Addio per  sempre

Italien. Silvio Berlusconis Mosaik der Peinlichkeiten

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Bis zum Ende versuchte er, den Italienern seine Visionen zu verkaufen; er versprach radikale Reformen und prophezeite dem Stiefelstaat nach Überwindung der Eurokrise eine große Zukunft. Allein: 17 Jahre nach seinem Einstieg in die Politik konnte Italiens Langzeitpremier Silvio Berlusconi selbst die treuesten Anhänger nicht mehr überzeugen. Die bestimmende politische Figur des Landes der vergangenen zwei Jahrzehnte tritt endgültig ab - und hinterlässt ein politisches und wirtschaftliches Chaos. Auf den Straßen Roms feiern Studenten und linke Gruppierungen den Abgang mit Prosecco, Schinken und Freudenchören. Doch der Jubel hält sich in Grenzen, nach ausgelassenen Partys ist den meisten Italienern nicht zumute. Dem Land steht in den kommenden Monaten ein eisernes Sparprogramm bevor, das alle gesellschaftlichen Gruppen hart treffen wird. Schon diese Woche dürfte eine breite Koalitionsregierung unter Leitung des früheren EU-Kommissars Mario Monti gebildet werden. Er soll verhindern, dass Italien wie Griechenland zahlungsunfähig wird - und damit den gesamten Kontinent in den wirtschaftlichen Abgrund reißt. Die linke Opposition hätte zwar gern umgehend Neuwahlen, denn sie rechnet sich Gewinne aus. Aber selbst Berlusconi dürfte den Ernst der Lage erkannt haben und macht nun Propaganda für eine Koalition unter dem "ehrenwerten und allseits geschätzten“ Wirtschaftsprofessor Monti.

profil hat Silvio Berlusconis Politik seit Anbeginn äußerst kritisch verfolgt und seinen Untergang - wie die meisten Medien - schon öfter vorausgesagt. Nun scheidet der Cavaliere aus der Politik aus - und muss sich mit einer Reihe von anstehenden Strafprozessen herumschlagen, vor denen ihn die politische Immunität bislang bewahrte. Eine Bilanz der drei Berlusconi-Regierungen (1994, 2001, 2008), die vorwiegend von politischem Stillstand, Sexaffären, Wirtschaftsprozessen, Mafiaskandalen und bizarren Showeinlagen geprägt waren.

Das politische Erbe

Die wichtigsten Gesetzesänderungen unter Berlusconi:

Steuersenkungen für Industriebetriebe und Großunternehmen

Verkürzung von Verjährungsfristen in der Justiz

Herabstufung der Bilanzfälschung vom Verbrechen zur Ordnungswidrigkeit

Neues Rundfunkgesetz, das der jeweiligen Regierung den direkten Zugriff auf den staatlichen Fernsehsender RAI gewährt

Abschaffung der Grundsteuer auf Eigenheime

Steuererleichterungen für Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Notare


Was Berlusconi versprochen hatte, aber niemals durchsetzte:

Steuererleichterungen für Mindestverdiener

Liberalisierung des Arbeitsmarkts

Senkung der Arbeitslosenzahlen

Bekämpfung der Schattenwirtschaft

Senkung der Kriminalitätsrate

Große staatliche Bauprojekte: Hochgeschwindigkeitseisenbahntrassen, Brücke vom Festland nach Sizilien


Berlusconis Wahlergebnisse und sein sich wandelnder Haaransatz

Forza Italia 21,01% 1994

Forza Italia 20,57% 1996

Forza Italia 29,43% 2001

Forza Italia 23,71% 2006

Popolo della Libertà 37,38% 2008


Vom Staubsaugervertreter zum Medienmogul - Silvio Berlusconis wichtigste Karriereschritte:

1954-1956 Staubsaugervertreter

ab 1956 Sänger in Nachtclubs und auf Kreuzfahrtschiffen

1961 Gründung des ersten Bauunternehmens Cantieri Riuniti Milanesi

1963 Gründung des Immobilienunternehmens Edilnord

1972 Gründung des lokalen TV-Senders Milano 2

1973 Gründung des Immobilienunternehmens Italcantieri

1974 Gründung des Immobilienunternehmens Immobiliare San Martino

1976 Umbenennung seines lokalen TV-Senders in Telemilano

1978 Fusion von Edilnord und Immobiliare San Martino zur Milano 2 SpA

Gründung der Privatsendergruppe Mediaset (Italia 1, Rete 4 und Canale 5)

Gründung der Fininvest, einer der wichtigsten Finanzholdings in Italien


Premier und Multimilliardär

Berlusconis Vermögen wird vom US-Wirtschaftsmagazin "Forbes“ auf rund 6,6 Milliarden Euro geschätzt. Der italienische Skandalpremier im internationalen Milliardärs-Ranking seit 2001:

