Bildung: „Edelstein“, schwer angekratzt

Die ewige Baustelle Bildungsministerium

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Die Regie hatte sich eine schöne kleine Inszenierung ausgedacht: An jenem Sonntag sollte eine vor Fahndungsglück strahlende Innenministerin Liese Prokop einer nicht weniger glücklichen Kulturministerin Elisabeth Gehrer vor laufenden Kameras die goldblitzende Saliera überreichen, die kurz davor einem mutmaßlichen Gelegenheitsdieb abgerungen worden war.

Die Botschaft: Die ÖVP-Regierung macht’s wieder gut.

Doch im Publikum saß ein kleiner weißhaariger Mann, den es nach ein paar Änderungen des Drehbuchs verlangte: Kaum waren Mikrofone und Kameras eingeschaltet, wieselte der ungeladene Zaungast – Museumsdirektor Wilfried Seipel – an die Seite der Ministerinnen und grapschte nach der Statue. „Kurz konnte man glauben, sie würden das Ding vor laufender Kamera fallen lassen“, feixte der „Standard“ tags darauf.

Ein anderer Journalist vermerkte in seinem Bericht, Seipels Schnurrbart habe vor Aufregung und Rührung gezittert, als er die über zwei Jahre lang vermisste Skulptur von Benvenuto Cellini endlich wieder berühren durfte. Was in der Presse vollkommen fehlte, waren Hymnen auf die Kunstministerin. Statt Huldigungen erntete Gehrer Häme, statt Applaus gab es Vorwürfe und Rücktrittsforderungen.

Nach zehn Jahren in der Spitzenpolitik ist Elisabeth Gehrer an der Talsohle ihrer Popularität angelangt. Zwei PISA-Debakel in Folge; Chaos an den Universitäten; ihre unrühmliche Rolle beim Versuch, die Rückgabe der Klimt-Bilder hinauszuzögern; ihre sture Verteidung der Sicherheitsstandards in den Museen nach dem Saliera-Diebstahl – die politische Performance der reschen Kanzler-Vertrauten ist stark verbesserungswürdig.

In der ÖVP heißt es, das Monsterressort sei der ehemaligen Volksschullehrerin über den Kopf gewachsen. Kollegen, so erzählt man sich, „schlagen täglich drei Kreuze, dass sie nicht mit Liesls Problemen zu kämpfen haben“. Sie regiere „ein Haus, in dem lauter Primadonnen das Sagen haben“ – Museumsdirektoren, Unirektoren, Lehrergewerkschafter. Um die Schwächen nach außen zu kaschieren, hat ihr Büro die Parole ausgegeben: Schuld sind die Medien. „Das Gehrer-Bashing ist momentan halt wieder sehr in“, heißt es.

Schrammen. Doch das ist nur ein kleiner Teil der Erklärung. Die Langzeitministerin hat sich für ihren Parteiobmann Wolfgang Schüssel schon in so manche Schlacht geworfen. „Und da holt man sich halt Schrammen und baut sich Gegner auf“, sagt ein ÖVP-Parteivorstandsmitglied. Seit der Wahl 2002, als Andreas Khol Nationalratspräsident wurde, versucht sie sich überdies als „Chefideologin“.

In der Folge geriet einiges durcheinander: Punktete Gehrer früher auch im linken Lager mit Sätzen wie „Der durchschnittlich intelligente Mann verhungert nicht vor dem Kühlschrank“, düpierte sie nun sogar liberale Parteifreunde mit griesgrämiger Jugendschelte. Höhepunkt: Die heutige Generation „rausche von Party zu Party“, statt Kinder in die Welt zu setzen, klagte sie.

Auch über die Bildungspolitik legte sie zunehmend ihren ideologischen Raster. Überhaupt nicht anfreunden konnte sie sich nach dem PISA-Debakel 2004 mit den Vorschlägen des von ihr berufenen Bildungsexperten Günter Haider, der für eine stärkere Förderung schwacher Schüler, die Beseitigung sozialer Hürden beim Übertritt in AHS oder Hauptschule und einen Ausbau der Nachmittagsbetreuung plädiert hatte. Haider bescheinigte seiner Ministerin daraufhin einen „Trend zum Wegwerfexperten“.

In der Lehrerausbildung scheiterten längst fällige Innovationen an Standesdünkeln: Eine von der Ministerin handverlesene Gruppe von Pädagogen erarbeitete ein Konzept für eine gemeinsame Ausbildung von AHS- und Hauptschullehrern. Die VP-dominierte AHS-Lehrergewerkschaft boykottierte das Projekt. Der entsprechende Gesetzesentwurf fiel dann so lasch aus, dass die von Gehrer selbst eingesetzte Kommission trocken festhielt, der Entwurf müsse noch einmal „grundlegend überarbeitet werden“.

