Exklusiv: Das Bawag-Memorandum

Bawag: Projekt „Barista“

Fünf Milliarden Einlagen weg, weiter Verluste

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Zu einem guten Espresso braucht es dreierlei: sehr fein vermahlene Arabica-Bohnen, heißes, nicht kochendes Wasser – vor allem aber ein geübtes Händchen. So einfach die Ingredienzen, so viel kann bei der Zubereitung schiefgehen. Mal gerät er zu bitter, mal zu wässrig, mal ist die obligate haselnussbraune Schaumschicht oben drauf zu dunkel, mal zu hell. In Italiens Gastronomie, wo der Espresso in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erstmals in Bars gereicht wurde, hat sich aus der Kunstfertigkeit der Espressozubereitung eine Art Berufsbezeichnung entwickelt: der „Barista“.

Wenige krude Zutaten zu etwas Bekömmlichem veredeln: So ähnlich dürfte auch der Auftrag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes an die Berater der international tätigen Investmentbank Morgan Stanley umrissen gewesen sein, als sie im April das Mandat zum Verkauf der Bawag übernahmen. Und weil sich das Kreditinstitut ein kleines, aber feines Kaffeehaus im Parterre der Generaldirektion in der Wiener Innenstadt leistet und selbst Investmentbanker mitunter ein wenig verspielt sind, läuft der Verkauf unter dem beziehungsreichen Arbeitstitel: „Project Barista“.

In mühevoller Kleinarbeit hat Morgan Stanley über Monate all jene hochsensiblen Informationen aus der Bawag zusammengetragen, welche letztlich die Grundlage für den Verkauf bilden werden: von Marktanteilsaufstellungen über interne Planrechnungen und die Lage der einzelnen Bawag-Beteiligungen bis hin zu den unmittelbaren Folgen der Affären „Karibik“ und „Refco“.

Das so genannte Informationsmemorandum, mehr als 500 Seiten stark, wurde Interessenten aus dem In- und Ausland vor wenigen Wochen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen übermittelt.

Die aufwändig codierte Dokumentation, datiert mit 31. Juli 2006, liegt profil jetzt erstmals vollständig und exklusiv vor.

Genau genommen handelt es sich um drei in lupenreinem Business English verfasste Dossiers: das eigentliche 257-seitige „Confidential Information Memorandum“ von Morgan Stanley; eine 232 Seiten starke Expertise („Vendor Due Diligence Draft Information“) der Wirtschaftsprüferkanzlei Deloitte; eine 48-seitige Abhandlung („Legal Issues Report“) der New Yorker Rechtsanwaltskanzlei Allen & Overy, welche die Bawag beim Vergleich mit Geschädigten der Refco-Pleite vertreten hatte.

Den Inhalt der Dokumente will keiner der Beteiligten kommentieren. „Wir sind nicht autorisiert, öffentlich Stellung zu nehmen“, so ein hochrangiger Vertreter von Morgan Stanley.

Die im Memorandum festgeschriebenen Zahlen lassen ohnehin kaum Spielraum für Interpretationen.

Milliardenabfluss. Demnach hatte die Gewerkschaftsbank sehr viel schwerer an den Folgen des Skandals zu tragen als bisher angenommen. Bislang unveröffentlichten internen Daten zufolge verlor die Bawag zwischen 31. Dezember 2005 und 30. Juni 2006 Kundeneinlagen (Sparguthaben, Sicht- und Termineinlagen) im Gegenwert von kolossalen 5,07 Milliarden Euro. Ende Juni verwaltete das Institut Einlagen von 24,05 Milliarden Euro – der niedrigste Stand seit Jahren. Dies schlug naturgemäß auf die Ertragsrechnung durch. Die Bank hat im ersten Halbjahr einen Nettozinsertrag von 318,8 Millionen Euro erwirtschaftet, um 14 Prozent weniger als noch 2005.

