ÖGB-Debakel: Bon-zen, Banker, Bankrott

Bawag-Debakel: Bonzen, Banker & Bankrott Protokoll einer Vertuschung und der Folgen

Verluste von einer Milliarde Euro versteckt

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So schön kann die Unwahrheit klingen: Am frühen Abend des 26. April 2001 trat Helmut Elsner, Vorstandsvorsitzender der Bank für Arbeit und Wirtschaft AG, vor die Presse, um Bilanz über das abgelaufene Wirtschaftsjahr 2000 zu ziehen – wie immer ohne eine Spur von Bescheidenheit.

Nur wenige Monate zuvor hatte sein Institut die Österreichische Postsparkasse um annähernd 1,3 Milliarden Euro von der Republik Österreich übernommen und war dadurch gleichsam über Nacht zur drittgrößten Bankengruppe Österreichs avanciert. Grund genug für Elsner, wörtlich einen „Freudensprung“ beim Ergebnis zu verkünden.

So hässlich kann die Wahrheit sein, auch wenn sie mit gehöriger Verspätung herauskommt: Als Elsner von seinen famosen Erfolgen schwadronierte, war die Bawag nach einer Reihe konspirativer wie fehlgeschlagener Spekulationsgeschäfte in Übersee de facto pleite. Die P.S.K. war vom Staat also an ein Kreditinstitut verkauft worden, das am Rande der Insolvenz stand.

Schnitt. Fünf Jahre und elf Monate danach, Freitag, 24. März 2006, in der Bawag-P.S.K.-Zentrale in der Wiener Seitzergasse 2–4. Wieder wird Bilanz gezogen, diesmal von Generaldirektor Ewald Nowotny – und gänzlich ohne Freudensprünge.

Der profilierte Wirtschaftswissenschafter war erst zu Jahresbeginn als Nachfolger von Johann Zwettler engagiert worden, um die Bank nach dem Refco-Debakel und den damit verbundenen Ausfällen in Höhe von annähernd 400 Millionen Euro wieder auf Kurs zu bringen.
Und jetzt das.

Wenige Tage zuvor haben erste Gerüchte die Runde gemacht, die Bank habe schon vor Refco hochspekulative Geschäfte in der Karibik getätigt – und dabei klammheimlich eine Stange Geld verloren. „Die Bilanz ist sauber, die Bank ist sicher“, erklärte Nowotny im Beisein seines Stellvertreters Stephan Koren, „bitte halten Sie auseinander, was die Bank heute ist und was vor Jahren geschehen ist.“

Verjuxt. Die Gewerkschaftsbank Bawag, deren innovativste Produkte über Jahrzehnte das „Kapitalsparbuch“ und der „Betriebsratskredit“ gewesen waren, hat zwischen 1995 und 2000 über Offshore-Gesellschaften, teils im Ärmelkanal, teils in der Karibik, nicht weniger als 999 Millionen Euro (in alter Währung fast 14 Milliarden Schilling) verjuxt. Um überhaupt eine testierte Bilanz zustande zu bringen und die Bank vor dem Kollaps zu bewahren, sah sich der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) gezwungen, eine Ausfallshaftung abzugeben. Wäre diese schlagend geworden, hätte das den ÖGB ebenfalls in den Abgrund gerissen.

Von dieser apokalyptischen Situation war, wie erst jetzt bekannt wird, neben dem Management der Bank lediglich ein kleiner, eingeschworener Zirkel im Gewerkschaftsbund informiert. Die meisten Aufsichtsräte des Instituts, die Vertreter des damaligen Mitaktionärs Bayerische Landesbank, Mitarbeiter der Bawag, die Kunden und die 1,4 Millionen Mitglieder des ÖGB wurden zu keinem Zeitpunkt darüber in Kenntnis gesetzt. Günter Weninger, Vizepräsident des Gewerkschaftsbundes und Aufsichtsratschef der Bawag, entschloss sich vielmehr zu einem folgenreichen Alleingang. „Ende 2000 wurde ich von Verlusten in einer Höhe informiert, die die Bilanzierung für dieses Jahr gefährdet hätten“, so Weninger graugesichtig am Freitag vergangener Woche. „Den gesamten Aufsichtsrat zu informieren hätte die Gefahr von Indiskretionen geborgen.“ Weshalb er sich nach Rücksprache mit ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch entschieden habe, „Stillschweigen“ zu wahren.

