Bizarre Argumente

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Ich gehöre zu einer Generation, die noch geglaubt hat, dass Wissen Macht ist und Bildung zu Aufstieg verhilft. Stimmt nicht ganz, wie wir inzwischen erfahren haben, siehe zum Beispiel AkademikerInnen-Arbeitslosigkeit. Stimmt allerdings ganz besonders nicht im Hinblick auf die Frauen. Sie werden immer gebildeter, und trotzdem geht die Einkommensschere zwischen den Geschlechtern immer weiter auf. Wie wenig den Frauen Wissen und Qualifikation in der Arbeitswelt oft nützen, habe ich in den letzten beiden Kolumnen anhand einzelner Fälle darzustellen versucht. Diesmal der Versuch einer Zusammenfassung: Im Grunde geht es ganz simpel zu bei der Diskriminierung weiblicher Arbeitskräfte, man bedient sich immer wieder der gleichen Argumente. Im Kern und sinngemäß lauten sie so:

Sie haben viel gelernt, gute Frau, mehr als nötig, also zu viel. Dass Ihr Vorgesetzter viel weniger gelernt hat und wenig kann, ist okay. Immerhin ist dadurch nichts Überflüssiges dabei. Sie haben zwar das Richtige gelernt, aber bevor wir Sie aufsteigen lassen, erklären wir es für falsch. Ihr Kollege kann im Prinzip nix anderes, das stimmt, aber bei ihm ist es das Richtige. Außerdem hat er einen Bridge-Kurs besucht. Den braucht er zwar nicht für seine Arbeit, doch wir erklären ihn trotzdem zu einer wichtigen Zusatzqualifikation, damit wir Ihren Kollegen begründet zu Ihrem Vorgesetzten machen können. Sie agieren zu emotional. Beweise? Wozu, das weiß man doch, dass Frauen zu emotional sind. Sie agieren zu wenig emotional. Von einer Frau darf man doch wohl Mütterlichkeit erwarten. Sie sind machtbesessen und intrigant. Würden Sie sonst mehr werden wollen als Ihre Kollegen? Sie sind jung, was ist, wenn Sie Kinder kriegen? – Dann fallen Sie doch sicher jahrelang aus. Sie sind zu alt. Wofür? Na, zum Kinderkriegen. Natürlich gehört Kinderkriegen nicht zu Ihren beruflichen Aufgaben, aber wenn Sie zu alt dazu sind, sind Sie auch für uns zu alt. Sie haben Kinder. Zugegeben, bis jetzt haben Sie trotzdem gut gearbeitet, aber Abteilungsleiterin und Kinder, das könnte nur schief gehen. Ihr Kollege verdient mehr als Sie, weil er mehr verlangt hat. Gehälter sind Vereinbarungssache. Mit Ihnen vereinbaren wir nicht, dass Sie mehr verlangen dürfen. De facto leiten Sie die Abteilung, richtig. Und wieso genügt Ihnen das nicht? Gern wird bei Gelegenheit, in einschlägigen Debatten, von Verantwortlichen aller Art behauptet: Gleichbehandlung ist heutzutage in der Arbeitswelt doch kein Thema! Stimmt. Nur leider in einem anderen Sinn, als man vermuten möchte.

Bizarre Argumentation, die zweite: Herr Kampl beklagt sich über eine brutale Naziverfolgung nach dem Krieg. Die brutale Naziverfolgung bestand darin, dass Naziverbrecher (einige, keineswegs alle) für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurden.

Herr Kampl war ein Kind, als sein Vater verhaftet wurde. Ja, zugegeben, für Kinder ist es belastend, wenn ihre Väter verhaftet und eingesperrt werden.

Aber würde Herr Kampl auch von einer in Österreich üblichen brutalen Kriminellen-Verfolgung sprechen? Fordert er, in konsequenter Umsetzung seiner scheinbaren These, Täter seien Opfer, den vollständigen Verzicht auf das Ahnden krimineller Taten?

Ganz bestimmt nicht. Herr Kampl gehört, im Gegenteil, jener Gesinnungsgemeinschaft an, die in jeglichem Verständnis für jeglichen straffällig gewordenen Menschen fahrlässiges, den Untergang des Abendlandes vorantreibendes Verhalten sieht. Dort, wo Herr Kampl herkommt, ist man dafür, den Dieb, der im Supermarkt ein Stück Brot stiehlt, egal, ob aus Hunger oder aus Geiz, mit der ganzen Schwere des Gesetzes zu verfolgen bzw. das Gesetz noch zu verschärfen, vielleicht nicht bis hin zum Handabhacken, aber jedenfalls ohne Rücksicht auf etwaige (hungernde) Kinder des Diebs.

Warum also beklagt Herr Kampl im Fall von Naziverbrechern, dass sie vor Gericht kamen? Eh klar, warum. Weil sie in seinen Augen keine Verbrecher sind.

Er sagt Naziverfolgung und beschwört damit das Bild gläubiger Menschen, die nichts weiter wollten, als zu ihrem Gott Hitler beten und der harmlosen Überzeugung anhängen, dass der deutsche Mensch naturblond und riefenstählern wäre.

Tatsache jedoch ist, dass niemand verhaftet wurde, nur weil er an die Hitlerei geglaubt hat, und Tatsache ist, dass diejenigen, die sich mehr zuschulden kommen ließen als gedankliche Gefolgschaft, nicht verfolgt, sondern vor Gericht gestellt wurden.

Wer das nicht unterscheiden will (oder wer Verbrechen als legitimen Ausfluss einer legitimen Überzeugung sieht), ist einfach zutiefst unmoralisch.

Und genau das ist das Problem mit den Ewiggestrigen: dass sie nicht bloß unbelehrbar sind (unbelehrbar klingt nach einem, der immer wieder den Schlüssel stecken lässt, wenn er fortgeht), sondern Moralverweigerer.

Themawechsel: Dieser Tage starb die bemerkenswerte US-Schauspielerin Anne Bancroft, nicht zuletzt bekannt durch den Film „Die Reifeprüfung“. Darin verführt sie, so die gängigen Inhaltsangaben, als ältere Frau einen Studenten, dargestellt vom blutjungen Dustin Hoffman. Und jetzt rechnen wir nach: Der Film wurde 1967 gedreht. Bancroft (Jahrgang 1931) war damals 36, Hoffman (Jahrgang 1937) heiße sechs Jahre jünger.