Der Halbjahresgewinn nach Steuern lag mit gerade noch 5,3 Millionen Euro sogar um 91 Prozent unter dem Vergleichswert des Vorjahrs (die Verluste aus dem Refco-Desaster wurden erst zum Jahresende schlagend). „Das erste Halbjahr 2006 war durch eine Reihe außergewöhnlicher Ereignisse gekennzeichnet“, schreibt Morgan Stanley im Memorandum, „Nachrichten rund um die Karibik-Geschäfte und Klagen in Zusammenhang mit Refco in den USA führten zu einem Abfluss von Einlagen.“

Die Bawag dürfte inzwischen zwar einen Teil der verlorenen Kundengelder wieder hereingespielt haben. Die den Interessenten präsentierten Budgets für das Gesamtjahr – erstellt nach den strengen angloamerikanischen IFRS-Bilanzierungsstandards – verheißen jedoch wenig Gutes. Demnach rechnet die Bawag heuer entgegen allen Beteuerungen des Managements mit einem Nettoverlust nach Steuern von immerhin 20,3 Millionen Euro. Ende 2007 sollen mit veranschlagten 100,3 Millionen Euro wieder schwarze Zahlen geschrieben werden, bis 2011 soll der Jahresgewinn auf netto 406,1 Millionen Euro steigen.

Budgets sind, zumal über mehrere Jahre, naturgemäß mit zahlreichen Unwägbarkeiten behaftet. Weshalb sich die Interessenten zu einem nicht unwesentlichen Teil auch für das vorhandene und allenfalls verwertbare Konzernvermögen interessieren dürften. In den profil vorliegenden Dossiers werden die wesentlichen Töchter und Beteiligungen des Konzerns mit dem jeweiligen Wertansatz taxativ aufgezählt.

In Summe führt die Bank, so steht es jedenfalls geschrieben, Beteiligungen im Gegenwert von derzeit 1,6 Milliarden Euro in den Büchern. Dass dieser Betrag im sehr theoretischen Falle eines Verkaufs aller Beteiligungen wirklich zu realisieren wäre, darf allerdings bezweifelt werden.

Kostbarste Tochter ist laut Memorandum die P.S.K. Beteiligungsverwaltung. An der mit 508,5 Millionen Euro bewerteten Wiener Holding hängen unter anderem Anteile an den Österreichischen Lotterien (36,2 Prozent), der Bawag-Investmentfondsgesellschaft (28,6 Prozent), der ungarischen MKB Bank (10,4 Prozent) sowie der VoestAlpine (2,1 Prozent).

Zweiter großer Brocken: die hierzulande nur einer ausgewählten Öffentlichkeit geläufige Bawag Malta Bank Ltd. Das Institut wurde im Juni 2003 gegründet, vorgeblich, um Handelsfinanzierungen und steuerschonende Veranlagungen für Kunden vorzunehmen. Der tatsächliche Zweck: Die Bawag hat noch 2003 über Malta so genanntes Hybrid-Kapital bei Investoren aufgenommen, um die offensichtlich schon damals ausgedünnten Eigenmittel zu stärken – und zwar nicht weniger als 391 Millionen Euro auf einen Schlag.

Das ist weder illegal noch unüblich. Auch andere Institute im Lande haben sich in der Vergangenheit Kapital über Töchter in Steuerparadiesen beschafft.

Im Lichte des Bawag-Skandals ist aber die Identität der Financiers – deren Gewinnansprüche werden in der Erfolgsrechnung über „Fremdanteile“ am Nettoergebnis abgeführt – zumindest zu hinterfragen. Im Memorandum wie auch in den veröffentlichten Bawag-Bilanzen der vergangenen drei Jahre ist bloß von zwei Vehikeln zu lesen, über welche das Kapital in die Bawag floss: eine „Bodensee Limited“ mit Sitz auf Malta sowie eine „Rhein Limited“ mit Sitz auf den Caymans.

