'Wissenschafter kann nicht an Gott glauben'

Biotechnologie, Interview: „Ein Wissenschafter kann nicht an Gott glauben“

US-Genforscher Craig Venter im Interview

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profil: Mr. Venter, die Leute kriegen es mit der Angst zu tun, wenn sie hören, dass Sie künstliche Organismen herstellen, also von Grund auf neues Leben kreieren.
Venter: Wir stellen nicht von Grund auf neues Leben her. Wir designen neue Lebensformen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wir kreieren ein Betriebssystem, einen neuen genetischen Code, dabei nutzen wir als Ausgangspunkt lebende Zellen, die wir modifizieren. In den USA kursiert folgender Witz über Europa: Europäer haben solche Angst vor gentechnisch veränderten Organismen, dass sie jetzt Nahrungsmittel ohne DNA essen wollen.
profil: Darüber werden die Europäer nicht lachen.
Venter: Ich hoffe schon. Im Ernst: In der modernen Welt ist die Wissenschaft hoch reguliert. Und in den vergangenen 30 Jahren haben Wissenschafter viele Bakterien und andere Organismen modifiziert, wahrscheinlich wurden zehn Millionen Experimente durchgeführt, und nie gab es ein Problem. Doch immer wenn etwas radikal Neues in der Wissenschaft beginnt, ist die natürliche Reaktion der Leute Angst. Ich verstehe das.
profil: Sie wollen mit diesen neuen Designermikroben die Menschheit von der Abhängigkeit vom Erdöl befreien. Ist das nicht Science Fiction?
Venter: Wir haben verschiedene Ideen. Bei Organismen, die in den Ozeanen nahe der Wasseroberfläche leben, sind wir folgendem Mechanismus begegnet: Sie weisen Fotorezeptoren auf, die ähnlich sind wie visuelle Pigmente unserer Augen. Wir Menschen benötigen diese Rezeptoren, um Licht einzufangen und in elektrische Information umzuwandeln – auf diese Art sehen wir. Das Bakterium nutzt denselben Mechanismus anders: Es fängt über diese Rezeptoren die Sonne ein und versorgt so die Zellen mit Energie. Wir suchen jetzt nach Möglichkeiten, Rezeptoren zu nutzen, die die Energie der Sonne direkt einfangen.
profil: Ein Organismus als Biofabrik sozusagen, die für die Menschen Sonnenlicht in Energie umwandelt?
Venter: Es gibt wie gesagt bereits Algen, die dies für sich selber tun. Aber wir wissen noch nicht, wie man das nutzen kann. Vielleicht müssen wir auch gewisse Eigenschaften verstärken. Oft können wir im Labor Bakterien von der Natur isolieren und selektiv Merkmale verstärken – um das Tausendfache.
profil: Damit wollen Sie das Energieproblem lösen?
Venter: Wir arbeiten auch an einer Reihe synthetischer Brennstoffe. Da schauen wir uns nach gewissen Chemikalien um, die sich mithilfe der Gentechnologie synthetisieren lassen. Wir denken zum Beispiel an ein Präparat, das heute als Nahrungsmittelaroma eingesetzt wird. Ich werde Ihnen nicht sagen, welches, denn dann können Sie herausfinden, wovon ich spreche. Da fällt mir auch ein anderer Organismus ein: Wenn man an einer Probe riecht, steigt einem Dieselgeruch in die Nase. Er stellt im Prinzip Diesel her.
profil: Das klingt zu schön, um wahr zu werden. Ist die Lösung des Energieproblems nicht viel eher eine Einschränkung des Energieverbrauchs?
Venter: Wir leben heute in einer Gesellschaft, deren Zukunft zu 100 Prozent von der Wissenschaft abhängt. Wissenschaftlicher Analphabetismus ist keine Option. Jeder ist froh über Elektrizität, Autos, Flugzeuge. Und es ist unmöglich, dies zu ändern. Die Rückkehr in den Dschungel, das tägliche Jagen des Abendessens, das wird nicht funktionieren. Oder nur wenn eine verheerende Krankheit Milliarden Menschen auf dem Planeten tötet. Doch ich hoffe wirklich, dass dies nicht passiert.
profil: Wieso glauben Sie, dass Ihnen gelingt, was andere bisher vergeblich versucht haben?
