„Das ist wie ziemlich eilig pissen müssen“

Interview. Der Popstar und Weltverbesserer Bob Geldof über drängende Inspiration und Altersflecken

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Interview: Sebastian Hofer

profil: Sie begehen Ihren Sechziger mit einem Konzert im Burgtheater – sonst noch Wünsche?
Geldof: Nun, ich rechne schon damit, dass die jubelnden Bürger der Stadt die Straßen säumen und diesen großen Feiertag festlich begehen.

profil: Mit Feuerwerk?
Geldof: Warum nicht? Übrigens habe ich schon einmal einen runden Geburtstag, meinen vierzigsten, glaube ich, in Österreich verbracht: in Graz. Man hat mir damals eine riesige Flasche Wein geschenkt. Ich freu mich jedenfalls schon sehr auf diesen Abend.

profil: Aufs Älterwerden auch?
Geldof: Älterwerden tut mir nicht weh. Man fühlt sich ja nie wie in einem bestimmten Alter. Man fühlt sich nicht erst wie ein Zwanzigjähriger und später wie ein Vierzigjähriger.

profil: Man fühlt sich immer wie man selbst.
Geldof: Genau, das Selbst ist irgendwo da drunter. Das macht es natürlich nur absurder, wenn diese seltsamen kleinen Punkte da auftauchen (zwickt in seinen Handrücken, zeigt Altersflecken). Die sind da einfach aufgetaucht. Ohne meine verdammte Erlaubnis. Oder schauen Sie hier (zeigt seine Lachfalten): Falten! Man schaut sich das an wie Science Fiction. Oder wie eine Frau, die schwanger wird und fasziniert beobachtet, wie sich ihr Körper verändert. Etwas passiert, das überhaupt nichts mit dir selbst zu tun hat. Also, Älterwerden betrifft mich nicht. Die letzte Dekade war die glücklichste meines Lebens.

profil: Im Ernst?
Geldof: Ja, allerdings war das für mich selbst die größte Überraschung – eine ­echte Offenbarung. Gerade eben habe ich gelesen, dass die Leute rein statistisch in ihren Fünfzigern am glücklichsten sind – mit Ausnahme der Achtzigjährigen. Die sind noch glücklicher.

profil: Dann können Sie sich ja schon auf etwas freuen.
Geldof: Mache ich auch. Meine Theorie dazu ist, dass man in seinen Fünfzigern die emotionalen Unwetter des Lebens mehr oder weniger alle durchgemacht und hoffentlich auch überlebt hat. Die Kinder sind aus dem Haus, man hat Zeit für sich selbst, man hat Arbeit und noch genug Energie für neue Ideen. Und deine Generation sitzt an den Schalthebeln, du hast also einen Zugang dazu. Mit zwanzig siehst du den Rezeptionisten. Mit fünfzig triffst du den Geschäftsführer. Du bist näher dran am Weltgeschehen. Mit sechzig gehörst du dann schon langsam wieder zum alten Eisen. Aber Rock ’n’ Roll wird immer noch ein verdammter Spaß sein. Meinen Siebziger feiere ich dann in einem Club in Linz.

profil: Apropos emotionale Unwetter: Werden Sie in Wien denn auch Songs von Ihrem 2001er-Album „Sex, Age & Death“ spielen, in dem Sie die traumatische Trennung von Ihrer Ex-Frau Paula Yates verarbeitet haben? Sie hat Sie 1995 nach neunzehn Jahren und drei gemeinsamen Kindern für den INXS-Sänger Michael ­Hutchence verlassen. Fünf Jahre später starb sie an einer Überdosis.
Geldof: Früher hatte ich große Probleme mit diesen Songs. Es fühlte sich an, als würde ich in einer Wunde wühlen. Heute kann ich sie im Zusammenhang meines Lebens sehen. Die Trennung ist nicht mehr dieses dominante Thema, das mich einfach überwältigt. Vor allem weiß ich ja nun, wie es weitergegangen ist.

profil: Auf Ihrem neuen Album finden sich viele verschiedene Stile – von Barjazz bis Irish Folk. Liegt das daran, dass Sie fast zehn Jahre daran gearbeitet haben?
Geldof: Im Gegenteil, das könnte daran liegen, dass es in so kurzer Zeit entstanden ist. Ich habe 32 Songs dafür geschrieben, und wenn ich so viele Stücke schreibe, probiere ich auch viele verschiedene Dinge aus – ansonsten würde ich mich langweilen. Und weil die Leute kaum ein ganzes Bob-Geldof-Album aushalten, geschweige denn ein Dreifachalbum, habe ich es ­anschließend auf zehn Songs reduziert.

profil: Können Sie sich leicht von Ihren Liedern trennen?
Geldof: Wenn ich Sie gekannt hätte, hätte ich Ihnen das Album vorgespielt und Sie dabei beobachtet. Und ich hätte sofort gesehen, welche Songs nicht funktionieren – wenn Sie anfangen, unruhig zu werden, auf Ihre Fingernägel zu starren oder so.

profil: Und wem haben Sie es nun vor­gespielt?
Geldof: Allen möglichen Leuten, auf allen möglichen beschissenen Anlagen. Das kann ziemlich peinlich werden. Ich denke, wenn Sie einen Artikel schreiben und ihn jemandem zu lesen geben, werden Sie auch schwitzen. Man will schließlich ­gelobt werden.

