Bestseller: Wolfgang Hohlbein. Trollwütig

Bestseller: Trollwütig

Ein Besuch beim deutschen Auflagenkaiser

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Herr Hohlbein öffnet persönlich, er ist heiser und ein wenig nervös. Das Kratzen im Hals kommt vom Rauchen, die Aufregung vom ungewohnten Besuch. Es kommt nicht sehr oft vor, dass ein ausländisches Magazin bei Herrn Hohlbein vorstellig wird. Was für einen Reihenhausbewohner aus einem Vorort von Neuss, einer mittelgroßen, mittelspannenden Stadt in Nordrhein-Westfalen, im Grunde nicht weiter bemerkenswert wäre – wenn dieser Reihenhausbewohner nicht auch ein Superstar wäre: Wolfgang Hohlbein, 54, ist der erfolgreichste aktive Autor im deutschen Sprachraum – mit respektablem Abstand vor Daniel Kehlmann und Patrick Süskind; selbst Cornelia Funke, die aktuelle Königin der Bestsellerlisten, spielt in einer anderen, bescheideneren Liga. Nur Heinz G. Konsalik (1921–1999) hat wirklich mehr verkauft.

Seit 25 Jahren schreibt Wolfgang Hohlbein, wie viele Bücher in dieser Zeit entstanden sind, weiß er selbst nicht mehr genau. Zwischen 150 und 170 vielleicht, schätzt der Autor, also mehr als sechs Bücher pro Jahr, darunter Krimis, Horror- und Science-Fiction-Geschichten, historische Romane, vor allem aber: Fantasy-Bücher. Seine Romane tragen Titel wie „Anubis“, „Die Templerin“, „Midgard“ oder „Azrael“. Schundliteratur, wie der Bildungsbürger sagt. Aber Hohlbein ist längst egal, was der Bildungsbürger sagt. 35 Millionen Bücher hat er bis dato verkauft, das entspricht, bei einer Durchschnittsbuchdicke von drei Zentimetern (und Hohlbein tendiert dazu, dieses Maß deutlich zu überschreiten), einem Stapel von knapp 1050 Kilometer Höhe, 118-mal der Mount Everest. Man darf annehmen, dass der Mann keine Geldsorgen hat.

Mittelalterkitsch. Bloß: Man sieht es nicht. Herr Hohlbein bittet ins Wohnzimmer. Die Decke ist niedrig, der Raum düster, im Kamin lodert kein Feuer. Der Autor, hager, leicht gebückt, macht Kaffee (dünn), zündet sich eine Zigarette an (selbst gedreht), setzt sich hinter den massiven Esstisch und blickt auf sein Reich, eine seltsame Ansammlung von Fantasy- und Mittelalterkitsch: eine Ritterrüstung im Eck, Schwerter und Schilde an der Wand, Troll-, Elfen- und Drachenfiguren eigentlich überall und als Höhepunkt: ein Beistelltisch aus Glas, getragen von einem überlebensgroßen Skorpion. Ein wenig sieht es aus wie in einem leicht überladenen Geschenkegeschäft, und tatsächlich: „Mein Sohn hat einen Fantasyladen, da entdeckt man zwangsläufig immer mal wieder etwas, was einem gefällt. Deshalb sieht es hier so aus.“

Der Blick hinter Wolfgang Hohlbeins bemerkenswert schiefer Metallbrille trifft sein Gegenüber nicht immer, der struppige Vollbart wuchert über die Oberlippe, die langen Haare trägt er pflegeleicht zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Ambiente hat die besten Anlagen zur Trostlosigkeit. Doch das Gegenteil ist der Fall: Eine unwiderstehliche Herzlichkeit durchweht dieses Haus. Hohlbein neckt seine Frau Heike, zwei seiner sechs Kinder schlagen im ersten Stock diverse Türen zu (die älteren vier wohnen in den Reihenhäusern nebenan), zwei Möpse („Max und Moritz – wie sollen sie sonst heißen?“) wuseln durchs Haus, balgen sich mit den vier Katzen der Familie.