Venter: Das Energieproblem kann nicht eine einzige Person lösen. Es wird auch nicht eine einzige Technologie sein. Wir brauchen tausend verschiedene Lösungen. Aber nur wenige Forscher haben die Biologie als Möglichkeit in Betracht gezogen. Oft gehen sie der Frage nach, was man mit Öl, Kohle oder Wind anders machen kann. Doch die neuen Instrumente der Biologie können einen Großteil der Lösung liefern. Und ich fürchte mich nicht, Sachen anzupacken, die andere für unmöglich halten.
profil: Wie sieht Ihr Zeithorizont aus?
Venter: Einen Brennstoff testen wir gerade, denn wir wollen sicher sein, dass er keine unvorhergesehenen Nebenwirkungen hat, auch für die Umwelt. Bewährt er sich, so schätze ich, würde es zwölf bis 18 Monate dauern, diese Testmengen hochzufahren.
profil: Pharmafirmen benötigen zwölf bis 15 Jahre, um ein Produkt marktreif zu machen.
Venter: Ja, wegen der vorgeschriebenen Versuchsreihen am Menschen und der zahlreichen Vorschriften für Nahrungsmittel und Arzneien. Ein Test in einem Flugzeugmotor ist hoffentlich etwas anderes. Wir versuchen schließlich keine Brennstoffe herzustellen, welche die Leute essen oder trinken sollen.
profil: Dürfen Wissenschafter an allem herumdoktern, um das Energieproblem zu lösen?
Venter: Bevor wir unser erstes Experiment durchführten, haben wir Bioethiker damit beauftragt abzuklären, ob es okay ist, neue Lebensformen im Labor zu kreieren. Niemand hatte diese Frage zuvor gestellt. Nach zwei Jahren publizierten sie ihre Ergebnisse. Sie attestierten uns einen einwandfreien Ansatz und lautere Motive. Ihre Hauptsorge war der mögliche Missbrauch durch Leute, die mit Absicht neue Stoffe für biologische Kriegsführung herstellen würden. Dies ist allerdings bereits eine Gefahr in der existierenden Biologie. Mit dem biologischen Wissen eines High-School-Schülers kann man die meisten Erreger resistent gegenüber Antibiotika machen.
profil: Doch was passiert, wenn einer Ihrer Stoffe aus dem Labor in die Natur entweicht?
Venter: All diese Stoffe sind so entworfen, dass sie nicht überleben würden. Aber diese ganze Angst gegenüber der Biotechnologie ist sowieso irrational. Die Leute denken etwa, dass sie natürliche Tomaten mögen. Doch eine natürliche Tomate ist etwa so groß wie mein Daumen hier, grün und sehr bitter. Man kann sie nicht essen. Die „natürliche Tomate“ hingegen, welche die Europäer so gerne essen, ist das Resultat willkürlicher Experimente von Bauern und Züchtern, die über Jahrhunderte genetische Codes vermischt haben.
profil: Sie nehmen diese Bedenken nicht wirklich ernst.
Venter: Im Moment ist die wichtigste Herausforderung unserer Spezies der Zustand der Umwelt. Wenn wir nichts unternehmen, werden wir mit der Verbrennung von Öl und Kohle allein schon wegen des Bevölkerungswachstums unseren CO2-Ausstoß in den nächsten 50 Jahren vervielfachen. Bestimmte Prognosen warnen davor, dass der wärmende Golfstrom nachlässt. Wer in Nordeuropa und England lebt, wird dann eine neue Eiszeit erleben. Wir führen also ein entsetzliches Experiment mit unserem eigenen Planeten durch und machen uns gleichzeitig Sorgen über neue, viel versprechende Instrumente der Biotechnologie. Da stimmt etwas nicht mit den Prioritäten.
profil: Sie nehmen sich grundsätzlich nur große Probleme vor.
Venter: Das müssen wir. Wenn wir das nicht tun, werden wir unseren Planeten zerstören …
profil: … während viele Ihrer Kollegen kleinere Fragen untersuchen und dafür nicht Gefahr laufen zu scheitern.