Baustelle Unis. An den Universitäten ging ohnehin alles schief: Die Studiengebühren zogen nicht die versprochenen Investitionen nach sich; die heftig bekämpfte Abschaffung der Direktwahl des Studentenparlaments verschaffte der VP-Fraktion keine Mehrheit, dafür eine schlechte Nachrede; danach wartete die Ministerin untätig auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, demzufolge die heimischen Universitäten Studierenden aus allen EU-Ländern offen stehen müssen, um hinterher eine Art Numerus clausus in Form von Aufnahmetests einzuführen. Zuletzt verwirrte ihr Ressort mit der Ankündigung, Österreich kehre zum Herkunftslandprinzip zurück, nach dem nur solche ausländische Studenten an eine österreichische Uni dürfen, die zu Hause auf einen Studienplatz Anspruch haben. Der EuGH hatte genau dieses Prinzip ein halbes Jahr zuvor als nicht EU-konform verworfen. „Mit dieser Konzeptlosigkeit hat sie es sich bei den Jungen komplett verscherzt“, stöhnt ein ÖVP-Mandatar.

Als links punzierte Vorhaben wie etwa die Gesamtschule – in vielen europäischen Ländern wird sie auch von Konservativen befürwortet – sind für sie kein Thema, Ansinnen von Parteifreunden hingegen verschließt sich Gehrer nicht. Weil sich Tirols Landeshauptmann Herwig van Staa (ÖVP) schon lange eine Kunstuni wünscht, trat Gehrer ausgerechnet im Mozart-Jahr zur Filetierung des renommierten Salzburger Mozarteums an. Interne Dokumente belegen, dass entgegen offizieller Beteuerungen Teile des Hauses aus dem rot regierten Salzburg nach Tirol abwandern sollten.

Die bildungspolitischen Schwächen könnten im Herbst auch bei den Nationalratswahlen durchschlagen, glauben Meinungsforscher. „Bildungspolitik wird heute wichtiger genommen als früher“, meint Günther Ogris von SORA. Sein Kollege Peter Hajek von OGM ergänzt: „Gehrer hat in der Bildungspolitik die Themenführerschaft aus der Hand gegeben.“

Kosmetik. Problemen begegnet sie am liebsten mit Kosmetik. Als die PISA-Studie 2002 Leseschwächen bei den heimischen Schülern aufdeckte, schickte Gehrer Broschüren an die Eltern aus. Zum Vergleich: Die Deutschen reagierten auf die ebenfalls mäßige schulische Performance ihrer Kinder mit dem flächendeckenden Ausbau der Nachmittagsbetreuung.

Die Deutschen hatten sich den PISA-Meister aller Klassen – Finnland – zum Vorbild genommen. Gehrer hingegen rächte sich an den viel gerühmten Nordländern auf ihre Art. Nach der PISA-Erhebung 2004 startete sie eine Imagekampagne. Auf einem der Poster, die noch heute in den Schulen hängen, heißt es: „Eine WHO-Studie zeigt, dass sich unsere Schulkinder in der Schule sehr wohl fühlen. Im europäischen Vergleich liegt Österreich damit am dritten Platz. Schlusslicht dieser Studie ist Finnland.“

SPÖ-Bildungssprecher Josef Broukal ätzt: „Zufriedenheit ist eben eine Frage des Anspruchs. Ich hätte halt einen höheren.“ 2003 lag auch für Gehrer die Latte noch weiter oben: „Leistung muss einen Stellenwert haben. Nur zu sagen, Hauptsache, ihr fühlt euch wohl in der Schule, ist zu wenig“, dozierte sie damals in einem profil-Interview.

In Parteikreisen werde über die lahmende Performance der Ministerin „vereinzelt schon gemurrt“, gibt ein ÖVP-Vorstandsmitglied zu, „aber laut würde keiner Kritik üben“. Wer Gehrer kritisiert, kritisiert Schüssel, und das käme einer Majestätsbeleidigung gleich. Der Kanzler hatte seine „Liesl“ 2002, als sie ihren 60. Geburtstag zelebrierte, als „ganz besonderen Edelstein“ in seiner Regierungsriege gerühmt.

Wer die Ministerin heute im Parlament beobachtet, hat eher den Eindruck, sie würde lieber auf diese glanzvolle Rolle verzichten – und wolle einfach Ruhe haben.

Von Edith Meinhart und Ulla Schmid
Mitarbeit: Martina Lettner