2001 | Forbes Platz 29 7,5 Milliarden Euro

2002 | Forbes Platz 35 5,2 Milliarden Euro

2003 | Forbes Platz 45 4,3 Milliarden Euro

2004 | Forbes Platz 30 7,2 Milliarden Euro

2005 | Forbes Platz 25 8,7 Milliarden Euro

2006 | Forbes Platz 37 8,01 Milliarden Euro

2007 | Forbes Platz 51 8,6 Milliarden Euro

2008 | Forbes Platz 90 6,8 Milliarden Euro

2009 | Forbes Platz 70 4,7 Milliarden Euro

2010 | Forbes Platz 74 6,6 Milliarden Euro

2011 | Forbes Platz 118 4,5 Milliarden Euro


Welche linken Herausforderer Silvio Berlusconi überstanden hat

Achille Occhetto (Partito Democratico di Sinistra)

Romano Prodi (linkes Parteienbündnis Ulivo und Unione)

Massimo D’Alema (Democratici di Sinistra)

Fausto Bertinotti (Rifondazione Comunista)

Francesco Rutelli (Margarita, Ulivo)

Giuliano Amato (Ulivo)

Walter Veltroni (Partito Democratico)


Die Prozesse

Verurteilungen mit anschließender parlamentarischer Amnestie

Meineid im Fall seiner Mitgliedschaft bei der verbrecherischen Freimaurerloge Propaganda 2.

Bilanzfälschung rund um den Kauf von Grundstücken.

Freisprüche wegen Verjährung

Schmiergeldzahlungen an die Finanzpolizei.

Bilanzfälschung im Fall Lentini: Beim Kauf eines Fußballspielers wurde mehr Geld gezahlt als offiziell angegeben.

Richterbestechung im Fall Lodo Mondadori: Das Berufungsgericht stuft den Fall als "einfache Korruption“ und nicht als "Korruption in Gerichtsverfahren“ ein, deswegen ist der Fall verjährt.

Richterbestechung im Fall Sme-Ariosto: Es geht um den Kauf des staatlichen Lebensmittelkonzerns Sme.

Schmiergeldzahlung an den ehemaligen Ministerpräsidenten Bettino Craxi.

Freisprüche aus Mangel an Beweisen

Schmiergeldzahlung an die Finanzpolizei.

Bilanzfälschung beim Kauf des Unternehmens Medusa Cinematografica.

Richterbestechung im Fall des Lebensmittelkonzerns Sme.

Anklagen, die inzwischen keinen Tatbestand mehr darstellen.

Bilanzfälschung im Fall des Fininvest-Tochterunternehmens All Iberian: Es geht um illegale Parteispenden an den Partito Socialista Italiano (PSI) im Jahr 1991.


Freisprüche

Illegale Aneignung, Steuerbetrug und Bilanzfälschung im Fall Villa Macherio: Es geht um den Kauf von Grundstücken rund um eine von Berlusconis Villen.

Richterbestechung im Bilanzfälschungsfall des Lebensmittelkonzerns Sme.

Stillgelegte und unterbrochene Untersuchungen

Drogenhandel: Die Finanzpolizei hörte eine Zeit lang die Telefonleitungen Berlusconis ab, ohne irgendetwas Verdächtiges in Erfahrung zu bringen.

Preisabsprachen RAI-Fininvest: Berlusconi wurde angeklagt, als Ministerpräsident Preisabsprachen bei der Fernsehwerbung zwischen der staatlichen Anstalt RAI und seinem Konzern Fininvest vorangetrieben zu haben.

Schmiergeldzahlung an Beamte im Finanzministerium: Berlusconi soll Beamte bestochen haben, um eine Steuersenkung auf Bezahlfernsehen zu erreichen und Rückzahlungen zu erhalten.

Mafia-Anschläge 1992-1994: Berlusconi wird verdächtigt, Auftraggeber mehrerer Attentate zwischen 1992 und 1994 gewesen zu sein. Die Untersuchungen stützen sich dabei auf mehrere Aussagen von festgenommenen oder übergelaufenen Mafiosi.

Verdacht auf äußere Mitwirkung an einer mafiaartigen Vereinigung und Geldwäsche in Palermo.

Bilanzfälschung der Fininvest von 1988 bis 1992.


Laufende Verfahren

Missachtung des Anti-Trust-Gesetzes in Spanien und Steuerbetrug durch das Berlusconi-Unternehmen Telecinco: Das Verfahren wird aufgeschoben, um die Beziehungen zwischen Italien und Spanien nicht zu belasten.

Schmiergeldzahlungen an den britischen Anwalt David Mills, der mittlerweile rechtskräftig verurteilt wurde. Der Hintergrund: Ein Gesetzesentwurf sollte die Verhandlungen für ein Jahr aussetzen, sodass der Fall verjährt wäre.

Der Ex-Mafioso und heutige Kronzeuge Gaspare Spatuzza beschuldigt Berlusconi, während des Untergangs des alten Parteiensystems in den neunziger Jahren der sizilianischen Mafia ermöglicht zu haben, mit seiner Partei Forza Italia im politischen System mitwirken zu können. Berlusconi soll eine Mordanschlagsserie zur Destabilisierung des alten Systems gutgeheißen haben. Im Gegenzug sei ihm die Mafia beim Aufbau seines Wirtschaftsimperiums behilflich gewesen.

Ruby-Affäre: Amtsmissbrauch und Förderung der Prostitution Minderjähriger.


