei einem Bauvorhaben einnehmen. Und nicht zuletzt die Ächtung des Spekulantentums durch die sozial eingestellten Architekten der Moderne sorgte dafür, dass der Architekt seinem Selbstverständnis nach eine Art Anwalt wurde, der zwischen Bauherrn, Bauausführenden und öffentlichen Interessen zu vermitteln hat und selbst weder ein Bauunternehmen leiten noch aus Immobiliengeschäften profitieren soll.

Dass die ursprüngliche Tradition in Zukunft wieder vermehrt aufleben könnte, ist nicht nur auf das Engagement einzelner Büros zurückzuführen, sondern könnte auch durch neue legistische Rahmenbedingungen forciert werden: Am 19. November trat eine Neufassung des Ziviltechnikergesetzes in Kraft, welches die Leistungen definiert, die ein Architekt anbieten darf. Dabei wurde ein Passus aufgenommen, der die Umsetzung von Projekten wie dem „Golden Nugget“ erleichtert. „Bisher haben Kollegen, die auch in der Projektentwicklung tätig sein wollen, eine Bauträgerkonzession erwerben müssen“, erläutert Karl-Peter Pany, Direktor der Steirischen Architektenkammer. „Das ist durch die Neufassung nun weggefallen.“ Wie viele Architekten auf diesem Gebiet bereits aktiv sind, vermag Pany allerdings nicht einzuschätzen.

Zumindest ein weiteres Architekturbüro, ebenfalls aus Graz, hat mit seinen auf eigene Verantwortung errichteten Bauten mittlerweile einige Bekanntheit erreicht. Die Gruppe Pentaplan bekam 1996 ein Grundstück in Mariatrost angeboten, das sich nach normalen Maßstäben kaum sinnvoll bebauen ließ. Die Architekten griffen zu und realisierten 29 Wohnungen in einem Baukörper mit 28 Metern Gebäudetiefe. Der eigentliche Kunstgriff dabei sind Atrien, kleine Innenhöfe in der dritten Etage, die bei jeder Wohnung eine Südorientierung möglich machten. Ausgehend von der positiven Resonanz, entwickelt das Büro in Kooperation mit dem Netzwerk T.O.M. (Total Object Management) nun weitere eigene Immobilien, von denen ein Wohn- und Geschäftshaus am Grazer Lendplatz dieser Tage fertig wird.

Eigenregie. In wirklich großem Stil hat in Österreich allerdings bisher kein Architekt die Projektentwicklung zu seiner Domäne gemacht. Anders in den USA: In Atlanta stampfte der Architekt John Portman seit Anfang der siebziger Jahre weite Teile der brachliegenden Innenstadt neu aus dem Boden. Portman, dem in Tom Wolfes Roman „Ein ganzer Kerl“ ein literarisches Denkmal gesetzt wurde, entwickelte ein System aus mittlerweile dreizehn Baublöcken, die durch Brücken oder Tunnel miteinander verbunden sind, und finanzierte auch deren Errichtung.

Der niederländische Architekturstar Rem Koolhaas berichtete mit Faszination über die ökonomische und gestalterische Macht John Portmans, zu dessen Erfindungen auch ein neuer Typ Hochhaus zählte: einen über die gesamte Höhe von einem Atrium durchzogenen Wolkenkratzer konnte Portman dutzendfach realisieren – und verdiente derart das Geld, das er dann in seine städtebaulichen Ambitionen stecken konnte.

Von Oliver Elser