Bis heute hat die Bawag das Debakel finanziell nicht vollständig verdaut. Weninger musste inzwischen die Konsequenzen ziehen – er wird den Aufsichtsratsvorsitz zurücklegen und dürfte auch seiner Funktion als Finanzchef des ÖGB verlustig gehen. Er wird wohl nur das erste Opfer einer Affäre sein, die tief in die neunziger Jahre zurückreicht und den ÖGB in seinen Grundfesten erschüttert.

Was sich in den Jahren 1995 bis 2000 zwischen Wien, den Kanalinseln und der Karibik wirklich zugetragen hat, ließen Nowotny und Weninger am Freitag weit gehend unbeantwortet.

Wohl auch deshalb, weil es dem amtierenden Management offenbar bis jetzt nicht gelungen ist, die Geschäfte und die damit verbundenen Verluste lückenlos zu rekonstruieren.

Am 22. März 2006 hat die Bawag der Finanzmarktaufsicht (FMA) ein achtseitiges Dossier übermittelt. Das Papier liegt profil vor. Daraus lässt sich ein Teil der Deals nachvollziehen – zugleich gewährt es tiefe Einblicke in ein Geflecht aus wechselseitigen Abhängigkeiten, Ignoranz, Selbstherrlichkeit und Verlogenheit.

Rückblende: Im Mai 1995 trat ein gewisser Helmut Elsner die Nachfolge des legendären Bawag-Generaldirektors Walter Flöttl an. Nur ein Jahr zuvor war die so genannte Karibik-Affäre aufgeflogen. Die Bawag hatte über Jahre hinweg Geschäfte mit Flöttls Sohn Wolfgang – einem zwischen Bermuda und den USA pendelnden Investmentbanker – getätigt, deren Volumen zeitweilig an zwei Milliarden Euro heranreichte. Das Institut hatte daran zwar prächtig verdient, die spekulativen Engagements sorgten jedoch für gehörigen medialen Wirbel sowie gesteigertes Interesse und Missfallen der Aufsichtsbehörden. Sie wurden daraufhin rückgeführt und eingestellt. Offiziell jedenfalls.

Verheimlicht. Elsner schien sich an die Entscheidung seines Vorgängers nicht gebunden zu fühlen. Nach einer überschaubaren Anstandsfrist kündigte er in ausgewählter Öffentlichkeit an, die Geschäftsbeziehung zu Wolfgang Flöttl wieder aufleben zu lassen. Notiz wurde davon in einer breiteren Öffentlichkeit nur beschränkt genommen. Der Finanzplatz Wien hatte im Sommer 1995 andere Sorgen. Den Kollaps des Bawag-Aktionärs Konsum Österreich zum Beispiel.

Die Folge: Laut Bericht an die FMA überantwortete die Bawag Flöttl junior nach 1995 unter höchst konspirativen Umständen insgesamt 12,37 Milliarden Schilling (umgerechnet 989 Millionen Euro). Die Gelder flossen, getarnt als Kredite, an vier heute nicht mehr präzise lokalisierbare Stiftungen in Liechtenstein: Den mit Abstand größten Brocken (6,5 Milliarden Schilling oder 474 Millionen Euro) erhielt ein Vehikel mit dem exotischen Namen Bensor. Der Rest ging an die nicht minder rätselhaft benannten Stiftungen Glenstar, Biamo sowie Treval.

