Beziehungen

Beziehungen: Schlampige Verhältnisse

Aus für den Mythos der weiblichen Monogamie

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Die Unterhose, an sich zur Bedeckung gedacht, hat alles offen gelegt. Was wie ein Gag aus einer Ernst-Lubitsch-Komödie anmutet, initiierte für Rainhard Fendrich die bittere Erkenntnis, dass der Nebenbuhler bei seiner Frau nicht nur lieben, sondern auch noch waschen ließ.

Werden Österreichs Herren nach Fendrichs weidwunder ATV+-Beichte bei Dieter Chmelar je wieder unbelastet an den eigenen Wäscheschrank gehen können? Und wird der Hermann Leopoldi für GTI-Fahrer nun zu Österreichs männlicher Lady Diana, dem Schutzheiligen für alle hintergangenen Ehemänner?

Die Aufregung an den Bassenas des Landes, die das Fendrich-Drama nach sich zog, lässt sich durch den Umkehrschock erklären. Dass Ehemänner, die im Spätsommer ihres Lebens in Frühlingsstimmung geraten, ihre lang gedienten Frauen mit frischeren Modellen betrügen beziehungsweise sie um derentwillen auch verlassen, hat längst Gewohnheitscharakter.

Schön, tragisch für Edith Klestil und Sonja Klima, Uschi Glas oder Sybille Beckenbauer, resümiert die Volksseele nach der Boulevard-Lektüre, aber der Plot ihrer Schicksalsdramen wirkt in Wahrheit so abgeschmackt wie ein Bastei-Lübbe-Roman.

Dass Frauen wie Andrea Fendrich die Freudlosigkeit der eigenen Beziehung in Abenteuern auf der Nebenfahrbahn zu kompensieren versuchen, erzeugt jedoch auch mehrere Jahrzehnte nach den ritualen BH-Verbrennungen und der Proklamation des klitoralen Orgasmus offenbar immer noch Verstörung.

Der Trost, dass es sich hierbei um einen Einzelfall in der gesellschaftlichen Beletage handle, verpufft angesichts der statistischen Realität schnell. Auch diesseits der Fendrichs oder Windsors mit ihren sprungbereiten Tennis- und Reitlehrern entfliehen Frauen der betongrauen Monotonie ihrer Ehe mit andern als den angetrauten Partnern.

Erst vor wenigen Monaten erregte das Buch der renommierten US-Geschlechtsforscherin Susan Shapiro-Barash (siehe Interview) „A Passion for More“, das sich mit dem Untreueverhalten verheirateter Frauen befasst, die amerikanische Öffentlichkeit. Die New Yorkerin verdichtete hunderte Tiefeninterviews zu einer bemerkenswerten statistischen Erkenntnis: Demnach haben 60 Prozent der US-Frauen ihren Ehemann mindestens einmal betrogen. 65 Prozent davon erklärten, dass der Sex mit dem Geliebten jenen in den eigenen vier Wänden entschieden überstrahle. 45 Prozent arrangierten sich in einem Dreiecksverhältnis, ohne jede Absicht, sich scheiden zu lassen – nach dem Vorbild des Hollywood-Hörnungsdramas „Untreu“ mit Richard Gere in der Rolle des gelackmeierten Gatten. 33 Prozent hingegen gaben an, dass der Liebhaber als Katalysator dafür diente, eine ohnehin zerrüttete Ehe zu beenden. Und 90 Prozent der Interviewten erklärten, dass sie ihre Abenteuer ohne jedes Schuldgefühl absolvierten. So viel freimütig bekannte Unmoral rief in den vom Bush-Konservativismus geprägten USA erwartungsgemäß die größte Empörung hervor.

Sexuelle Tristesse. Doch wie ist es um das außereheliche Paarungsverhalten in Österreich bestellt? In einer großen einschlägigen profil-Umfrage im Jahr 2000 bekannten sich die Frauen vordergründig zum Sicherheitsdenken: Geborgenheit und Sicherheit rangierten zwölf Prozentpunkte vor der Treue als wichtigster Voraussetzung für eine Beziehung – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass zwar 60 Prozent der befragten Männer und Frauen sich zum festen Glauben an die große Liebe bekannten, aber um zehn Prozentpunkte weniger Frauen als Männer angaben, diese bereits gefunden zu haben. Was den Rückschluss zulässt, dass Frauen sich weit häufiger in der Kompromisszone zwischen Traum und Wirklichkeit niederlassen, nur um nicht allein zu bleiben.

„Frauen tendieren nach wie vor weit häufiger dazu, sich durch ihre Beziehungen zu definieren“, erklärt die Wiener Paartherapeutin Claudia Karolinsky. „Sie sind deswegen aber auch schneller darin unzufrieden als Männer.“

Dass das Arrangement mit der Vernunft auch auf sexueller Ebene einen hohen Frustrationsfaktor bergen kann, dokumentierte die profil-Umfrage nachdrücklich: Während 44 Prozent der befragten Männer ihrem Sexualleben die Note „Ist in Ordnung“ attestierten, konnten sich nur 24 Prozent der interviewten Frauen dieser Aussage reinen Herzens anschließen. Ein weiteres Indiz für die sexuelle Unzufriedenheit der österreichischen Frauen: 21 Prozent der Frauen, die der sexuellen Lust in ihrer Beziehung eher marginale Bedeutung beimaßen, gaben an, dennoch mehrmals pro Woche mit ihrem Partner zur Sache zu gehen. Trotz dieser statistischen Bestandsaufnahme weiblicher Tristesse bekannten sich nur acht Prozent der Frauen (im Gegensatz zu 20 Prozent der Männer) dazu, ihren derzeitigen Partner bereits einmal betrogen zu haben. Nur in der Altersgruppe zwischen 30 bis 49 Jahren sind es zehn Prozent. Prinzipiell tendieren Frauen aber, auch das ist statistisch erwiesen, in Umfragen weit häufiger als Männer dazu, die Wahrheit zu ihren Gunsten umzuformen.

