Mythos Bienensterben

Mythos Bienensterben: Phänomen ist seit mehr als 1000 Jahren bekannt

Wissenschaft. Das Phänomen ist seit mehr als 1000 Jahren bekannt

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Der Imker Emmerich Fazekas aus dem burgenländischen Lutzmanns-burg kann das Wort "Bienensterben“ nicht mehr hören. Wenn ihn Journalisten telefonisch danach fragen, legt er oft wortlos auf. "Das Bienensterben gibt es nicht“, sagt Fazekas, zugleich Präsident des Landesverbandes der burgenländischen Imker, gegenüber profil. "Das ist so hochgeschaukelt worden und hat eine unglaubliche Eigendynamik bekommen. Es gibt bei uns momentan keine Probleme, und wir haben schon lange keine Bienenkrankheiten mehr.“

„Kurzlebige Individuen”
Auch der Landesobmann der Salzburger Imker, Wilhelm Kastenauer, meldet keine gravierenden Ausfälle ("das Problem ist nicht wirklich existent“), und der Präsident des steirischen Imkerverbandes, Maximilian Marek, berichtet: "Ich bin seit 40 Jahren im Geschäft. Wir hatten in den Jahren 2011/12 starke Verluste von 25 Prozent, aber im Jahr darauf waren es wieder gleich viele Bienenvölker wie zuvor. Bienen sind kurzlebige Individuen, es gibt eine normale Sterblichkeit, einmal mehr, einmal weniger, im nächsten Jahr gleicht sich das wieder aus. Wir haben keine Rückgänge in der Produktion.“

Der niederländische Bienenforscher Robin Moritz, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg lehrt, erklärt im profil-Interview, Ausfälle "bis zu einem Drittel“ seien biologisch erklärbar. Über die vielgescholtenen Saatgutbeizmittel Neonikotinoide sagt Moritz, es habe in der Anfangszeit der Anwendung einige gravierende Unfälle durch vorschriftswidrige Ausbringung gegeben, aber es gebe bis dato keinen Beweis dafür, dass diese weltweit eingesetzten, an sich hochgiftigen Mittel Bienenvölker nachhaltig schädigten. In Bienenstöcken und im Honig seien diese Wirkstoffe nicht nachweisbar. Wenn Bienenverluste bis zu einem Drittel biologisch erklärbar sind, wie Moritz sagt, dann lagen alle bisherigen Ausfälle in Österreich und in den meisten europäischen Ländern darunter. Die Honigproduktion in Österreich ist mit Schwankungen stabil, die Zahl der Imker steigt ebenso kontinuierlich wie die Anzahl der Bienenvölker.

Das Bienensterben - ein Mythos.
Auch in Deutschland steigt nicht nur die Zahl der Imker, sondern auch die Zahl der Bienenvölker an, obwohl es im Frühjahr 2008 im baden-württembergischen Oberrheintal eine massive Vergiftung von - amtlich bestätigten - 11.500 Bienenvölkern gab, die durch das vorschriftswidrige Ausbringen des Insektizides Clothianidin aus der Gruppe der Neonikotinoide verursacht worden war. In einigen europäischen Ländern - Dänemark, England und Italien - gab es in den vergangenen Jahren massive Bienenverluste, aber die Bestände haben sich seither wieder erholt. "Auch weltweit steigt die Zahl der Bienenvölker an“, berichtet Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der baden-württembergischen Universität Hohenheim. Der Bestand hat in den vergangenen 50 Jahren um 45 Prozent zugenommen.

Als in den vergangenen Jahren Berichte über massive Bienenverluste in den USA auftauchten, griffen auch europäische Medien das Thema auf. Aus der amerikanischen Bezeichnung Colony Collaps Disorder (CCD) wurde der Begriff "Bienensterben“ geboren, der viele Assoziationen und Emotionen weckt: vom frevelhaften Erdenbewohner, der die Umwelt vergiftet, den Planeten ausraubt und nun offenbar darangeht, auch noch seine wichtigsten Nahrungsressourcen zu untergraben. Zur Untermauerung musste häufig ein angebliches Zitat Albert Einsteins herhalten, das dieser nie gesagt hat (es ist auch inhaltlich falsch): "Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr.“ So schnell kann es gehen.