Einschließlich Zinsen verbuchte die Bawag exakt 1,011 Milliarden Euro an einschlägigen Finanzierungen. Was genau Flöttl mit dem Geld angestellt hat, ist unklar. Klar ist nur, dass der weitaus größte Teil futsch ist. Laut Protokoll standen diesen nach 1995 vergebenen Krediten am 31. Dezember 2004 „Vermögenswerte“ von nur mehr 347 Millionen Euro gegenüber. Rechnerisch muss Flöttl, Chef der Investmentgesellschaft Ross Capital, damit allein aus diesem Titel 664 Millionen Euro vergambelt haben. Das Protokoll bleibt Details dazu schuldig. In dem Schreiben an die FMA rechtfertigt die Bawag die unpräzise Darstellung der Investments sowie die bloß rudimentären Erläuterungen zum Hergang dieses Teils des Desasters wie folgt: „In manchen Belangen kann nur auf Urkunden und schriftliche Dokumentation, nicht aber zusätzlich auf ,originäres‘ Wissen zurückgegriffen werden, weil Mitarbeiter, die mit diesen Geschäftsbereichen maßgeblich befasst waren, teilweise nicht mehr in unserem Haus tätig sind.“

Tatsache ist: Die verlustreichen Engagements wurden jedenfalls bis zum Jahr 2000 nicht in den Büchern vermerkt, geschweige denn abgeschrieben. Tatsache ist auch, dass das damalige Bawag-Management, der frühere Aufsichtsratschef Herbert Tumpel, sein Nachfolger Günter Weninger und nicht zuletzt ÖGB-Boss Fritz Verzetnitsch wenig unversucht gelassen haben, das Verschwinden der Gelder zu vertuschen. Seit Mitte der neunziger Jahre schleppte das Kreditinstitut einen potenziellen zusätzlichen Wertberichtigungsbedarf in der Größenordnung von 9,1 Milliarden Schilling – das 45fache eines durchschnittlichen jährlichen Bilanzgewinns – mit sich herum.

Verschlimmert. Helmut Elsner, von Freunden liebevoll „Marcel“ gerufen, scheint dies freilich nicht im Geringsten bekümmert zu haben. Im Gegenteil. Im Jahr 2000 setzte er dem noch eins drauf.

Zwischen Jänner und März bekam Elsners Golf-, Geschäfts- und Urlaubsfreund Wolfgang Flöttl unter gleichwohl ungeklärten Umständen weitere 4,8 Milliarden Schilling oder umgerechnet 350 Millionen Euro Spielgeld. Zumindest der Ablauf dieser Transaktionen ist in dem der FMA zugegangenen Bericht minutiös dokumentiert: Demnach zeichnete die Bawag im ersten Quartal 2000 Anleihen von sieben heute ebenfalls nicht mehr zuordenbaren Gesellschaften, welche allesamt nach Universitäten in Nordamerika benannt waren: Madison Capital Holdings Ltd. (75 Millionen Euro); West End International Investments Ltd. (60 Millionen); Huntington Investment Ltd. (50 Millionen); Columbia Investment Ltd. (50 Millionen); Pace Investments Ltd. (50 Millionen); Fordham Investment Fund Ltd. (40 Millionen) sowie York Capital Ltd. (25 Millionen).

Laut internen Abmachungen sollte Flöttl die 350 Millionen Euro „in sieben verschiedene Risikoklassen“ veranlagen, „um das Risiko zu streuen“. Das „primäre Management“ wurde dabei an den von Flöttl namhaft gemachten, international höchst reputierten iranischstämmigen Investmentmanager Kaveh Alamouti übertragen.

