Menschenrechte für Schimpansen?

Bekommt Schimpanse Menschenrechte? Verfahren beim EuGH soll die Causa klären

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Es wird empfohlen, sich in Demut zu nähern. Man schleicht also gekrümmt heran, verfolgt von bernsteinfarbenen Augen, undurchdringlich wie schmutzige Tümpel, als sich das lauernde Wesen frontal gegen die Scheibe wirft, die ihn vom Besucher trennt. Der schwere Körper donnert gegen Panzerglas, Füße trommeln im Höllenrhythmus. Man nennt das Imponiergehabe. Schon lässt es sich wieder fallen und kriecht zu Staub, bäuchlings, den Kopf im Fell vergraben. Irgendwie schuldbewusst. Eine sinnlose Revolte.

Nichts ahnt der Schimpanse aus dem Wiener Tierschutzhaus von seiner Bedeutung für die Menschheit. Zurzeit ist eine Klage österreichischer Tierschützer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg anhängig, die für ihren Klienten das Menschenrecht einfordert. Die britische „Times“ reihte den Fall unter die weltweit skurrilsten Gerichtsprozesse.

Es begann vor zwei Jahren. Im Februar 2007 wurde am Mödlinger Bezirksgericht für einen gewissen Herrn Matthias Pan, genannt Hiasl, die Bestellung eines Sachwalters beantragt, weil er „nicht in der Lage ist, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens ohne fremde Hilfe zu meistern“ und eine ihm gewidmete Schenkung zu nützen, hieß es in der formlosen Eingabe, unterschrieben von Martin Balluch, Doktor der Philosophie und Physik und militanter Tierschützer.

Als Wohnadresse war das Wiener Tierschutzhaus angegeben, was Verdacht erregte, erst recht als sich herausstellte, dass die lateinische Bezeichnung „Pan“ für die Spezies des gemeinen Schimpansen steht. Herr Pan wurde amtlich aufgefordert, persönlich zu erscheinen sowie Geburtsurkunde, Identitätsausweis und Meldeschein vorzulegen. Doch es kam nur Balluch, der von seiner innigen Beziehung zu Hiasl sprach, einer über Jahre gewachsenen Freundschaft, vom Trauma des Schimpansen, vor dessen Augen die eigene Mutter erschossen wurde, der als Baby betäubt in den Laderaum eines Flugzeugs gepfercht aus dem fernen Sierra Leone nach Wien verbracht wurde, um für Aids-Experimente der Firma Baxter zur Verfügung zu stehen, der im Transit in Schwechat festsaß, ehe er im Wiener Tierschutzheim eine Bleibe fand, und der nun abermals Gefahr liefe, verkauft zu werden, weil der Tierschutzverein insolvent sei.

Der Antrag wurde abgelehnt. Der Betroffene sei we­der geistig behindert noch psychisch krank, auch drohe ihm kei­ne unmittelbare Gefahr, lautete die Begründung. Die Frage, ob es sich bei Hiasl um eine Person im rechtlichen Sinne handle, sei „akademischer Natur“ befand die genervte Richterin. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Phalanx von Tierschützern, die grüne Abgeordnete Madeleine Petrovic, Primatenforscher und Anwälte in die Sache involviert. Die Klagsschrift zugunsten Hiasls war auf 70 Seiten angeschwollen, unterlegt mit umfangreichen rechtsphilosophischen Gutachten von Professoren der Universität Wien und Expertisen von Forschern.

Der Anwalt Eberhart Theuer meint heute, er hätte sich vieles an Papier erspart, wenn einer der Entscheidungsträger Hiasl aufgesucht und kennen gelernt hätte. „Wer einem solchen Wesen in die Augen schaut, erkennt sich selbst“, sagt er. Hiasls Situation sei vergleichbar mit der eines traumatisierten Flüchtlings, dem die Abschiebung drohe.

In diesem Fall wurde alles aufgeboten. Jedenfalls wesentlich mehr als für afrikanische Bootsflüchtlinge, die an italienischen Gestaden stranden, von denen sich der eine oder andere vielleicht sogar bis Wien durchschlägt. Das Verfahren zog sich über Rekurse bis zum Oberlandesgericht, das den Antrag aus formalen Gründen ablehnte. Keine Instanz wagte die Frage zu beantworten, ob Hiasl als Angehöriger der menschlichen Gattung zu betrachten sei. Das bleibt offenbar dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorbehalten. Der Zeitgeist steht aufseiten der Menschenaffen. In den meisten Ländern der Europäischen Union, auch in Österreich, sind eingreifende Laborversuche an Menschenaffen längst verboten. Seitdem man weiß, dass Schimpansen gegen Aids weitgehend immun sind, haben auch Pharmafirmen das Interesse verloren. Die ehemals mit dem Virus infizierten Af­fen sitzen seit Jahren im Safaripark Gänserndorf in Quarantäne.