AC/DC und Schlager. „Ich brauche Leben um mich“, sagt Hohlbein, „auch beim Arbeiten.“ Seine Bücher entstehen hier, am Wohnzimmertisch. Sein Arbeitszimmer sucht er nur auf, um Musik zu hören: „Was das betrifft, gibt es leichte Differenzen mit meiner Frau. Hier AC/DC, dort Schlager.“ Doch an der Vermittlung wird bereits gearbeitet: „Sie geht mit zu Manowar, und ich begleite sie zum Gospel-Konzert. Was tut man nicht alles aus Liebe.“

Drei bis fünf Stunden täglich schreibt Hohlbein; wenn es einmal läuft (und offenbar läuft es ziemlich oft), können daraus aber auch gern zwölf, sechzehn Stunden werden, dann schreibt Hohlbein bis in die Morgenstunden. Seine Arbeitsweise erscheint anachronistisch: Er schreibt mit der Hand. Selbst der 170-Bücher-Mann laboriert am alten Problem des kreativen Bildschirmarbeiters: „Wenn ich hinter dem Computer sitze, installiere ich eher zum siebzigsten Mal den Druckertreiber, als dass ich etwas schreibe.“

Bis vor Kurzem füllte Hohlbein Notizbuch um Notizbuch mit seiner akkuraten Handschrift, ohne Gekritzel, ohne Korrekturen, druckreif. Seit einiger Zeit verwendet er einen Tablet-PC, einen Computer mit Schrifterkennungsprogramm. An seiner Arbeitsweise hat sich dadurch nichts geändert. Nachbearbeitungen oder Korrekturen kennt Hohlbein nicht. Was er schreibt, sitzt. „Ich kann nur schnell schreiben oder gar nicht. Und ein Roman wird nicht besser, wenn ich ihn bearbeite, nur länger.“ Davon abgesehen: Kein Lektor der Welt könnte mit Hohlbeins Output mithalten. Vier Verlage beliefert er regelmäßig: Bastei Lübbe, Droemer Knaur, Piper und den Wiener Ueberreuter Verlag, der ihn vor 25 Jahren entdeckt hat.

Generationenfrage. Damals arbeitete Hohlbein, Sohn eines Autoschlossers, noch als Industriekaufmann. „Man sitzt herum und füllt Frachtscheine aus, die einen nicht die Bohne interessieren“, erinnert er sich. „Das war eine Generationenfrage. Ich wollte etwas Handwerkliches lernen, aber das kam für meine Eltern nicht infrage. Der Sohn sollte es später einmal besser haben.“ Ein Plan, der allenfalls finanziell aufging. Den Frust aus dem ungeliebten Brotjob schrieb sich Hohlbein in Nachtschichten von der Seele, zunächst in Kurzgeschichten und dem einen oder anderen Heftroman. Den Anstoß, sich an Größeres zu wagen, gab aber erst ein Talentwettbewerb des Ueberreuter Verlags. Gemeinsam mit seiner Frau Heike, mit der er seit 1974 verheiratet ist und die viele seiner Romane als Muse, Ideengeberin und Co-Autorin bereichert hat, entwarf er das – unverkennbar von J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“ inspirierte – Fantasy-Abenteuer „Märchenmond“. Die Geschichte gewann den Wettbewerb, Hohlbein beschloss, professionell zu schreiben. Kein leichter Schritt: „Objektiv betrachtet war das der schiere Wahnsinn. Wir hatten damals ja schon drei Kinder.“

Doch hin und wieder rentiert sich der Wahnsinn: „Märchenmond“ wird derzeit in der 32. Auflage gedruckt, mit knapp vier Millionen Stück ist es bis heute Hohlbeins größter Erfolg. Und Ueberreuter hatte einen Bestsellerautor gewonnen, der bis heute die Jugendbuchlinie des Verlags trägt. Verlagschef Fritz Panzer, entsprechend enthusiasmiert: „Wolfgang Hohlbein hat eine seltene Begabung, ich möchte fast sagen: Er ist ein Genie. Und er ist ein durch und durch guter Mensch. Ich habe ihn wirklich schätzen gelernt: Wolfgang könnte sich was weiß ich für Allüren leisten, tut es aber einfach nicht.“ Das einzige Problem, das Panzer derzeit plagt: Hohlbeins nächster Roman sollte möglichst nicht mehr als 864 Seiten haben, alles andere würde die Kapazität der Buchdruckmaschine sprengen. Allein: Schon die ersten Entwürfe bewegen sich deutlich jenseits der 700 Seiten.

