Beamtenschaft fürchtet um Zulagen

Beamtenschaft fürchtet um Zulagen: System besteht bereits seit der Monarchie

System besteht bereits seit der Monarchie

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Von Eva Linsinger und Christa Zöchling

Die Macht geht, wie man weiß, von der Gewohnheit aus, und Beamtengewerkschafter sind es gewohnt, ihre Anliegen im Parteienverkehr vorzubringen, wobei sie gelegentlich die eine oder andere Streikdrohung fallen lassen. Kaum war in der vergangenen Woche mit den Lehrergewerkschaftern ein fauler Kompromiss erzielt, wurden auch schon Postgewerkschafter Gerhard Fritz im Kanzleramt sowie Justizwachebeamte und Polizeigewerkschafter bei diversen Regierungsmitgliedern vorstellig.

Die Arbeitergewerkschafter, deren Betriebsräte derzeit mit Entlassungen, Sozialplänen und Kurzarbeit kämpfen, beobachteten das Treiben halb neidisch, halb hoffnungsfroh. Nicht einmal der Chef der roten Gewerkschafter, Wilhelm Haberzettl, will vom geschützten Sektor einen Beitrag zur Bewältigung der Wirtschaftskrise einmahnen: „Es mag populär sein, in der Krise den Leuten im Staatsdienst etwas wegnehmen zu wollen. Aber damit würde man nur die Privatwirtschaft ermuntern, dasselbe zu tun“, sagt er mit zusammengebissenen Zähnen.

Übergenuss. Annähernd eine halbe Million Beschäftigte zählt der öffentliche Dienst, die Beamten in ausgelagerten Gesellschaften eingeschlossen. In der Masse sind sie ein Machtfaktor bei Wahlen, in den oberen Etagen haben sie einflussreiche Meinungsbildner. Häufig sind sie in Personalunion mit der Politik anzutreffen: Berühmtestes Beispiel dafür ist der ehemalige Hauptschullehrer Fritz Neugebauer, Nationalratspräsident und Vorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD).

Dienstrecht und Besoldungsschema der Beamtenschaft stammen in ihren Grundzügen aus den Zeiten der Monarchie, an Reformen derselben ist noch jede Regierung gescheitert. Es sieht nicht so aus, als würde sich daran jemals etwas ändern. Dass die Lehrer nun schweren Herzens auf einige Zulagen verzichten mussten, verursacht allerdings heftigen Aufruhr. Denn Zulagen und Nebengebühren sind so etwas wie die Seele einer Beamtenexistenz: zu Recht in den schlecht bezahlten unteren Besoldungsgruppen, zu Unrecht bei den oberen Chargen. Im Budget 2008 sind für Nebengebühren, die auch unter dem irreführenden Begriff „Zulagen“ auftreten, über eine Milliarde Euro vorgesehen. Erst die Nebeneinkommen tragen dazu bei, dass Beamte mit 43.781 Euro Medianeinkommen brutto pro Jahr alle anderen unselbstständig Erwerbstätigen weit hinter sich lassen und fast doppelt so viel wie der Durchschnitt verdienen. Mit dem höheren Alter und Bildungsgrad von Beamten ist der Überhang nur teilweise erklärt. Der Rest ist der Beamtengewerkschaft zu verdanken.

Schon der Schriftsteller Heimito von Doderer widmete sich in seinem Roman über den Amtsrat Julius Zihal hingebungsvoll der Dienstpragmatik und ihren Fallstricken. In einem Kapitel mit der Überschrift „Vierteljährliche Auszahlung der Aktivitätszulage und des Quartieräquivalents“ lässt Doderer seinen skrupulösen Amtsrat über eine möglicherweise zu üppig bezahlte Zulage sinnieren, aus der ein so genannter „Übergenuss“ entstanden sei.

Mit dem Problem des Übergenusses hatten auch die Prüfer des Rechnungshofs zu tun, als sie sich vor drei Jahren durch einen Dschungel aus Nebengebühren, Zuwendungen und Belohnungen quälten. Unter dem Titel „Nebengebühren“ fanden sie 600 Titel, deren ursprünglicher Daseinszweck meist nur noch durch die Aushebung von uralten Akten im Staatsarchiv zu ergründen war und aus denen in den vergangenen Jahrzehnten 4600 weitere Nebengebührentätigkeiten abgeleitet wurden. Die Prüfung ergab, dass vier Fünftel der Personalausgaben des Bunds auf das eigentliche Gehalt plus Zulagen entfallen, ein sattes Fünftel jedoch durch die Nebengebühren zustande kommt, die unter den unterschiedlichsten Bezeichnungen – Zulage, Verwendung, Vergütung, Abgeltung, Entschädigung – auftauchen.

