Blasphemie: Herrgottsakrament!

Der moslemische Protest erfüllt die Kirche mit Neid

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Am Anfang standen das Wort, die Institutionen der Macht und das Denunziantentum. In Erfüllung des zweiten Gebotes – „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht“ – hat sich die katholische Kirche allerdings nie allein auf die Rache des Herrn verlassen, sondern gern auch mit irdischen Mitteln nachgeholfen. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war es, theoretisch, möglich, einem Gläubigen, der mit den Worten „Herrgottsakrament“, „Kruzifix“ oder noch Ärgerem sein Unglück verfluchte, von Amts wegen die Zunge abzuschneiden. Mit dem Josephinischen Gesetzbuch von 1787 wurden derart drakonische Maßnahmen beendet. Der aufgeklärte Monarch Joseph II. verfügte, die Delinquenten nur noch ins „Tollhaus“ einliefern zu lassen – mit der interessanten, offenbar auf reale Machtverhältnisse abstellenden Begründung: „Wer die Vernunft in dem Grad verleugnet und den Allmächtigen in öffentlichen Orten oder in Gegenwart anderer Menschen freventlich lästert, ist als Wahnwitziger zu behandeln.“

Dagegen stehen christliche Kirchen heutzutage auf ziemlich verlorenem Posten. Oft genug haben sie in der Zweiten Republik den Richter gebraucht, um ihren Vorstellungen von Moral und Religion zum Durchbruch zu verhelfen. Doch in den vergangenen fünf Jahren gab es gerade einmal vier Verurteilungen wegen „Herabwürdigung religiöser Lehren“. In zwei Fällen handelte es sich um dieselbe Frau, die Passanten rund um den Wiener Stephansdom mit der Ansicht zu behelligen pflegte, der Papst und der Vatikan seien die „größten Kinderschänder aller Zeiten“. Man kann vermuten, den Anzeigern ist es eher um gestörte Geschäfte als verletzte Gefühle gegangen.

Anzeigen wegen der Zeichnung eines gekreuzigten Osterhasen etwa oder Karikaturen in Printmedien oder Büchern werden von der Staatsanwaltschaft meist zurückgelegt. Der Karikaturist Gerhard Haderer musste sich 2002 wegen seines Jesus-Buches, in dem er Jesus als Marihuana rauchenden Hippie dargestellt hatte, mit einem Dutzend Strafanzeigen herumplagen. Die Amtskirche zeigte sich, assistiert von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel („Schundzeichnungen“), entsetzt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft jedoch eingestellt, weil es sich nur um „milden Spott“ gehandelt habe. In Griechenland hingegen wurde Haderer erst in zweiter Instanz vom Vorwurf der Blasphemie freigesprochen.

So blickt man seitens der katholischen Kirche schon seit einiger Zeit neidisch auf die Virilität des moslemischen Glaubens. Selbst ein theologischer Quergeist wie Adolf Holl bedauert, dass der „christliche Widerstand nachlässt“ (siehe Interview Seite 25). Er fände es „gar nicht so schlecht“, wenn „die europäische Spaßgesellschaft“ aus aktuellem Anlass an ihren „verwahrlosten Umgang“ mit dem kulturellen Erbe erinnert werde, sagt der ehemalige Priester.

Berechtigtes Ärgernis. Der steirische Bischof Egon Kapellari, Medien- und Kultursprecher der Bischofskonferenz, äußerte naturgemäß Verständnis für den moslemischen Protest gegen die Mohammed-Karikaturen: Jesus dürfe zwar, auch wenn Kapellari dies persönlich für „absolut unnotwendig“ hält, karikiert werden, aber nur mit dem entsprechenden Respekt. Andernfalls dürfe man sich über empörte Reaktionen der Gläubigen „nicht wundern“, meint Kapellari.

Die Frage, wo der Respekt vor religiösen Figuren beginnt und wo er aufhört, wurde schon in der Weimarer Republik verhandelt. Der deutsche Künstler George Grosz hatte 1928 eine Zeichnung unter dem Titel „Maul halten und weiter dienen!“ veröffentlicht; sie zeigte Jesus am Kreuz, mit Militärstiefeln und einer Gasmaske, wie man sie im Ersten Weltkrieg getragen hatte. Der Richter meinte, dadurch würden gläubige Christen empfindlich verletzt und ihre Religion als kriegshetzerisch dargestellt. Grosz verteidigte sich, er habe den Missbrauch der Religion und der Kirche, welche die Jugend segnend auf die Schlachtfelder geschickt habe, anprangern wollen. „Christus wird von einer anderen Macht vergewaltigt“, sagte Grosz. Erst wurde er verurteilt, dann freigesprochen. Doch die Druckplatten mussten vernichtet werden.