Verluste sind nicht ungewöhnlich
Keine Frage: Bienenverluste gab es in den vergangenen Jahren nicht nur in den USA und in Europa, sondern auch im Mittleren Osten und in Japan, wenn auch nicht so massiv wie in den USA, wo vorwiegend in Kalifornien eine sehr intensive Form der Imkerei betrieben wird. Aber selbst das Ausmaß der US-Verluste ist nicht so neu und einzigartig wie vielfach dargestellt, "denn eine Analyse historischer Aufzeichnungen zeigt, dass derart extensive Verluste nicht ungewöhnlich sind“, hieß es im Jahr 2010 im "Journal of Apicultural Research“. Sie traten in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder auf, speziell in Nordeuropa, lange vor Pestiziden und anderen Schädlingsbekämpfungsmitteln in der Landwirtschaft. "Großflächige Bienenverluste sind seit über 1000 Jahren bekannt“, berichtet Karl Crailsheim, Leiter der Arbeitsgruppe Bienen am Institut für Zoologie der Universität Graz.

„Großes Bienensterben”
So gab es laut Crailsheim beispielsweise um das Jahr 900 in Irland "ein großes Bienensterben“. Und vor gut 100 Jahren, im Jahr 1906, registrierten die Imker auf der kleinen, der englischen Südküste vorgelagerten Isle of Wight, dass viele ihrer Bienenvölker starben. Die Tierchen krabbelten aus dem Stock, konnten nicht fliegen und verendeten. Schon damals berichteten Zeitungen in großer Aufmachung über das vermeintlich neuartige Bienensterben. Obwohl einige skeptische Imker der Meinung waren, es handle sich um die lange bekannte "Paralyse“, waren viele ihrer Berufskollegen überzeugt, dass es sich um eine neue, hochinfektiöse Bienenkrankheit handle. Innerhalb weniger Jahre wurden alle Bienenverluste in Großbritannien, egal welcher Ursache, der neuen Infektion "Isle of Wight Disease“ zugeschrieben.

Von der britischen Regierung angeheuerte Forscher machten für die hohen Bienenverluste jahrelang mal einen Milbenbefall, mal die eine oder andere Krankheit verantwortlich, ohne die wahre Ursache herauszufinden. Erst 1991 ergab eine neuerliche Überprüfung, dass das Phänomen auf ein Zusammentreffen verschiedener Faktoren zurückzuführen war, speziell auf eine Infektion mit dem chronischen Paralysevirus, das zu Anfang des Jahrhunderts noch unbekannt war. Schlechtwetter verhinderte zudem die Futtersuche, außerdem überstieg die Zahl der gehaltenen Bienenvölker das Futterangebot.

Crailsheim und seine Mitarbeiter führen auch die heutigen Probleme in der Bienenzucht auf ein Bündel von Ursachen zurück, in deren Zentrum die Varroamilbe steht, die auch am leichtesten nachweisbar ist. Die Grazer Wissenschafter untersuchen im Rahmen des internationalen, von der EU unterstützten Forschungsnetzwerks CoLoss (von "Colony Losses“) seit sechs Jahren Bienenverluste in Österreich. Das Netzwerk wurde aufgrund der massiven Ausfälle bei Bienenvölkern in den USA gebildet, um weltweit die Ursachen solcher Verluste zu untersuchen. Laut einer von der Arbeitsgruppe durchgeführten Umfrage beklagten österreichische Imker durchschnittliche Bienenverluste von 25 Prozent im Winter 2011/12 und etwas mehr als 17 Prozent im vergangenen Winter. Auffallend ist laut Crailsheim, dass Imker, die über höhere Winterverluste klagen, auch stets von einem hohen Varroa-milben-Befall berichten.

Die Varroamilbe wurde Mitte der 1980er Jahre aus Asien in Europa eingeschleppt. Heute gibt es in Österreich kein Bienenvolk ohne Varroabefall. Die Parasiten bohren in den Sommermonaten die Haut der Larven oder den Panzer der erwachsenen Bienen an und saugen die Hämolyse (das im Bauch befindliche Insektenblut) an, was den Organismus der Opfer schwächt. Der Imker kann aber gegen die Milben erst nach Ende der Honigsaison im Spätsommer vorgehen. Es gibt dagegen chemische Mittel, aber heute sind biologische Substanzen gebräuchlich. So werden die Bienenvölker im Spätsommer mit verdampfter Ameisensäure besprüht, im Winter mit Oxalsäure beträufelt, einem aus Rhabarber gewonnenen Wirkstoff. Einfach sind diese Behandlungen nicht, es kommt auf den richtigen Zeitpunkt, die richtige Dosierung und das richtige Wetter an. Wenn es beispielsweise zu warm ist, verdunsten die Substanzen rasch, was ihre Wirksamkeit verringert. "Wenn wir die Milbe zerstören, leidet die Biene, daher muss der Imker exakt dosieren und sauber arbeiten“, sagt Maximilian Liedlbauer, Präsident des oberösterreichischen Landesverbandes für Bienenzucht. "Wir haben gelernt, damit umzugehen.“ Aber selbst im günstigsten Fall ist die Belastung für die Bienen nicht gleich null.