Venter: Einer meiner Mentoren sagte einmal: Ein guter Wissenschafter stellt die richtigen Fragen. Da es eine unendliche Zahl von Fragen gibt, sollten wir Fragen zu den wichtigen Themen stellen. Ich finde es keine gute Entwicklung, wenn meine Kollegen einen großen Teil ihrer Zeit und ihres Geldes für Fragen aufwenden, die irrelevant sind. Die Wissenschaft ist der Gesellschaft, die sie finanziert, Rechenschaft schuldig, und zwar mit Forschungen, die eine gewisse Relevanz haben.
profil: Genau dies führt dann zu den bizarren Reibereien, welche die Öffentlichkeit erlebte, als Sie vor einigen Jahren begannen, das Humangenom schneller und billiger zu entschlüsseln als die Forscher des öffentlich finanzierten Großprojekts. Ist der Wissenschaftsbetrieb eine Schlangengrube?
Venter: Wissenschafter haben spitze Ellbogen. Auf einmal sah auch die Öffentlichkeit, was sich normalerweise hinter verschlossenen Türen abspielt.
profil: Wissenschafter missgönnen sich den Erfolg und kämpfen mit allen Mitteln um Geld und Macht?
Venter: Ich glaube, es ist Teil der menschlichen Natur, dass man sich Feinde schafft, wenn man irgendwo Erfolg hat. CNN-Gründer Ted Turner sagte kürzlich: Nur zwei Sachen motivieren die Menschen, Gier und Angst. Ich sehe es zwar anders, aber Wettbewerb ist ein starker Antrieb. Für mich war damals schwer zu verstehen, dass Wissenschafter, die nicht an meine Methode glaubten, zu persönlichen Attacken übergingen. Aber sie hatten Angst, Gelder zu verlieren. Sie wähnten sich auf dem letzten Forschungsstand, und was wir versuchten, war unvorstellbar. Das passiert jedem, der durch eine neue Technologie bedroht wird. Man muss sich vorstellen, wie frustrierend es für die Menschen wäre, wenn plötzlich von einem Raumschiff oder durch genetische Mutation eine neue Spezies auftaucht, die zehnmal klüger, zehnmal so stark und physisch attraktiv wäre. Das wäre ziemlich hart, nicht?
profil: Wieso sind Sie eigentlich Wissenschafter geworden?
Venter: Als junger Mann wurde ich sozusagen von meinem Surfbrett ins Militär eingezogen und als Sanitäter nach Vietnam geschickt. Mein Job war, Leben zu retten, doch ich merkte, wie primitiv das medizinische Wissen war. Ich wollte deshalb nach dem Krieg als Arzt in Dritte-Welt-Ländern arbeiten. Doch während des Studiums lernte ich dann das Leben im Labor kennen, machte gewisse Entdeckungen und fand das aufregender als alles andere. Ich merkte, dass ich als Wissenschafter Einfluss auf mehr Leben haben konnte als ein Arzt.
profil: Was ist daran aufregend, Gensequenzen zu lesen?
Venter: Haben Sie Kinder?
profil: Ja, doch was hat dies damit zu tun?
Venter: Ich habe noch nie jemand getroffen, der sich nicht für seine Herkunft interessierte. Die meisten Menschen schauen ihre Kinder an und sagen: Er sieht aus wie ich. Oder: Er hat die Nase der Mutter. Das ist eine natürliche Neugier. Mit den Instrumenten, mit denen wir das menschliche Genom entziffern, haben wir ganz andere Möglichkeiten, diese Neugier zu befriedigen. Wir haben inzwischen mein persönliches Erbgut decodiert. Ich bin also der erste Mensch, der beginnen kann, einige dieser Fragen für sich selbst zu beantworten.
profil: Was hat die Analyse Ihrer Gene ergeben?
Venter: Ich habe mit der Interpretation erst begonnen: Ich habe ein erhöhtes Risiko für gewisse Krankheiten, besitze allerdings gewisse genetische Züge, die man mit langem Leben in Verbindung bringt.
profil: Von Ihrer Mutter oder Ihrem Vater?
Venter: Mein Vater starb mit 59, von ihm habe ich wohl gewisse erhöhte Herzrisiken. Meine Mutter ist 85, spielt zweimal die Woche Golf, und ich bin kürzlich mit ihr segeln gegangen. Das Gen eines langen Lebens dürfte also von dieser Seite kommen. Doch mich treibt im Prinzip die Neugierde an, zu verstehen, was genetisch ist und was mit der jeweiligen Umwelt zu tun hat.
profil: Sie haben wirklich den Anspruch, die Mutter aller Fragen zu beantworten: Was ist Natur und was ist Umwelt?
