Blut und Beuschel bei Quentin Tarantino

Blut und Beuschel: Quentin Tarantinos obszöne Farce "Inglourious Basterds"

Die obszöne Farce "Inglourious Basterds"

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Wenn Quentin Tarantino in die Welt blickt, sieht er nur Filme. Und die stehen ihm, während er seine Inszenierungen bastelt, alle zur Verfügung, jederzeit. Er muss nur zugreifen, sich am Kino ­bedienen. Die Mühe, seine filmischen Zeichen sinnvoll aneinanderzuhängen, macht er sich daher schon lange – um genau zu sein: seit „Jackie Brown“ (1997) – nicht mehr: In Tarantinos Universum gehören auch die entlegensten Filmzitate noch zueinander, da reimt sich Riefenstahl auf Hitchcock, und der Italowestern passt zum Anti-Nazi-­Drama wie die Faust aufs Kino-Auge.

Eine gewisse stilistische Frivolität ist somit auch an Quentin Tarantinos jüngstem Film, „Inglourious Basterds“ (Kinostart: 21. August), auszumachen: Zu Szenen, die im Paris des Jahres 1944 spielen, erklingt etwa Sixties-Filmmusik, und ein (von Eli Roth in Tarantinos Auftrag) neu gedrehter Nazi-Propagandafilm sieht aus wie ein schwarz-weißer Horrorfilm aus den frühen siebziger Jahren. Aus Tarantinos Sicht ist der massierte Anachronismus nur konsequent: Er muss, glaubt er, im Kino keiner „Wirklichkeit“ gerecht werden, denn „wirklicher“ als die zigtausend Filme, die er seit Jahrzehnten liebt, erscheint ihm nichts. Diese Filme sind alles, woran er glaubt; sie sind seine Religion. Das macht Tarantinos Arbeiten nicht besser, aber doch unverwechselbar. Niemand inszeniert sorgloser, niemand greift rücksichtsloser in die vollen Schubladen des Trash- und Genrefilms als der Mann aus Knoxville, Tennessee, der Ex-Videothekar und Ciné-Maniker, der – inzwischen 46 – in seiner glühend-regressiven Beziehung zum Kino längst auch eine Altersvorsorge sehen kann.

Als Projekt ist „Inglourious Basterds“ bereits ein Jahrzehnt alt. Tarantino hatte den Film zunächst als Miniserie, als vielstündiges Epos geplant, das den Krieg von 1939 bis 1945 komplett durchmessen sollte. Schließlich legte er ein auf die Jahre 1941 und 1944 reduziertes 165-seitiges Drehbuch vor, das ihm ein Budget von 70 Millionen Dollar und die Zusage Brad Pitts sicherte. Im Oktober 2008 starteten die Dreharbeiten in Berlin, gefolgt von einer dreimonatigen Klausur im Schneideraum. Die Postproduktion wurde ein Wettlauf gegen die Zeit: Nur knapp brachte es Tarantino zuwege, seinen Film in Cannes zur Weltpremiere anzuliefern.

Mörderische Mission. Als Märchen („Es war einmal … im besetzten Frankreich“) geht Tarantinos „Inglourious Basterds“ ins Rennen – mit der Ankunft des SS-Offiziers Hans Landa (Christoph Waltz), untermalt von ­einer geborgten Italowestern-Melodie ­Ennio Morricones. Der ausgesucht höfliche Landa verstrickt einen französischen Landhausbesitzer in endlose Debatten, während unter dem Holzboden des Hauses, wie er weiß, bereits die flüchtigen Juden zittern, die er zur Strecke bringen will. Aber er zieht die Sache vielsprachig in die Länge. Das ist Tarantinos kategorischer Imperativ: Jede sich abzeichnende Dramaturgie ist zu dehnen, bis sie unerträglich wird. Sein Sadismus hat komische Nebenwirkungen. Das Ende ist absehbar, nur wann es kommen wird, steht nicht fest: Ungerührt erfüllt Landa seine mörderische Mission, lässt nur ein junges Mädchen (Mélanie Laurent) fliehen. Sie wird fortan auf Rache sinnen.

Tarantino ironisiert mit seinem ameri­kanisch-deutsch-französischen Ensemble nebenbei auch das Sprachgewirr alter Co-­Produktionen. Der Österreicher Christoph Waltz wechselt in der Konversation mit dem französischen Landwirt („with your permission“) bald ins Englische, weil er, wie er sagt, die Grenzen seines Französisch (und den Markt, für den der Film hergestellt wurde, in dem er die Hauptrolle spielt) nur zu gut kennt. Landa, ein polyglotter Bürokrat und Killer, ist eine außerordentliche Figur: Sie hält diesen vom Auseinanderbrechen akut bedrohten Film notdürftig zusammen. ­Waltz (siehe Porträt Seite 88) hat sich mit dieser Leistung eine späte internationale Karriere geschenkt. Seine Partner haben ihm schauspielerisch nicht viel entgegenzusetzen: Brad Pitt erledigt seine Rolle als Chef einer ­brutalen Nazi-Jäger-Truppe, der „unrühmlichen Bastarde“ des Filmtitels, wie im Halbschlaf: ganz lässig, mit breitem Südstaaten-Slang und mit dem geringsten denkbaren Anspruch.