„Die Bereitschaft von Frauen, sich das zu holen, was sie zu Hause nicht kriegen“, bestätigt die Psychotherapeutin Rotraut Perner, „steigt natürlich auch mit dem Einkommen, dem Karrierelevel und der damit verbundenen sozialen Mobilität. Frauen mit einem hohen Selbstwertgefühl haben auch viel weniger Angst, allein zu sein, und deswegen in Beziehungen eine viel niedrigere Kompromissbereitschaft als zum Beispiel jene, die ein Hausfrauendasein im goldenen Käfig des Bürgertums fristen.“

Dass Rainhard Fendrich sich jetzt medial als Tragöde in Jogginghosen inszeniert, begründet Perner mit der „wachsenden Feminisierung der Männer“. Die Rollenbilder würden zusehends vertauscht: „Während Frauen immer weniger bei Duftkerzen und Rilke verführt werden wollen“, so Perner, „beschweren sich immer mehr Männer, zu wenig geliebt zu werden. Sie wollen die Frau als Mutterersatz. Warum sonst kann sich Herr Fendrich darüber beklagen, dass ihm seine Frau das Apportieren von Mineralwasser verweigert hat?“

Ehebrechen im TV. In dem auf Reality-Grobkorn abonnierten Privatsender ATV+ kann man jeden Dienstag in der US-Sendung „Betrogen – Ich hab’s geahnt“ mitanschauen, wie misstrauische Proletarier TV-Teams auf ihre vermeintlich fremdgehenden Frauen hetzen. Und werden die Silikon-Blondinen tatsächlich in flagranti ertappt, gönnen sie ihren desperaten Gatten allenfalls Standardsätze wie: „Er gibt mir das, was du nicht mehr drauf hast!“

Anders als in der bürgerlichen Literatur des 19. Jahrhunderts, als Ehebrecherinnen wie Tolstois Anna Karenina, Flauberts Emma Bovary und Fontanes Effi Briest sich noch vor den Zug warfen, Arsen schluckten oder an gebrochenem Herzen verschieden, braucht die fremdgehende Frau von heute in der Regel nur einen guten Anwalt.

„Schlampige Verhältnisse“, wie sie der Belle-Époque-Dramatiker Arthur Schnitzler bereits seinen verheirateten Lebedamen in Stücken wie „Reigen“ und „Anatol“ ohne verheerende Konsequenzen zugestand, werden langsam, aber stetig zum zwischengeschlechtlichen Alltag. In einer Umfrage des deutschen Gewis-Instituts vom letzten Dezember für die Illustrierte „Stern“ gaben 43 Prozent der Frauen (und 51 der Männer) an, in ihrer Beziehung schon mindestens einmal fremdgegangen zu sein. „Und nur knapp die Hälfte der Frauen“, so der „Stern“, „piekste das Gewissen, wenn sie dem eigenen Mann vor dem Schlafen über die Wange streicheln und am nächsten Morgen im Waldgasthof mit derselben Hand den Schaft des Zweitmanns striegeln.“

„Bumsen ist wie Atmen“, entzauberte die verheiratete Schriftstellerin Cathérine Millet 2001 in ihrem Roman „Das sexuelle Leben der Cathérine M.“ den Glauben, dass weibliche Affären noch immer vorrangig von Emotionen gesteuert werden.

Charles Darwin postulierte in seinem 1871 erschienenen Werk „Die Abstammung des Menschen“, dass die Affenmännchen die Herde zwecks Fremdgang verlassen, weil es ihrem Triebverhalten entspreche, ihren Samen möglichst breit zu streuen. Das Primatenweibchen dagegen hatte sich im Darwin’schen Weltbild in „spröder Zurückhaltung“ zu üben, die nur dann gebrochen wurde, wenn es galt, „von der Überlegenheit des Männchens beeindruckt“, das Beste auszuwählen und sich befruchten zu lassen.

Längst hat die Evolutionsbiologie das Klischee vom in monogamer Zurückhaltung lebenden Affenweibchen revidiert. „Die sind wirklich nur manchmal monogam“, so die Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy, „viel häufiger polygam, manchmal mütterlich, aber auch destruktiv und an hohem gesellschaftlichem Ansehen genauso interessiert wie ihre männlichen Artgenossen.“

„Genetische Einkaufsbummel“ – mit dieser Metapher belegt der US-Evolutionsbiologe David Buss die Tatsache, dass sich Affenweibchen bisweilen von fünf Männchen gleichzeitig begatten lassen – sind offenbar auch im evolutionären System der Frauen vorgesehen. In der auf Vaterschaftstests spezialisierten Grazer Biotechfirma EccoCell „beweisen 24 Prozent der eingeschickten Tests, dass der vermeintliche Vater nicht der biologische ist“, erklärt der Institutsleiter Manfred Hochmeister.

Dass der zehnfache Vater und Gatte einer duldsamen wie unglücklichen Frau, Charles Darwin, dem Irrglauben aufsaß, dass das Menschenweibchen das Prinzip Monogamie genetisch verinnerlicht habe, liegt, so Sarah Blaffer Hrdy, neben seinem viktorianischen Weltbild vor allem daran, „dass er niemals Affenweibchen in der freien Wildbahn beobachtet hat“.