Blues, Schweiß und Tränen

Blues, Schweiß und Tränen

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In der Erfolgsbilanz von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel muss ein Punkt besonders stark hervorgehoben werden: die Tatsache, dass Wolfgang Schüssel immer noch Bundeskanzler ist. Darauf hätten am 4. Februar 2000, als das Kabinett Schüssel I vom demonstrativ versteinerten Bundespräsidenten Thomas Klestil angelobt wurde, und in den turbulenten Tagen und Wochen danach nur wenige einen namhaften Geldbetrag verwettet (wohl nicht einmal Schüssel selbst). Die Aufregung um den schwarz-blauen Koalitionspakt war ebenso heftig wie grenzüberschreitend: In Wien gingen tausende auf die Straße (am 19.2.2000 sogar hunderttausende), die EU verhängte Sanktionen gegen ein Mitgliedsland, das nunmehr von einer Partei mitregiert wurde, deren Spitzenrepräsentanten zum Teil einen äußerst dubiosen Umgang mit der braunen Vergangenheit Österreichs pflegten. Damals genoss Jörg Haider europaweit noch den Ruf eines rechtspopulistischen Bürger(lichen)schrecks.

Schüssel jedoch spielte eine strategische Qualität aus, die ihn mehr als jeden anderen heimischen Politiker auszeichnet und, allen späteren dramatischen Wendungen zum Trotz, über die vergangenen fünf Jahre hinweggerettet haben dürfte: Nervenstärke. Ein scharf ausgeprägter Machtinstinkt hatte ihn nach oben getrieben, und von dort wollte er sich nicht so ohne weiteres wieder verscheuchen lassen – nicht von demonstrierenden „Gutmenschen“, nicht von indignierten EU-Granden (die übrigens in der Folge alle Exzesse von Silvio Berlusconi anstandslos abnickten) und schon gar nicht von einem notorischen Quälgeist wie Jörg Haider.

Heute ist Schüssel ganz oben und muss, auch angesichts der anhaltend kläglichen Performance der größten Oppositionspartei, nicht fürchten, seinen Status so bald zu verlieren. Diese Leistung verdient allen Respekt, der wertfrei möglich ist. Aber das kann unmöglich alles sein, nicht einmal in der Politik und wahrscheinlich nicht einmal in jener Ausprägung von Politik, für die Wolfgang Schüssel exemplarisch steht: kalt-technokratisch, rücksichtslos zweck- und machtorientiert.

Also: Wie haben fünf Jahre Schwarz-Blau das Land verändert? Am nachhaltigsten wohl atmosphärisch. Die Erregung von damals ist aufseiten der „Verlierer“, vor
allem der so genannten Zivilgesellschaft, einer tiefen Ernüchterung gewichen, während die „Sieger“, also vor allem die ÖVP, es sich in der von ihnen geschaffenen und konsequent ausgebauten Normalität bequem gemacht haben. Die neue österreichische Normalität ist zum einen fraglos den ökonomischen Sachzwängen eines reformbedürftigen Sozialstaates geschuldet und insofern im internationalen Vergleich durchaus keine insuläre Erscheinung. Diesem strukturellen Druck müsste sich auch eine SPÖ-geführte Regierung stellen (so wie die rot-grüne Koalition in Deutschland).

Das genuin Österreichische an der neuen Normalität aber ist zum anderen ihre lähmende, von niemandem mehr hinterfragte Selbstverständlichkeit. Die Aufbruchstimmung im Februar 2000 war eine zweifache: Das Schüssel-Lager legitimierte sich mit dem Argument, durch das Regierungsbündnis mit der FPÖ würden die unseligen großkoalitionären Verkrustungen endlich zertrümmert. Die Antagonisten wiederum hofften, die Dynamik des Widerstands gegen diesen politischen Tabubruch für einen grundlegenden gesellschaftlichen Paradigmenwechsel nutzen zu können.

Beide „Visionen“ sind gescheitert: Die ÖVP kontrolliert das Land heute so selbstherrlich wie jeder rot-schwarze Proporzfilz zuvor. (Der kleine Koalitionspartner dient dabei lediglich zur Mehrheitsbeschaffung und -erhaltung.) Die alten Fronten wurden nicht abgebaut, sie wurden lediglich leicht verschoben und massiv zementiert. Es herrschen maximal klare Verhältnisse. Aber auch die Illusion, dass zumindest der – sei es hitzige, sei es geduldige – Widerstand gegen diese Verhältnisse eine nachhaltige Wirkungskraft entfalten könnte, ist mittlerweile umstandslos von der Realität überholt worden.

Was bleibt, ist der Blues – ein generationen- und lagerübergreifender Blues, inspiriert von der normativen Kraft des Faktischen. Zu Schüssel fällt den meisten nichts mehr ein, schon gar keine Alternative. Das ist die wohl traurigste Erkenntnis nach fünf Jahren Schwarz-Blau, und ihre Tragweite reicht entschieden über die Analyse parlamentarischer Macht- und Mehrheitsverhältnisse hinaus. Der historische Ruck, der Österreich im Februar 2000 jäh und kurz erfasste, hat wenig bewirkt, was rückblickend Anlass zu Euphorie bieten würde. Darauf kann nicht einmal Wolfgang Schüssel ernsthaft stolz sein. Er hat das Land systematisch „befriedet“, und zwar um den Preis einer umfassenden Paralyse, von der auch seine eigene Partei nicht ausgenommen ist.

An den Gedanken, ob seine Ära „nun einen Monat oder zehn Jahre dauert“, habe er „keine Energie verschwendet“, sagt Schüssel im „News“-Interview. Zehn Jahre sind eine wirklich lange Zeit – fünf Jahre aber auch, Zeit genug jedenfalls für ein Land, um in einen prekären Halbschlaf zu versinken, aus dem Wolfgang Schüssel es mit Sicherheit nicht so schnell reißen wird.