Auch hier scheint der Bank das Glück abhold gewesen zu sein – mit unabsehbaren Folgen. Zitat aus dem Papier: „Da die Performance bis in das dritte Quartal 2000 unbefriedigend war, verließ Dr. Flöttl (abredewidrig) die vereinbarte Anlagestrategie.“

Vergeigt. Der Filius des ehemaligen Bawag-Chefs schaufelte das ohnehin schon reduzierte Vermögen in so genannte Zinsenswaps in Japan. Dabei handelt es sich um Spekulationen auf Bewegungen im jeweiligen Zinsniveau. Und Flöttl hat sich dabei, teilt die Bawag der FMA auf Basis der vorgefundenen Aufzeichnungen aus jener Zeit mit, in Rekordzeit endgültig verhoben: „Durch unerwartete und starke Zinsbewegungen wurden im Oktober 2000 … nahezu 350 Millionen Euro fällig. Es trat ein Totalverlust der Gelder ein, sodass auch die im ersten Quartal gezeichneten Bonds praktisch wertlos waren.“ Mit anderen Worten: Der angeblich geniale Finanzjongleur Flöttl hat es diesen Angaben gemäß in kürzester Zeit zustande gebracht, Veranlagungen im ursprünglichen Wert von 350 Millionen Euro binnen weniger Wochen abzustoßen, neue Papiere in Japan zu erwerben und diese im Handumdrehen auf null herunterzufahren.
Die FMA prüft derzeit die Plausibilität dieser Darstellung.

Spätestens im Advent 2000 war in der Bawag Feuer am Dach. Nicht nur dass die Bank mehr als 600 Millionen bereits entstandener Kreditausfälle gewärtigen musste, saß sie nunmehr auch noch auf wertlosen Anleihen im Wert von ursprünglich 350 Millionen Euro.

Auftritt der Wirtschaftsprüfer von KPMG Austria: Die international tätige Kanzlei hatte die Bilanzen der Bawag bereits über Jahre hinweg testiert, setzte jedoch mit Hans Zöchling einen neuen Abschlussprüfer ein. Und dem wurde offenbar schwummrig. „Er hat sich geweigert, die Bilanz unter diesen Umständen abzusegnen“, berichtet ein hochrangiger Bawag-Manager. „Ohne Testat hätten wir gleich zusperren können.“

Eine Bankbilanz ohne uneingeschränkten Bestätigungsvermerk: Das ist etwa so, als würde man einer Fluglinie wegen Sicherheitsmängel die Starterlaubnis entziehen. Im Falle der Bawag wären wohl eine Massenflucht der Kunden und der Abbruch aller internationalen Bankverbindungen die Folgen gewesen. Selbst wenn das Institut die angelaufenen Verluste von exakt 999 Millionen aus eigener Kraft hätte stemmen können – der Wirbel hätte der Bawag das Rückgrat gebrochen. Wirtschaftsprüfer Zöchling will sich dazu nicht äußern. „Ich kann lediglich bestätigen, dass ich zum fraglichen Zeitpunkt Abschlussprüfer war. Darüber hinaus unterliege ich der Verschwiegenheitspflicht.“

Nächster Auftritt: Günter Weninger, ÖGB-Vize und Chef des Aufsichtsrates der Bawag. Um das, wie er heute sagt, „Eigentum des ÖGB zu schützen“, gewährte er mit Wissen und Billigung von Präsident Fritz Verzetnitsch die nun dekuvrierte Ausfallshaftung. Oder, wie es dazu im Statement an die Finanzmarktaufsicht heißt: „Für die so eingetretenen Verluste wurden Haftungserklärungen seitens des damaligen Mehrheitseigentümers ÖGB und Gesellschaften des ÖGB abgegeben, sodass dieser Ausfall aus Sicht der Bawag wirtschaftlich kompensiert werden konnte.“

Wahr ist zwar, dass diese Sicherheiten zu jedem Zeitpunkt nur auf dem Papier bestanden haben und niemals schlagend wurden. Wahr ist aber auch, dass der ÖGB damit sein gesamtes Vermögen, nicht zuletzt auch den sagenumwobenen „Streikfonds“ riskiert hat. Seine Dotierung wird von der Gewerkschaft seit jeher wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Tatsächlich dürfte dieser Fonds heute hauptsächlich aus Bawag-Aktien bestehen.