Venter: Wir wissen heute nicht genau, wie stark Verhalten, Persönlichkeit, Vorlieben und Abneigungen von den Genen abhängen und wie wichtig die Einflüsse sind, denen man als Kind ausgesetzt war. Wir werden sicherlich noch zu Lebzeiten Ihres Kindes, hoffentlich sogar zu meinen Lebzeiten die Antworten auf viele dieser Fragen kennen. Und die Gesellschaft wird schockiert sein über diese Antworten.
profil: Weshalb?
Venter: Wir sind viel stärker genetisch geprägt, als wir denken. Viele Leute mögen die Vorstellung, dass ein Baby völlig frei von Prägungen geboren wird und sie es beeinflussen können. Doch wie Sie sicher von Ihrem Kind wissen, hatte es vom Tag eins an eine einzigartige Persönlichkeit.
profil: Geschlechterspezifische Stereotypen bei Kindern halten Sie auch für genetisch?
Venter: Es ist unglaublich: Kleine Jungs wollen mit Lastwagen und Waffen spielen, Mädchen hingegen nur selten. Es gibt zweifellos Einflüsse aus der Umwelt, aber ich würde sogar so weit gehen, dass es eine genetische Basis für Altruismus und moralisches Verhalten gibt.
profil: Welche genetische Basis für Ihr eigenes Verhalten haben Sie gefunden?
Venter: Interessant war etwa meine genetische Ausstattung, die mit Hochrisikoverhalten in Verbindung steht. Am extremsten sind jene Typen, die aus Flugzeugen springen. Ich war irgendwo in der Mitte. Ich habe eine höhere Toleranz für hohes Risiko als die meisten, aber ich bin nicht in der Spinnergruppe. Obwohl: Ich bin um die Welt gesegelt, aber für mich war das rationales Verhalten.
profil: Was bringt Sie eigentlich dazu, sich mit 61 noch mit Alternativen zum Erdöl oder der Entschlüsselung Ihres Erbguts zu quälen?
Venter: Meine Haltung mag schockieren, aber ich glaube nicht, dass das Leben an sich einen Sinn hat. Es ist nichts als eine universale Kraft in unserer Galaxie und darüber hinaus. Aber einzelne Leben können einen Sinn haben. Ich habe immer versucht, meinem Leben durch gewisse Entscheidungen einen Sinn zu geben. Würden die Leute davon ausgehen, dass es kein glückliches Leben nach dem Tod gibt – dass alles mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet –, dann wären sie vielleicht viel motivierter, während ihres kurzen Zeitfensters etwas zu erreichen.
profil: Sie glauben nicht an Gott?
Venter: Nein. Ich glaube, ein richtiger Wissenschafter kann nicht an einen irrationalen magischen Prozess, an Gott glauben, der die Dinge zusammensetzt. Es ist unmöglich. Wer das akzeptiert, kann kein ehrlicher Wissenschafter sein.
profil: Aber was hat die Menschheit davon, wenn Sie der Natur am Zeug herumflicken?
Venter: Ich versuche an mehreren Fronten die Richtung der Menschheit zu beeinflussen. Falls wir dank der Nutzbarkeit künstlicher Lebensformen dazu beitragen können, dass wir mit signifikant weniger Öl auskommen, wäre das bereits ziemlich aufregend. Oder nehmen Sie das Humangenom: Je mehr wir über uns wissen, desto mehr können wir tun, um Krankheiten zu verhindern, statt sie nur zu behandeln. Ich hoffe, in der nächsten Dekade bis zu 10.000 individuelle menschliche Genome zu entschlüsseln. Vielleicht lässt sich gar die elende Geschichte, die wir als Spezies haben, verändern.
profil: Wie wollen Sie den Menschen verändern?
Venter: Wenn wir verstehen, dass es eine genetische Grundlage für solches Verhalten gibt, dass Menschen als Spezies dazu bestimmt sind, Kriege zu führen, können wir vielleicht etwas tun, um es in Zukunft zu verändern.
profil: Sie wollen menschliche Gene modifizieren?