Der Text eines Songs, den Silvio Berlusconi gemeinsam mit dem neapolitanischen Sänger Mariano Apicella komponierte.

Meglio na’canzone

Ammore ammore mio mon amour

O sai nun ta aspettavo proprio chiù,

* te volevo scrivere na lettera però aggiu pensato

meglio na canzone pecche no

tenevo a voglia pazza e te vedè

tenevo a voglia pazza e te vasà

vasà sta vocca bella ca chiù bella nu ce sta

vasà sta vocca doce ca chiù doce nun ce sta.

Übersetzung

Besser ein Lied

Meine Liebe, mon amour

Weißt du, ich habe überhaupt nicht mehr mit dir gerechnet

und ich wollte dir einen Brief schreiben

und dann dachte ich, dass ein Lied besser wäre

ich hatte eine unbändige Lust, dich zu sehen

ich hatte eine unbändige Lust, dich zu küssen

diesen wunderschönen Mund küssen, der schöner nicht sein könnte

diesen wunderschönen Mund küssen, der lieblicher nicht sein könnte.


Das Pop-Phänomen

2009: Popstar des Jahres, gekürt vom italienischen "Rolling Stone“


Filme über Berlusconi

Dokumentarfilme

"Citizen Berlusconi: The Prime Minister and the Press“ von Andrea Cairola und Susan Gray, 2003

"Viva Zapatero!“ von Sabina Guzzanti, 2005

"Quando c’era Silvio“ von Beppe Cremagnani, Enrico Deaglio und Ruben Oliva, 2006

"Die Akte Berlusconi - Berlusconis Beziehungen zur Freimaurer-Geheimloge P2“ von Maria-Rosa Bobbi und Michael Busse, 2010

Spielfilme

"Bye Bye Berlusconi!“ von Jan Henrik Stahlberg, Deutschland/Italien 2006

"Der Italiener“ (ital: "Il caimano“) von und mit Nanni Moretti, 2006


Die Welt, als Silvio Berlusconi 1994 erstmals gewählt wurde

US-Präsident: Bill Clinton

britischer Premier: John Major

deutscher Kanzler: Helmut Kohl

österreichischer Bundeskanzler: Franz Vranitzky

Frankreichs Präsident: Jacques Chirac

Gründung der WTO

Völkermord in Ruanda

Ende der Apartheid - Nelson Mandela wird erster schwarzafrikanischer Präsident Südafrikas

Österreich entscheidet sich in einem Referendum für den EU-Beitritt

Sony bringt in Japan die PlayStation auf den Markt

Steven Spielbergs Holocaust-Drama "Schindlers Liste“ wird mit sieben Oscars ausgezeichnet

Kurt Cobain, Sänger der Band Nirvana, begeht Selbstmord

Brasilien wird vor Italien Fußballweltmeister


Die fragwürdigsten und vulgärsten Zitate

"Wir sollten unsere Partei in, Forza Gnocca‘ umbenennen.“ ("Gnocca“ bedeutet umgangssprachlich "Vagina“ - 1. Oktober 2011 im italienischen Parlament)

"Merkel ist ein unfickbarer Breitarsch.“ (Aufgezeichnetes Telefonat, in dem Berlusconi über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ätzte, September 2011)

"Es ist immer noch besser, junge Mädchen zu mögen, als schwul zu sein.“ (November 2010, bei einer Motorradshow in Mailand)

"Sie sollten das als Campingwochenende betrachten.“ (Zu den obdachlosen Erdbeben-Opfern von l’Aquila, April 2009 in einer TV-Ansprache vor Ort)

"Es wird nie genügend Soldaten in Italien geben, um die vielen schönen Mädchen vor einer Vergewaltigung zu schützen.“ (4. Jänner 2009 bei einer politischen Veranstaltung)

"Ich würde überall mit dir hingehen, und wäre ich nicht verheiratet, würde ich dir auf der Stelle einen Antrag machen.“ (Zu dem ehemaligen TV-Showgirl Mara Carfagna, die später zur italienischen Gleichberechtigungsministerin ernannt wurde, Jänner 2007 bei einem Galadiner)

"Ich bin der Jesus der Politik.“ ("La Repubblica“, Februar 2006)

"Lesen Sie das Schwarzbuch des Kommunismus, dann werden Sie sehen, dass die Chinesen unter Mao keine Kinder gegessen haben, sondern sie gekocht haben, um ihre Felder zu befruchten.“ (Februar 2006 im italienischen Parlament)

"Nur Napoleon hat mehr getan als ich. Aber ich bin viel größer als er.“ (TV-Show, Februar 2006)

"Mussolini hat nie Menschen umgebracht. Mussolini hat Menschen auf Urlaub ins Exil geschickt.“ (September 2004 in einem Interview mit dem "Spectator Magazine“)

"Herr Schulz, ich kenne in Italien einen Produzenten, der einen Film über Konzentrationslager der Nazis macht. Ich werde Sie für die Rolle eines Kapos vorschlagen. Sie sind dafür wie geschaffen.“ (Zum SPD-Europa-Abgeordneten Martin Schulz, Juli 2003 im Europa-Parlament)