Bildungseliten

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Der ältere Sohn meiner Freundin Eva war ein Schüler, der beim Lehrkörper nicht gut ankam. Ob er denn unbedingt aufs Gymnasium gehen müsse, fragte einmal einer seiner Professoren die Mutter, ein Handwerk sei doch auch was Feines und würde den Knaben intellektuell nicht überfordern.

Eva, die einer Akademikerfamilie entstammt, wies den Gedanken an einen Handwerkersohn weit von sich, was arrogant, aber in der Folge für den Sohn günstig war, und bestand auf Fortsetzung des höheren Bildungsweges.

Und siehe da, der Knabe entpuppte sich als Spätentwickler, der – nach einer durchaus ordentlich bestandenen Matura – rasant und brillant Physik studierte und mittlerweile ein international angesehener junger Forscher ist.

Hätte seine Mutter nicht an ihn geglaubt, ihn gefördert und ihn gepusht, sähe sein Leben heute anders aus.

Beispiel zwei: Ich kenne eine Reihe angesehener und sozial einflussreicher Leute, deren Kinder Medizin studiert haben. Keins dieser Kinder bekam keinen Turnusplatz, keins musste auf einen Turnusplatz warten. Ein paar Anrufe von Mama oder Papa an den richtigen Stellen, und schon war das Problem gelöst.

Keiner dieser jungen Menschen hat, soweit ich die Lage überblicke, den Turnusplatz nicht verdient. Aber dass sie die jeweils Besten ihres Jahrgangs gewesen seien und dass alle anderen, denen die Turnusplätze lang und länger vorenthalten wurden, halt nur die Folgen ihrer geringeren Begabung und ihres mangelnden Fleißes zu tragen gehabt haben, würde ich nicht zu behaupten wagen.

Gar so gerecht geht es bei uns also nicht zu. Das richtige Elternhaus hilft, das falsche bremst. Deshalb werden durchschnittlich intelligente Kinder aus Oberschichtfamilien ganz selbstverständlich AkademikerInnen, während durchschnittlich intelligente – oder sehr intelligente, aber schwierige – Kinder aus bescheidenen sozialen Verhältnissen oft nicht studieren oder es nicht zu einem Abschluss bringen. Nach wie vor haben es die aus den nicht privilegierten Familien schwerer. Nach wie vor müssen sie mehr leisten, um gleich viel zu erreichen wie die Sprösslinge aus der Ober- oder der oberen Mittelschicht.

Aber immerhin: Historisch gesehen ist die Gesellschaft durchlässiger geworden, die Chancenlosigkeit von ehedem ist zwar nicht der Chancengleichheit, aber doch einem deutlichen Zuwachs an Bildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten für diejenigen aus den ungebildeten Schichten gewichen. Mit Intelligenz, Begabung und Einsatz ist es bei uns heutzutage auch Kindern aus nicht fördernden Elternhäusern möglich, zu akademischen Ehren und Karrieren zu kommen. Das nützt der Gesellschaft durchaus, denn von solchen kriegt sie dann häufig mehr Input als von jenen, die den Zugang zum Studium eher der Familientradition als eigenen Ambitionen verdanken.
Möglich macht die Nutzung von geistigen Ressourcen eine Bildungspolitik, die auf einen möglichst breiten Zugang zu höherer Aus- und Weiterbildung gesetzt hat.
Hinter der verächtlich so genannten Massenuniversität steckt ja zunächst einmal nicht der finstere Plan, bildungswillige junge Menschen in Scharen an unzulänglichen Einrichtungen scheitern zu lassen, sondern die Idee einer umfassenden Förderung, der Wunsch, Intelligenz und Begabung zum Zug kommen zu lassen, unabhängig von Herkunft und finanzieller Ausstattung der Begabten.
Die Mängel an unseren Universitäten sind offenkundig. Sie haben aber weniger damit zu tun, dass Bildung zum Allgemeingut ausgerufen wurde, sondern mehr mit dem fehlenden (politischen) Willen, die Parole wirklich umzusetzen.

Bildung kostet. Richtig. Die Frage ist nur: Wen soll sie was kosten?
Dass sie die Studierenden längere Zeit nichts gekostet hat, ließ viele übersehen, dass auch der Staat nur sparsam und immer sparsamer in Bildung und Forschung investierte.

Und nun der Ruf nach Eliteunis. Was ist gemeint? Halbherzige Massenabfertigung für die Plebs, hochkarätige Angebote für die besten Köpfe? Dann sind wir wieder bei der Einleitung: Beste Köpfe sind in nicht geringem Umfang auch das Produkt einer sozialen Auslese.

Was soll elitär sein an den Eliteunis? Das vermittelte Wissen, die WissensvermittlerInnen, die Lernenden, die Bedingungen, unter denen gelernt werden kann? Die Antwort lautet meistens: Es gehe um die Wettbewerbsfähigkeit.
Aber wer wetteifert mit wem worum? Nach welchen Maßstäben bemisst sich die Qualität der Forschungsinhalte, und nach welchen Kriterien werden die Wettbewerbssieger ausgerufen? Wir ahnen es, es geht um die wirtschaftliche Nutzung dessen, was gelehrt und gelernt wird.

Wirtschaftlich wettbewerbsfähig wäre demnach eine medizinische Forschung, die die Heilung von Kranken in Kauf nimmt, weil die Entwicklung neuer Therapien diversen Industriezweigen – von den Pharmakonzernen bis zu Herstellern hochkomplizierter technischer Geräte – entsprechende Produktivitätsgewinne bringt.
Überspitzt gesagt? Vielleicht. Aber das ständige Beschwören von Konkurrenz beunruhigt eben. War da nicht auch einmal so was wie das Bemühen um Solidarität?

Themawechsel: Große Freude über den Nobelpreis an Elfriede Jelinek. Eine bewunderungswürdige Dichterin, dazu bekennende Feministin und bekennende Linke (im Sinne einer Absage an die Klassengesellschaft) – Herz, was begehrst du mehr!