Aufregung in Neuss: Der Postbote bringt ein Paket, es enthält Bücher. Auf dem Einband steht Wolfgang Hohlbeins Name, der Autor versteht trotzdem kein Wort. Heike Hohlbein nimmt sich der Sache an, gemeinsames Rätselraten, „könnte Spanisch sein“, ist aber, wie sich herausstellt, Portugiesisch. In 34 Sprachen wurden Hohlbeins Bücher übersetzt, seit 2004 ist er auch am chinesischen Markt vertreten, was vorerst, wie der Autor behauptet, „vor allem fürs Image und für mein Ego“ relevant ist. Tatsächlich sind Hohlbein-Geschichten – und das erklärt ihren Erfolg zumindest zum Teil – auf unprätentiöse Weise universell. Kritiker sagen auch: schablonenhaft. Das hat etwas für sich, wird diesem Œuvre aber nicht gerecht.

Gut gegen Böse. Der typische Hohlbein-Roman ist sehr dick und kommt nicht allein: Hohlbein schreibt in Zyklen, Reihen und Fortsetzungen. Was auch damit zusammenhängt, dass die fantastische Literatur ein seltsam beschränktes Genre ist, das kaum Innovationen, schon gar keine Revolutionen kennt. Zwar sind ihm weder durch Naturgesetze noch Wahrscheinlichkeiten Grenzen gesetzt; dennoch dreht sich das Genre im Grunde ständig ums Gleiche: Gut gegen Böse. Elfe gegen Troll. Weiße Magie gegen dunkle Magie. Innerhalb dieser Struktur ist alles möglich, das Grundprinzip selbst bleibt aber unangetastet. Fantasy lebt von Stereotypen, Fans sprechen etwas freundlicher von Archetypen. Ohne nordische Heldensagen kein Tolkien, ohne Tolkien kein Hohlbein. Kein Wunder, dass Hohlbein den Klischeevorwurf nicht nur einmal gehört hat. Er nimmt’s gelassen. Wer sechs Bücher pro Jahr schreibt, muss nicht jedes Mal sein Genre neu erfinden.

Noch etwas muss Hohlbein ganz bestimmt nicht: das Feuilleton begeistern. Die Pressestimmen auf seiner Homepage stammen aus Zeitschriften wie „Hörzu“ oder „Berliner Morgenpost“. Der gepflegte Rezensionsjournalist ist auf dem Fantasy-Auge bis heute blind, U-Literatur bleibt tabu, U-Literatur für Jugendliche sowieso. Früher, am Anfang seiner Karriere, wäre Hohlbein schon auch gern von einem Reich-Ranicki bemerkt worden, heute kränkt ihn die Missachtung durch den Literaturbetrieb nicht mehr.

Immerhin: Der Fantasy-Boom der vergangenen Jahre, losgetreten durch die „Herr der Ringe“-Filme und den Harry-Potter-Hype, hat zumindest einige überkommene Vorurteile beseitigt. „Die fantastische Literatur ist ein bisschen salonfähig geworden“, meint Hohlbein: „Sie wird nicht mehr automatisch ins Schmuddeleck geräumt.“

Styroporburgen. Hohlbein hätte es längst nicht mehr nötig zu arbeiten. Warum setzt er sich nicht zur Ruhe? Die Antwort überzeugt mit ihrer Schlichtheit: „Weil das Schreiben keine Arbeit für mich ist. Zumindest keine, die negativ besetzt wäre.“ Wolfgang Hohlbein behauptet, dass er sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Es ist wohl eher umgekehrt: Sein Beruf ist zum Hobby geworden. Er schreibt, weil er es gern tut, nicht mehr des Geldes wegen, das ihm, sagt Hohlbein, ohnehin nicht wichtig sei, „solange der Kühlschrank voll ist“. Einziger Luxus bleibt sein kanariengelber Lotus. Heuer hat er ihn genau zweimal aus der Garage geholt. Momentan bastelt er in seiner Freizeit lieber Styroporburgen – und denkt sich dabei neue Geschichten aus.

Es dämmert in Neuss, das Telefon läutet. Es ist der freundliche Mann von BMW, der in letzter Zeit erstaunlich oft anruft. Wolfgang Hohlbein hat sich vor Kurzem dazu durchgerungen, doch mal wieder ein neues Familienauto zu kaufen. „Aber seit die gemerkt haben, mit wem sie es zu tun haben, versuchen sie mit allen Mitteln, mir irgend so ein 100.000-Euro-Modell anzudrehen.“

Nichts läge Wolfgang Hohlbein ferner, als auf dieses Angebot einzugehen.

Von Sebastian Hofer