Venter: Ich glaube, das ist unvermeidbar.
profil: Das klingt nach dem Horrorszenario der Menschenzüchtung.
Venter: Ein schwer krankes Kind leiden und sterben zu sehen, das ist ein Horrorszenario. Und es könnte in bestimmten Fällen einfach verhindert werden, wenn man vor der nächsten Generation das eine verantwortliche Gen ändert.
profil: Sie öffnen damit die Büchse der Pandora: Die Folge wäre die Diskriminierung von Menschen mit schlechten Genen, mit leichten Behinderungen, bei Jobs, der Krankenkasse und anderen Versicherungen.
Venter: Das ist doch heute schon der Fall: Wer heute eine Lebensversicherung abschließen will, muss sich hierzulande einer umfangreichen Gesundheitsprüfung unterziehen lassen. Da wird eine genetische Einschätzung von Ihnen gemacht …
profil: … aber die Versicherung weiß doch gar nichts über mein genetisches Profil.
Venter: Ist es besser, wenn die Versicherungen dies auf der Basis von Ignoranz machen? Wenn heute beide Eltern früh an Krebs oder Herzversagen gestorben sind, zahlt man viel höhere Prämien, als wenn sie mit 95 einschlafen durften. Das wird heute so gemacht, unabhängig davon, ob man persönlich diese erhöhten Risiken hat oder nicht. Dabei erben Kinder nicht zwangsläufig das genetische Schicksal der Eltern.
profil: Sie wollen also nur jene diskriminieren, die auch wirklich ein höheres genetisches Risiko tragen?
Venter: Wir haben die Illusion, dass wir alle gleich geschaffen wurden. Als junger Mann musste ich einmal gegen Mark Spitz, den legendären siebenfachen olympischen Goldmedaillengewinner im Schwimmen, antreten. Er war sogar fünf Jahre jünger, trotzdem hatte ich keine Chance. Er besitzt großartige Schwimmgene, also natürliche Fähigkeiten, die ich nicht habe. Menschen haben eine weite Spanne von Fähigkeiten, die genetisch determiniert sind. Wir haben nicht alle die gleichen Risiken, wir haben nicht alle die gleichen Fähigkeiten. Und wir haben nicht einmal die gleichen Optionen. Das sind utopische Mythen.
profil: Machen Sie sich wirklich überhaupt keine Gedanken darüber, was Sie mit Ihrer Wissenschaft anrichten könnten?
Venter: Sicher. Es kommt nur darauf an, was die Leute für eine Krankheit halten. Jemand sagte kürzlich, als wir über manisch-depressive Symptome sprachen: Wer hat nicht selber welche? Viele kreative Menschen in der Geschichte litten unter einem gewissen Grad an manischer Depression. Wenn man dies als Krankheit ansieht, die man genetisch heilen sollte, ist das sicher nichts Gutes für die Gesellschaft. Wir brauchen hier unbedingt Grenzen und Regeln.
profil: Nur, wo ziehen wir die Grenzen?
Venter: Würden nicht alle Eltern verhindern wollen, dass ihr Kind dem Risiko einer schweren Krankheit ausgesetzt ist? Andererseits, in den USA zum Beispiel wünschen sich gewisse taube Eltern, dass ihre Kinder auch taub sind, statt normal zu hören. Sollten sie die Gene ihrer Kinder ändern dürfen, sodass sie auch taub sind? Es ist ein komplexes Problem, und eine Regel wird nicht allem gerecht. Wir müssen herausfinden, was sinnvoll und akzeptabel ist für die Gesellschaft. Wenn wir tragische Krankheiten eliminieren könnten – dagegen würden die wenigsten argumentieren. Aber vielleicht doch, ich habe keine Ahnung.
profil: Es ist also Aufgabe der Gesellschaft, Grenzen zu setzen, und nicht der Wissenschaft?
Venter: Ja, wie jedes Machtmittel, jedes Wissen, muss sie auch solche Optionen vorsichtig anwenden. Doch wir reden hier über die ferne Zukunft der Menschen. Wir wissen noch viel zu wenig über den menschlichen genetischen Code. Im Moment sollte ein Moratorium für solche Versuche von mindestens zwanzig Jahren gelten.

Interview: Alain Zucker; Texte: Robert Buchacher