Die verbleibenden Beteiligungen, etwa der Privat-TV-Sender ATV (siehe Kasten), die Schuhhandelskette Stiefelkönig oder die Klaviermanufaktur Bösendorfer spielen demgegenüber eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.

Preisrätsel. Die vermutlich wichtigste Zahl ist auf den mehr als 500 Seiten nicht zu finden: der eigentliche Wert der Bawag-Gruppe. „Es wäre unüblich, dem Ergebnis der Auktion solcherart vorzugreifen“, sagt ein in die Verhandlungen eingebundener Berater. „Wir sind zuversichtlich, dem ÖGB ein Paket mit schöner Schleife unter den Weihnachtsbaum legen zu können.“

Der Gewerkschaftsbund saß zuletzt auf Altschulden von 2,1 Milliarden Euro, denen mit Ausnahme der Bawag-Anteile kein nennenswertes Vermögen mehr gegenüberstand. Der zusätzliche Schönheitsfehler: Die Bawag war Ende 2005 infolge massiver Wertberichtigungen, vornehmlich aus dem Refco-Komplex, nicht in der Lage, aus eigener Kraft eine Bilanz zu erstellen – und konnte nur dank eines Garantierahmens der Republik Österreich im Ausmaß von bis zu 900 Millionen Euro vor dem Ruin bewahrt werden (profil berichtete ausführlich). In der den Verkaufsunterlagen beigelegten Expertise von Deloitte heißt es dazu jetzt wörtlich: „Die Garantie ist mit dem Verkauf der Bawag, spätestens aber mit 30. Juni 2007 befristet. Mit deren Auslaufen müsste die Bank nicht verbuchte Wertberichtigungen vornehmen, sofern die Garantie bis dahin nicht gezogen werden musste.“

Was wiederum bedeutet: Entweder springt der neue Eigentümer ein – oder aber die Republik muss für den Bawag-Skandal teilweise geradestehen.

Es lässt sich derzeit nicht abschätzen, ob die Bawag-Interessenten überhaupt willens sind, zum Kaufpreis noch Garantien oder gar frisches Kapital bereitzustellen. Dem Vernehmen nach sind von den angeblich zahlreichen Interessenten noch sechs im Rennen: der frühere Bawag-Aktionär Bayerische Landesbank, die deutsche Allianz-Gruppe, die Raiffeisen Zentralbank sowie die drei Gruppierungen um die international tätigen Investmenthäuser Cerberus, Lone Star und JC Flowers. Deren Emissäre sind derzeit damit befasst, die Bücher der Bawag in einem abgeschirmten Datenraum in der früheren P.S.K.-Zentrale am Wiener Georg-Coch-Platz einer genauen Prüfung zu unterziehen. Letztlich steht aber jeder der potenziellen neuen Bawag-Eigentümer vor einer relativ einfachen Rechenaufgabe: Der ÖGB benötigt gut 2,1 Milliarden Euro, um seine eigenen Probleme zu lösen, die Bawag braucht ihrerseits bis zu 900 Millionen Euro, um überhaupt weiter bilanzieren zu können. Womit die Übernahme der Gewerkschaftsbank bis zu 2,9 Milliarden Euro teuer werden könnte. Ein stolzer Preis für ein Institut, das in den roten Zahlen steckt.

Vielleicht vermag der eine oder andere Interessent am Projekt „Barista“ ja auch kleine Kostbarkeiten zu entdecken, die so nicht im Memorandum Berücksichtigung fanden. Passanten in der Wiener Innenstadt wurden am Dienstag vergangener Woche unfreiwillig Zeugen einer denkwürdigen Episode. Ein halbes Dutzend soignierter Herren vertritt sich vor der Bawag-Zentrale das blitzblank polierte Schuhwerk, als einer von ihnen auf das ums Eck gelegene ehrwürdige Kaffeehaus deutet: „And this, gentlemen, is the famous Café Bawag.“

Von Michael Nikbakhsh