Berlin nach der Wahl: Patt und matt

Berlin: Patt und matt

Eine stabile Regierungs-mehrheit ist nicht in Sicht

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In einem überraschenden Patt endete die deutsche Wahl. Fünf Parteien sitzen nun im Reichstag zu Berlin. Doch weder Rot-Grün (Schröder/Fischer) noch die bis zum Wahltag als Favorit gehandelte Konstellation Schwarz-Gelb (Merkel/ Westerwelle) können regieren. Nur die Extrempole triumphierten: Die neoliberal gewendete FDP des Guido Westerwelle und die strammsozialistische Linkspartei, die sich der Opposition verschrieben hat. Mit ihr will derzeit niemand koalieren.

Was nun? Das Volk und seine politischen Vorturner sind konsterniert. Mit diesem Wahlergebnis hatte niemand gerechnet. Überraschend das Wiedererstarken des schon totgesagten Gerhard Schröder. Verblüffender noch der jähe Sturz der Angela Merkel, die über Nacht vom rettenden Engel der Republik zum Suppenhuhn ihrer konservativen Rivalen wurde. Es ist ein Debakel der Demoskopen, ein Waterloo für die führenden Meinungsmacher der Republik, die, einig wie nie, den Wechsel herbeizuschreiben suchten.

Wie in anderen europäischen Demokratien geraten nun auch im stabilitätsverwöhnten Deutschland die politischen Verhältnisse durcheinander. Die Linke spaltet sich auf, die bürgerlichen Kräfte bleiben weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Echte Siege sind selten geworden.

Dabei sind die realen Abweichungen minimal, die großen politischen Lager in etwa gleich stark geblieben. So betrachtet war diese Wahl – verglichen mit der letzten Abstimmung 2002 – fast ein Nullsummenspiel. Zusammengenommen büßte Rot-Grün 4,7 Prozentpunkte ein. Exakt 4,7 Punkte konnte die neue Linkspartei hinzugewinnen. Die CDU musste 3,3 Prozentpunkte abtreten. Genau 3,3 Punkte erbeuteten dafür die FDP und diverse Splitterparteien. Da die Splitterparteien im Parlament nicht mitzählen, ist das rot-rot-grüne Lager im Bundestag noch ein bisschen stärker als zuvor.

Extrem mühsam gestalteten sich vergangene Woche erste Versuche, angesichts dieses unisono zum „schwierigen Ergebnis“ erklärten Resultats eine Kanzlermehrheit zu schmieden. Schon am Wahlabend schossen wilde Spekulationen ins Kraut. Neben einer möglichen großen Koalition aus CDU/CSU und SPD kam auch die noch nie dagewesene „Ampel“ ins Spiel – Rot-Grün plus die gelbe FDP. Dazu die „Schwampel“– eine schwarze Ampel, bei der das Rotlicht ausgefallen ist. Für diese Konstellation fand sich flugs der poetischere Name „Jamaika-Koalition“. Denn die Landesfarben von Jamaika sind Schwarz, Gelb und Grün.

Zunächst aber traf man sich Mitte der Woche in den glücklosen Wunschkonstellationen. Am Mittwoch versicherten sich SPD und Grüne ihrer Zuneigung, am Donnerstag CDU/CSU und FDP. Zugleich begannen die Akteure, die Positionen und Präferenzen der Partner zu beschnuppern. Die Christenunion hat trotz aller Treueschwüre der FDP Sorge, diese könnte am Ende mit Rot-Grün paktieren. Und die Sozis fürchten, die von den Konservativen plötzlich recht heftig umworbenen Grünen könnten die Fronten wechseln und mit Angela Merkel gen Jamaika aufbrechen.

Schon werden Zweifel an einer solchen Abenteuerreise laut. Die Gegensätze zwischen CDU/CSU und Grünen sind groß, die der beiden Kleinparteien noch größer. Und auch der deutsche Souverän, dieser Teufelskerl, weiß nicht recht, wie er seinen Wahlcoup deuten soll. Etwa ein Drittel der Bundesbürger favorisieren laut den Demoskopen eine schwarz-rote Elefantenhochzeit. An „Jamaika“ hingegen findet nur rund ein Viertel Gefallen. Aber: Wer glaubt jetzt noch den Demoskopen?

Von Tom Schimmeck