Paralysevirus
Durch den Milbenbefall werden Larven und Bienen gleich mehrfach geschädigt: Die Parasiten infizieren ihre Opfer mit verschiedenen Viren wie etwa dem "deformed wing virus“, der bewirkt, dass die Jungbienen mit verkrüppelten Flügeln zur Welt kommen, was ihre Flugfähigkeit einschränkt und ihre Lebenszeit verkürzt. Der Paralysevirus wiederum schwächt die Vitalität und Bewegungsfähigkeit der Bienen und führt zum vorzeitigen Tod. Der Präsident des Vorarlberger Imkerverbandes Egon Gemeiner beobachtet eine zunehmende Imbalance zwischen Bienen und Varroamilbe: "Entweder ist die Milbe stabiler oder das Bienenvolk instabiler. Früher ist ein Bienenvolk bei 8000 Varroamilben gestorben, heute genügen dafür 2000 bis 3000.“

Verarmung der Futterplätze
Verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel weiterer Faktoren, welche Bienenvölker schädigen können. Ein gravierendes Problem ist die Verarmung der Futterplätze durch Monokulturen. "Wir haben Hinweise darauf, dass die Winterverluste größer sind, wenn die Bienenstöcke in der Nähe von Maisäckern stehen“, berichtet Bienenkundler Crailsheim. Honiginsekten sind nämlich gesünder und vitaler, wenn sie in ihrem Flugradius von etwa drei Kilometern eine Vielfalt von Blüten ansteuern können. Finden sie aber nur Maisäcker vor, dann ist ihre Ernährung einseitig, weil der Mais keinen Nektar, sondern nur Pollen spendet. Vor allem Imker im oberösterreichischen Mühl- und im niederösterreichischen Weinviertel berichten von neu entstandenen Agrargasanlagen, die zur Folge haben, dass im Umland viel mehr Mais angebaut wird. "Das Komische ist nur, dass es dort, wo kein Mais angebaut wird, auch Ausfälle gibt“, wundert sich Johann Gruscher, niederösterreichischer Landesobmann und Präsident des Österreichischen Imkerbundes.

Viele Imker sind überzeugt, dass ihre Bienenvölker durch Pestizide und Insektizide nachhaltig geschwächt oder getötet werden. "Der Zusammenhang mit Pestiziden ist eindeutig belegt“, sagt beispielsweise Christian Boigenzahn, Geschäftsführer der Biene Österreich. Experten der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES untersuchten in den Jahren 2009 bis 2011 im Rahmen der Melissa-Studie eventuelle Zusammenhänge zwischen insektizidgebeiztem Saatgut (Neonikotinoide) und Bienenschäden. Dabei fanden sie eine zeitliche und räumliche Übereinstimmung mit dem Anbau in den drei Jahren; dazu Spuren des Beizmittels in Bienen, Bienenbrot und Pflanzenproben aus der Nachbarschaft von Maisfeldern sowie Rückstandsnachweise in Vergiftungsverdachtsfällen.

Das seit sechs Jahren laufende deutsche Bienen-Monitoring hingegen kommt zu einem anderen Ergebnis: "Wir stellen fest, dass wir Neonikotinoide in Bienenprodukten nicht nachweisen können oder dass dadurch Bienenvölker kontaminiert oder geschädigt werden“, sagt der deutsche Bienenforscher Peter Rosenkranz. Das auf zwei Jahre befristete EU-Verbot von Neonikotinoiden im bienenrelevanten Pflanzenbau hält der Forscher dennoch für sinnvoll, um die aufwallenden Emotionen zu beruhigen. "Aber die Beizmittel direkt mit Bienenverlusten zu korrelieren, schießt über das Ziel hinaus.“