Die Mission seiner Gang, einer jüdisch-amerikanischen „Wild Bunch“, ist so simpel wie Tarantinos dramatische Bögen: „Kill the Nazis“ – jeder seiner Männer, bellt Pitt, schulde ihm 100 Nazi-Skalps. Seine Rekruten sind Männer fürs Grobe – inhuman und unbedacht; allerdings ­dienen sie damit einem guten Zweck: Sie treten als eine Art blutige Showtruppe in Szene und schneiden jedem Nazi, den sie leben lassen, weil er geständig ist, ein Hakenkreuz gut sichtbar in die Stirn; und wenn die Folter einen Faschisten nicht zum Sprechen bringt, steigt der letzte Spezialist, der „Bear Jew“, wie ein Wrestling-Star aus seiner Höhle und schlägt mit seinem Baseballschläger den jeweils aktuellen Nazi-Kopf zu Brei. Tarantino hat diese Rolle, nicht ohne Witz, dem von ihm verehrten Splatter-Regisseur Eli Roth („Hostel“) überlassen, der „Inglourious Basterds“ inzwischen sarkastisch einen „koscheren Porno“ genannt hat.

Historienpersiflage. Tatsächlich wird die Geschichte des Nationalsozialismus in Tarantinos revisionistischem Zugriff zu ­einer obszönen Historienpersiflage im Stil wüster Comics: Martin Wuttke lässt in seiner geifernden Hitler-Darstellung Chaplins Verkörperung des „Großen Diktator“ wie subtilstes Charakterschauspiel aussehen. Aber um Realismus geht es hier eben nicht, sondern um Exorzismus. Tarantino zieht in seinem ersten deutschen Film keinen Schlussstrich unter die NS-Debatte, er eröffnet sie lieber neu: mit einer überbordend bösen Operette, die dem jüngeren deutschen Aufarbeitungskino den ­gestreckten Mittelfinger präsentiert.

Tatsächlich handelt „Inglourious Basterds“ nicht vom Nationalsozialismus, sondern nur vom Kino: Man unterhält sich hier kennerisch über G. W. Pabst, ­Lilian Harvey und Georges Clouzot, und Tarantino nennt seine Figuren Bridget von Hammersmark, Wilhelm Wicki und Omar Ulmer – und Enzo G. Castellari, den Regisseur der originalen, orthografisch noch korrekten „Inglorious Bastards“ (Originaltitel: „Quel maledetto treno blindato“) von 1978, lässt er auch kurz durchs Bild gehen. Im Kino läuft der Alpenmythenthriller „Die weiße Hölle vom Piz Palü“, aber die Nazis ändern das Programm und zeigen ihren (fiktiven) neuen NS-Propagandafilm „Der Stolz der Nation“, in dem ein junger Kriegsheld (Daniel Brühl) seine grausamen Taten zum Gaudium der ­Nazi-Elite nachstellt. Der cinephile Goebbels ergötzt sich infantil am Schlachterkriegsfilm, während Tarantino Blut & Boden leichthin in Blut & Beuschel verwandelt.

Heiterer Unsinn. Die Kritiker sind, wie nicht anders zu erwarten, ob so viel Frechheit gespalten: Der britische „Guardian“ verglich „Inglourious Basterds“ mit einem „fettgefressenen, verwöhnten Halbwüchsigen“, während das New Yorker „Time Out“-Magazin Tarantinos „Vernachlässigung elementarer Erzählkonventionen“ beklagte und die Londoner „Times“ in dem Film „ein Märchen von unüblicher und wohldurchdachter Courage“ erblickte. Das letzte Wort hat natürlich Quentin Tarantino selbst, der seinen Vertreter auf der großen Leinwand, Bandenchef Pitt, nach einer letzten antifaschistischen Bluttat dreist mutmaßen lässt, dass „dies mein Meisterwerk sein könnte“. In „Inglourious Basterds“ wird aber auch sonst allerhand heiterer Unsinn geplaudert, geplappert, bis zum Abwinken um den heißen Brei geredet. Abgerechnet wird, wie es sich gehört, zum Schluss mit einer doppelten Verschwörung, in deren Rahmen Tarantinos Film zu launigem Irrwitz degeneriert. Alles Kino!

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.