Treu und Glaube. Nebengebühren werden individuell bemessen. Theoretisch. Es gibt auch Nebengebühren, die automatisch mit einem bestimmten Arbeitsplatz einhergehen: Das sind meist Schmutzzulagen, Gefahrenzulagen, Infektionszulagen, Schreibzulagen, Schreib- und Ansagprämien, Forstarbeiten in schwierigem Gelände, Erschwerniszulagen (darunter fallen etwa auch die „Schweißzulage“ oder etwa Reinigungsarbeiten bei Umbauten). Hat sich ein Beamter einmal an die Auszahlung diverser Nebengebühren gewöhnt und wäre bereit, eine neue Aufgabe zu übernehmen, bangt er naturgemäß um die alten Nebengebühren. Diese kann er meist mitnehmen, selbst wenn die neue Tätigkeit nicht mehr mit Schmutz und anderen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Richter haben in mehreren Fällen mit Verweis auf „Treu und Glauben“ zugunsten der Nebengebühren ihrer Standeskollegen im öffentlichen Dienst entschieden.

Vollends skurril erscheint der Umgang mit Nebengebühren, wenn sie tatsächlich individuell bemessen werden. Für einen Jäger im Bundesdienst wird jeder einzelne Schuss, bei dem etwas getroffen wurde, berechnet. Dafür gibt es diverse Schuss- und Fangpauschalen, natürlich abseits der Jagdzulage. Kommen sie als „Aufwandspauschale“ daher, müssen sie versteuert werden, als Gefahrenzulage nicht. Das Gros der Nebengebühren stammt aus den sechziger Jahren, als die Verwaltung noch verzweifelt um Neueintretende warb.

Doris Bures, im vergangenen Kabinett für Beamte zuständig, strich 160 Zulagen – doch ausschließlich solche, die beim besten Willen nicht mehr bezahlt werden konnten, etwa die Fernschreibzulage, die mangels Fernschreiber obsolet geworden war. Kurzzeit-Beamtenstaatssekretär Andreas Schieder schönte das Zulagensystem, indem er etwa für das Bundesstromamt die drei Tauchzulagen (bemessen nach Tiefe, Temperatur und Strömung) zu einer einzigen zusammenfasste. Weniger bezahlt bekam deshalb aber kein einziger Beamter.

Abgesagt. Bei den Besoldungsreformen der vergangenen Jahrzehnte wurden die Nebengebühren kaum angetastet – die Streikdrohung genügte. Auch bei der Pensionsreform gelang den Beamten ein Coup. Beamtenchef Neugebauer trat bei der großen ÖGB-Demonstration 2003 zwar als Scharfmacher in Erscheinung, doch kurz danach schloss er mit der schwarz-blauen Regierung einen Separatfrieden und schlug für seine Leute eine Deckelung der Verluste bei zehn Prozent ­heraus. Die durchschnittliche Pension eines ASVG-Versicherten beträgt heute 930 Euro pro Monat, jene von Beamten stolze 2415 Euro. Selbst die Hacklerregelung, das Schlupfloch in die Frühpension, dient weniger Arbeitern als Beamten: Mehr als jeder dritte Bundesbedienstete ging im Vorjahr nach der begünstigten Hacklerregelung in Pension.

Völlig unberührt von Sparplänen scheinen manche Landesbeamte zu existieren. So kann etwa ein 1975 geborener Akademiker in Kärnten mit einer doppelt so hohen Pensionssumme rechnen wie ein Bundesbeamter. In Wien wurde vor Kurzem eine Woche Sonderurlaub für die unkündbaren Beamten beschlossen. Auch das Zulagenwesen blüht dort prächtig. Von der Blumenbindezulage (0,31 Euro pro Gebinde) über die Flohmarktkontrollzulage (48,53 Euro pro Dienst) bis zur Wassermessprämie (3,88 pro Tag) oder zum Einschalten einer Heizung werden einzelne Handgriffe extra entlohnt. Das geht ins Geld. In der Steiermark belastete die Selbstlenkerzulage für Beamte, die in ihren Dienstautos selbst am Steuer sitzen, im Jahr 2007 das Personalbudget mit 480.000 Euro. 2008 wurde sie abgeschafft.

Freilich hat nicht jeder dieselbe Chance auf Nebengebühren. „Manche kommen durch gute Beziehungen zu gutem Geld“, gibt Achill Rumpold aus dem Büro von Landesrat Josef Martinz, der in Kärnten für die Landesbeamten zuständig ist, offen zu. In Kärnten wird – nach Oberösterreich und der Steiermark – gerade ein neuer Anlauf für All-in-Gehälter unternommen.

Beamte schöpfen ihre Stärke aus einer Standesvertretung, vor der noch jeder Politiker in die Knie ging, und aus ihrer Anzahl. Die Wählerklientel von SPÖ und ÖVP besteht zu zwei Dritteln aus Pensionsten oder öffentlich Bediensteten. Manch ein Regierungsmitglied raunt jetzt zwar hoffnungsfroh, dass mit dem Streichen der Lehrerzulagen eine Bresche in das System geschlagen sei und die Beamten ebenfalls einen Beitrag zum Abbau des Rekorddefizits werden leisten müssen. Doch ein neues Dienstrecht wurde vorerst abgesagt. Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hosek hält auch bei den Zulagen keine Einschnitte für nötig: „Der öffentliche Dienst leistet ohnehin über den Abbau von 3000 Stellen seinen Beitrag.“ Auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der seine Berufslaufbahn als Kanzleibediensteter im Wiener Magistrat begann und in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten groß wurde, kann das Zulagenwesen wortreich verteidigen. Und Bundeskanzler Werner Faymann sagt, wie so oft, am liebsten gar nichts.