Der Tatbestand der Gotteslästerung ist mittlerweile abgeschafft. Seit der Strafrechtsreform 1975 wird nicht mehr Gott selbst, sondern das religiöse Gefühl der Gläubigen geschützt, denn: „Gott an sich ist nicht zu beleidigen“, wie Erich Leittenberger, Pressesprecher von Kardinal Schönborn, feststellt.

Anders als etwa in Deutschland, wo der Staat nur dann in Aktion tritt, wenn der „öffentliche Religionsfriede“ in Gefahr ist, was der Vatikan stets als „Aufforderung zum Faustrecht“ kritisierte, können Gläubige vor österreichischen Gerichten auch auf Verletzung ihrer Gefühle plädieren.

Mit Berufung auf Paragraf 188 („Herabwürdigung religiöser Lehren“) kann ein Angehöriger jeder anerkannten Religionsgemeinschaft wegen Verhöhnung einer Person oder Sache, die in seiner Religion verehrt wird, klagen, sofern ein bestimmter Vorfall nicht nur bei ihm selbst, sondern auch bei anderen „berechtigtes Ärgernis“ auslöst. Das Abstellen auf Gefühle war von Anfang an umstritten. Laut den Erläuterungen zum Gesetz von 1975 wandten Juristen schon damals ein, die Verletzung eines religiösen Gefühls sei „ein sehr unbestimmter Begriff“, wo es sich doch „um irrationale Vorstellungen handelt“.

Zensur auf Verdacht. In den achtziger Jahren, als die Freiheit der Kunst eben in den Verfassungsrang erhoben worden war, die Gläubigen vor den Kinosälen gegen Martin Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi“ protestierten, Pier Paolo Pasolinis De-Sade-Adaption „120 Tage von Sodom“ noch verboten war, der profil-Karikaturist Manfred Deix vor Gericht stand und so gut wie jede Ausstellung des mittlerweile zum Staatspreisträger geadelten Aktionisten Hermann Nitsch durch das Ablagern von Misthaufen gestört wurde, entschieden die Richter ganz im Einklang mit dem gesellschaftlichen Klima gern zugunsten des religiösen Gefühls.

Mit teilweise skurrilen Begleiterscheinungen: 1983 inszenierte der berüchtigte, aus Oberösterreich stammende Pornojäger Martin Humer einen Aufstand gegen den Jesus-Film „Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch. Die Bischöfe bekamen zur argumentativen Unterstützung Kopien des Drehbuchs zugeschickt, hielten sich jedoch vornehm zurück. Die „Basis“ jedoch war engagiert genug. Der Film – die Geschichte eines leicht verzweifelten Jesus Christus, der vom Kreuz in die Niede-

rungen des Alltags hinabsteigt und sich unter anderem intim mit einer Oberin einlässt – wurde noch vor der österreichischen Erstaufführung wegen „versuchter Herabwürdigung religiöser Lehren“ beschlagnahmt und schließlich verboten. In der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wurde zum Gaudium des Künstlers die Verspottung „der Person Joseph Christus“ geltend gemacht. Der Richter berief sich auf den „religiös normal empfindenden Durchschnittsbürger“. Der Film darf bis heute nicht in Österreich gezeigt werden.

Ähnlich erging es 1984 der Verfilmung von Oskar Panizzas Stück „Liebeskonzil“, das schon 1894 in der Bühnenfassung die Gläubigen erregt hatte. Im Film „Liebeskonzil“ von Werner Schroeter beschließt ein Himmelskonzil, die Menschen für ihre Sittenlosigkeit zu bestrafen, und zwar mit Hilfe des Teufels, der die Syphilis auf die Erde bringt. Das „Lexikon des Internationalen Films“ wertet Schroeters Arbeit als „Exkurs über staatliche Zensur und künstlerischen Nonkonformismus“. In Graz und Wien wurde der Film unter Protesten gezeigt, in Innsbruck nach gerichtlich anberaumter Besichtigung beschlagnahmt und verboten. Diesmal waren nicht nur zahllose Gläubige und der unvermeidliche Pornojäger Humer, sondern auch die Diözese Linz aktiv geworden.

Vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wurde das Verbot 1993 mit Verweis auf die katholischen Traditionen im Lande Tirol anerkannt. In Europa gebe es keine einheitliche Vorstellung von Moral und Bedeutung der Religion in der Gesellschaft, argumentierten die Straßburger Richter. Daher müsse den nationalen Behörden ein gewisser Beurteilungsspielraum zur Verfügung stehen. Im Gegensatz zur Rechtsprechung in Fragen der Meinungsfreiheit, die auch „schockieren“ darf, folgt der Europäische Gerichtshof in Religionsbelangen durchweg den nationalen Sitten. Die Klage einer Türkin, die an der Universität in Instanbul nicht mit Kopftuch studieren durfte, wurde mit Verweis auf die laizistische Verfassung der Türkei abgewiesen. Die Frau hat mittlerweile in Wien ihr Medizinstudium beendet – verschleiert.

Anders als bei „Liebeskonzil“ und „Gespenst“, wo nicht die Künstler, sondern ihr Werk verfolgt wurden, mussten sich die Verantwortlichen der Theatergruppe „Habsburg-Recycling“, Harald Posch und Thomas Gratzer, derzeit Leiter des Rabenhof-Theaters, persönlich vor Gericht verantworten und wurden im Jahr 1998 nach einem Instanzenweg, der sich über sieben Jahre hinzog, zur Strafzahlung von insgesamt 1700 Euro verurteilt.

Peinliche Erörterungen. Stein des Anstoßes war das Kabarettstück „Habsburg Recyclings Fröhliche X-Nacht“, uraufgeführt im Jahr 1991 in einem Wiener Kellertheater. Dabei wurde Originalmaterial aus katholischen Quellen vom Mittelalter aufwärts verwendet und auf historische Ereignisse der Kirchengeschichte verwiesen. Der Katholische Familienverband beanstandete unter anderem die Darstellung der „heiligen Maria als machtbesessene Schwindlerin, der Erzengel als homosexuelle Samenspender“ und „Verhöhnung der Sakramente“. Vor Gericht wurden mithilfe von Sachverständigen unter anderem folgende Fragen erörtert: Gibt es Anzeichen dafür, dass Engel homosexuell sind? Ist es Verspottung, wenn das Jesukind Olivenkerne auf das Publikum spuckt? Darf man ein dunkles Kapitel der katholischen Kirchengeschichte – die Zwangstaufe von Juden – auf der Bühne unter Zuhilfenahme von Urin thematisieren?

Das „berechtigte Ärgernis“ wurde damals vor Gericht sehr großzügig ausgelegt. Laut Observationsbericht von Spitzeln der Bundespolizeidirektion kam es bei der Aufführung zu „keinerlei Unmutsäußerungen des Publikums, ganz im Gegenteil wurde eifrig Beifall bekundet“.

Im Grunde ist keine gesellschaftliche Gruppe mit dem Religionsparagrafen so recht zufrieden. Grüne und Liberale forderten einst seine Abschaffung. In Kirchenkreisen spricht man, leicht bedauernd, von „totem Recht“, die Juristen an den einzelnen Bezirksgerichten stöhnen unter bisweilen skurril anmutenden Anzeigen, mit denen sich immer öfter fundamentalistisch-katholische Gruppen gegen liberale Katholiken zur Wehr setzen. Der mittlerweile pensionierte Richter Bruno Weis etwa hat das Gesetz von Anfang an für „nicht judizierbar“ gehalten. Sektionschef Roland Miklau im Justizministerium schätzt daran vor allem die „Dynamik“, die es erlaubt, sich nach gesellschaftlichen Entwicklungen zu richten.

Künstler und Kulturschaffende forderten in den vergangenen Jahren immer wieder, den Staat, so wie in Deutschland, nur bei Gefährdung des öffentlichen Religionsfriedens als regelnde Instanz einzuschalten. Im Lichte der jüngsten Ereignisse wäre wohl auch das problematisch.

Von Christa Zöchling