In Neuseeland genießen Menschenaffen bereits gewisse Persönlichkeitsrechte. In Spanien betreiben die Sozialisten eine entsprechende Gesetzesinitiative, angefeindet von der katholischen Kirche. Die heimischen Tierschützer berufen sich auf neueste Erkenntnisse der Primatenforschung. Demnach können Schimpansen kausal, logisch und abstrakt denken. Sie seien fähig, die menschliche Gebärdensprache zu lernen und machiavellistische Strategien zu verfolgen. Vor einen Spiegel platziert, begreifen sie, dass es sich um sie selbst handelt. Von Akten der Hilfsbereitschaft gegenüber fremden Artgenossen wird berichtet. Einzelne Forscher halten es sogar für denkbar, dass Mensch und Schimpanse in der Lage sind, Nachwuchs zu zeugen. Hiasls Mängel im Bereich des Denkens und Handelns seien vergleichbar mit Kaspar-Hauser-Erscheinungen bei Menschenkindern, wird in der Klagsschrift argumentiert. Derzeit gelte der Mensch allein durch die Geburt als Mensch, doch Menschenaffen teilen mit dem Homo sapiens immerhin 99,4 Prozent der Gene. Damit sei er dem Menschen näher als einer Sache, als die er nach derzeitiger Gesetzeslage betrachtet werde, und habe zumindest Anspruch auf Personenstatus.

Die Leidenschaft für den Tierschutz macht freilich blind dafür, dass schon ein Prozent Unterschied in der DNS dutzende Millionen an unterschiedlichen Merkmalen und Eigenschaften hervorbringt. Mensch und Fruchtfliege teilen 75 Prozent der Gene, Mann und Maus 90 Prozent.

Hiasl weiß nichts von den juristischen Quälereien. Er ist heute geschätzte 28 Jahre alt und lebt mit Freundin Rosi, mit der er gemeinsam „gewaltsam entführt“ wurde, wie dem Akt zu entnehmen ist, seit einem Vierteljahrhundert in einem 400 Quadratmeter großen Gehege im Wiener Tierschutzhaus. In den vergangenen Jahren hat sich vor allem die Englisch-Sprachtrainerin Paula Stibbe der beiden angenommen und ein Beschäftigungsprogramm ausgearbeitet, damit die Freunde intellektuell nicht verkümmern. Auf einem Video sieht man, wie Hiasl mit Stecken, die er geschickt durch die Gitterstäbe führt, auf die Tasten eines Synthesizers einstochert, einmal sogar mit dem Finger darauf klimpert. Eine Zahnbürste hält er eher unschlüssig in den Pfoten, während Rosi damit schon einmal die Glasscheibe putzt. Nachwuchs haben die beiden noch keinen zustande gebracht. Auch Zärtlichkeiten wie einander Lausen betreiben sie kaum. Aufgrund des gemeinsamen Schicksals begegnen sie ein­ander wie Geschwister, mutmaßt Balluch. Stibbe denkt eher an ein altes Ehepaar.

Der Alltagsverstand neigt gewöhnlich dazu, in das liebe Haustier allerlei menschliche Regungen hineinzuinterpretieren. Auch die Primatenforschung ist traditionell nicht ganz frei von der Vermenschlichung ihrer Studienobjekte. Wenn Schimpansen bei Blitz und Donner zu stampfen beginnen und ihre Fäuste drohend gegen den Himmel recken, sprechen manche Primatenforscher von einem rituellen Regentanz. Adolf Heschl, Zoologe an der Grazer Universität und Primatenforscher, der nicht zu Hiasls Stab gehört, hält das für überzogen. Seine jüngst erschienene Untersuchung mit dem Titel „Darwins Traum. Die Entstehung des menschlichen Bewusstseins“ aus dem renommierten Wissenschaftsverlag Wiley-Blackwell bestätigt, dass „Menschenaffen ein Bewusstsein ihrer selbst haben, eine Ich-Identität ausbilden und ihr soziales Leben ähnlich dem unseren gestalten“. Zur Reflexion über ihre Person und zum Nachdenken über andere seien sie jedoch nicht in der Lage. Persönlichkeitsrechte für Menschenaffen seien politisch zu entscheiden, meint Heschl, wobei die Frage auftauche, ob man dann jedem Menschenaffen einen gesetzlichen Vertreter zuteile. „Wie immer das in der Praxis aussieht, Menschenaffen sind evolutionäre Borderliner“, beharrt Madeleine Petrovic. Die Erkenntnis, dass der Mensch nicht von Gott, sondern vom Affen abstammt, bezeichnete Sigmund Freud als „eine der Kränkungen der Menschheit“. Dass der Affe ein Mensch sein könnte, birgt zweifellos traumatisches Potenzial.

Fotos: Kurt Göthans