Inzwischen beschäftigt sich die Finanzmarktaufsicht mit einem schwer wiegenden Verdacht: Bilanzmanipulation. „Es entsteht der Eindruck einer reichlich kreativen Buchführung“, so ein hochrangiger Vertreter der FMA.

Versteckt. Ungeachtet der Ausfallshaftung des ÖGB, welche die Situation eigentlich entspannt hatte, schickte Bawag-Chef Helmut Elsner Ende 2000 zumindest einen Teil der schief gelaufenen Investments in ein schwindelerregendes Finanzkarussell – offenbar mit dem Zweck, die Verluste zu verschleiern. Im Bericht an die Finanzmarktaufsicht wird lediglich darauf hingewiesen, dass dadurch „sukzessive Abschreibungen“ möglich geworden seien.

So wurden bereits Ende Dezember 2000 die wertlos gewordenen 350-Millionen-Euro-Anleihen (Huntington, Columbia, York & Co.) an den von der Bawag selbst mitgegründeten Liquid Opportunity Plus Fund übertragen. Wofür die Bawag ihrerseits „Fondsanteile“ im fiktiven Gegenwert von – erraten – 350 Millionen bekam.

Auftritt Refco: Ein Jahr zuvor hatte sich die Gewerkschaftsbank reichlich überraschend mit zehn Prozent an diesem aufstrebenden New Yorker Brokerhaus beteiligt, das von Elsners späterem Du-Freund Phillip Bennett geführt wurde. Jener Phil Bennett also, dem Elsners Nachfolger, Johann Zwettler, im Oktober des Vorjahres den mittlerweile zu trauriger Berühmtheit gelangten Blitzkredit in der Höhe von 350 Millionen Euro zuschanzte. Wenngleich über die frühen Geschäftsbeziehungen zwischen Refco und der Bawag nie etwas bekannt geworden ist – das inzwischen kollabierte Brokerhaus war an der Verschleierung der Bawag-Verluste möglicherweise nicht ganz unbeteiligt.

Verkauft. Der „Verkauf“ der entwerteten Anleihen wurde Ende 2000 über die Refco-Tochter Refco Capital Markets abgewickelt. In den profil vorliegenden Unterlagen taucht Refco noch etliche weitere Male in tragender Rolle auf. Bis in die zweite Jahreshälfte 2004 hinein wurden die Investments noch zweimal im Kreis geschickt, ehe sie schließlich bei sieben Briefkastengesellschaften auf der Karibikinsel Anguilla landeten: Catamarca Assets Series I, Betio Asset Investments, Tuvalu Holding Company, Chaco City Investments, Rabaul Holdings, Tecka Asset Holdings sowie Monte Brook Corporate Assets.

Die Bawag hat die Verbindungen in die Karibik nur zögerlich einbekannt. Selbst als die Finanzmarktaufsicht Ende des Vorjahres im Zuge der Ermittlungen zum Refco-Konkurs die Bücher unter die Lupe nahm, blieben die Engagements zunächst unentdeckt. Die Bawag selbst hält dazu in ihrem Dossier an die FMA Folgendes fest: „Wir waren wirtschaftlich Begünstigte dieser Investorengesellschaften (,beneficial owner‘). Da wir aber nicht als Shareholder … eingetragen waren …, wurden diese Gesellschaften in unserem Schreiben vom 2.12.2005 – wenngleich vom Wortlaut her richtig, so doch inhaltlich verkürzt als ,Kunden unseres Hauses‘ bezeichnet.“

Genau da könnte es sich nun spießen: Laut FMA besteht der Verdacht, dass die Bank ihren manifesten Einfluss auf die Karibik-Gesellschaften vorsätzlich und fortgesetzt verschwiegen hat. Ein Ermittler: „Die Bawag hat die Briefkästen kontrolliert, diese aber nicht konsolidiert. Erhebt sich die Frage, ob die früheren Jahresabschlüsse überhaupt stimmen konnten.“

Tatsache ist, dass erst 2004, annähernd zehn Jahre nachdem die ersten Verluste entstanden waren, ein kleiner Teil davon wertberichtigt wurde: 137 Millionen Euro. Der mit Abstand größte Brocken wurde erst im Zuge der vergangenes Jahr abgeschlossenen Fusion mit der Postsparkasse realisiert.

Annähernd fünf Jahre nach der Übernahme verschmolzen Bawag und P.S.K. per 30. September 2005 zu einem neuen Institut. Laut der so genannten Umgründungsbilanz hat die neue Bawag P.S.K. aus den Flöttl-Spekulationen exakt 534 Millionen Euro abgeschrieben. Diese wurden durch Aufwertungen im Liegenschafts- und Beteiligungsbereich buchhalterisch aufgefangen. Daher waren diese Ausfälle auch nicht isoliert erkennbar. Weitere 208 Millionen dürften in den regulären Jahresabschluss zum 31. Dezember 2005 gepackt worden sein. Mit Auffliegen der Affäre waren demnach „nur“ noch 120 Millionen offen, für welche der ÖGB nach wie vor haftet.

Man stelle sich vor: Eine Bank kommt wegen ihrer Deals mit einem Yuppie-Broker, der ganz zufällig auch Sohn ihres Generaldirektors ist, mächtig in die Bredouille. Der Vater muss zurücktreten, die Geschäftsverbindung gelöst werden. Und wenig später geht das Ganze mit dem Nachfolger des Vaters, Helmut Elsner, der den Reizen der großen weiten Welt der Hochfinanz längst erlegen ist, von vorne los.

Mag sein, dass Noch-Aufsichtsratspräsident Günter Weninger seine Kollegen im Kontrollgremium weder über die Verluste noch über die lebensrettende Ausfallshaftung informiert hat: dass auch nach 1995 intensive Kontakte zu Flöttl junior bestanden, war jedoch ausnahmslos allen Aufsichtsräten wohl bekannt. Dies belegen Sitzungsprotokolle.

Aber der Aufsichtsrat – beschickt mit Kapazundern wie Rudolf Kaske, Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel und Gastgewerbe, Eduard Aschenbrenner, Leitender Referent der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, oder auch Walter Sumetsberger, Zentralsekretär der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten – scherte sich keinen Deut darum. Sie sahen nichts, sie hörten nichts, sie fragten nichts.

Verdonnert. Der Tort, sich mit verwirrenden Finanzkonstruktionen befassen zu müssen, wird den ÖGB-Leuten künftig erspart bleiben. Das Präsidium des Gewerkschaftsbundes hat beschlossen, die Gewerkschafter geschlossen aus dem Aufsichtsrat abzuziehen und durch Fachleute zu ersetzen. Dies wird vielfach auch als Indiz dafür gewertet, dass sich der ÖGB, sobald die Wogen geglättet sind, von der Bank trennen könnte.

Wolfgang Flöttl musste indes bereits Federn lassen. Wie am Freitag bekannt gegeben wurde, habe die Bank Ende 2001 auf dessen verfügbares Privatvermögen zugegriffen. In welcher Höhe das den Investmentmanager traf, ist nicht bekannt.

Es fällt jedenfalls auf, dass Flöttl, mit der Enkelin des ehemaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower verehelicht, ab dem Jahr 2000 nach Berichten von US-Medien mehrere Kunstwerke und Immobilien aus seinem Privatbesitz auf den Markt warf – darunter etwa ein Anwesen auf Long Island (geschätzter Marktwert damals 23 Millionen Dollar), ein Appartement im prestigeträchtigen Gebäude 740 Park Avenue in Manhattan (15 Millionen), einen Picasso (zumindest 60 Millionen), einen Cézanne (50 Millionen). Und, 2004, einen Degas – Letzteren mit 2,1 Millionen Dollar Verlust.
Aber was ist all das schon gegen eine verschwundene Milliarde Euro.


Von Michael Nikbakhsh, Liselotte Palme und Martin Staudinger