profil: Wie kommt die Inspiration zu Bob Geldof? Und kommt sie oft?
Geldof: Nein, das passiert selten. Wir könnten natürlich jetzt gleich die Gitarre schnappen und in einer halben Stunde ­einen Song schreiben. Er wäre Scheiße, aber er würde wie ein Song klingen. Wir könnten ihn da hinten auf meinem Laptop aufnehmen wie die ganzen Idioten, die mir auf meinen Konzerten ihre selbst aufgenommenen Songs in die Hand drücken. Und das wär’s. Wenn ich ein Hitalbum ­schreiben wollte, würde ich mir einen Tag lang die österreichischen Top Ten anhören und dann eine Version daraus basteln. Aber das interessiert mich nicht. Also warte ich auf den Drang, Musik zu machen. Und weil ich so viele andere Dinge mache, muss dieser Drang schon sehr dringend sein. Um es ein bisschen vulgär zu sagen: Das ist, wie ziemlich eilig pissen zu müssen. Wenn dieser Drang kommt, wird er stärker und stärker, und wenn du ihm nicht irgendwann nachgibst, hast du ein Problem.

profil: Und dann lassen Sie es einfach laufen?
Geldof: Das klingt lächerlich, aber ich glaube tatsächlich, dass es einen Teil in meinem Unterbewusstsein gibt, der die ganze Zeit über Songs schreibt. Und dann passiert etwas, und irgendetwas bleibt im ­Bewusstsein hängen, und ich notiere mir einen Fetzen von einer Idee – ohne genau zu wissen, warum. Und dann gibt es diesen Moment der Katharsis, wo alles auf einmal herausbricht und alle diese kleinen Notizen sich zusammenfügen. Ein Song ist für mich wie eine Postkarte meiner Psyche an mich selbst. Manchmal kommt die Post an, manchmal nicht. Bei manchen Songs habe ich keine Ahnung, was sie bedeuten sollen. Dann singe ich sie eineinhalb Jahre lang, und auf einmal, mitten in einem Konzert, kommt es mir: Ach, darum geht’s in dem Stück, verdammt noch mal.

profil: Sie sind Musiker, Entwicklungs­hilfelobbyist, Investor, Medienunternehmer. Wie teilen Sie sich Ihre Zeit ein? Montag Musik, Dienstag Business, Mittwoch Weltretten?
Geldof: Nein, das läuft immer alles gleichzeitig. Ich weiß schon, dass das sehr kitschig klingt, aber ich habe die Politik für meinen Kopf, Business für meinen Bauch, Musik für meine Seele und meine Familie für mein Herz. Die meiste Zeit laufe ich in meiner Wohnung auf und ab, mit dem Telefon am Ohr und der Gitarre in der Hand (legt den Kopf schief und spielt Luftgitarre), und dann geht es die ganze Zeit so didldidldidldi. Meine Familie treibt das natürlich in den Wahnsinn. Aber auf einmal wird aus einem belanglosen Geklimper etwas Sinnvolles, und die losen Enden fügen sich zusammen. Das ist vielleicht nicht die effektivste Arbeitsweise, aber gut. Ich hätte in London sechs verschiedene Büros, in denen ich arbeiten könnte. Aber ich will da nicht hin. Und eigentlich wollen sie mich da auch nicht.

profil: Warum nicht?
Geldof: Weil ich mich immer einmischen muss.

profil: Kommen Sie überhaupt noch zum Zeitunglesen?
Geldof: Ja, jeden Tag. Vor allem die „Financial Times“.

profil: Was war die letzte wirklich gute Nachricht?
Geldof: Das war wohl heute Morgen. Es war beileibe keine gute Nachricht, es ging um die Finanzkrise. Aber die Finanzkrise fasziniert mich. Vor allem, weil niemand, wirklich niemand kapiert, was da tatsächlich vorgeht. Und niemand sagt die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Die Banken sind bankrott. Völlig pleite. Und was als Staatsschuldenkrise begann, wird zu einer Bankenkrise, die wieder in eine Staatsschuldenkrise mündet, weil die Staaten die Banken stützen müssen, damit keine Staatspleite entsteht (macht Wischbewegungen vor der Stirn).

profil: Macht Ihnen das Angst?
Geldof: Wenn man es objektiv betrachten könnte, wäre es eine wahnsinnig spannende Zeit. Etwas ändert sich fundamental. Aber natürlich steht für die meisten Leute die Frage im Vordergrund, wann sie ihren Job verlieren oder ob sie je einen Job bekommen werden. Wäre ich heute 20, ­würde ich mir denken: Wahnsinn, was für eine verschissene Welt. Wenn ich Ende 30, Anfang 40 wäre, würde ich mir richtig große Sorgen machen – um Kinder, Kredite, Hypotheken, was auch immer.

profil: Welches Gefühl überwiegt beim 60-Jährigen?
Geldof: Zorn. Wir werden von der ökonomisch-politischen Klasse massenhaft betrogen. Diese Leute sollten im Gefängnis sein. Schauen Sie sich UBS an: Heute Morgen lese ich von einem Banker, der 1,5 Milliarden verspielt hat. Und die Bank hatte keine Ahnung, was er tat! Keiner wusste, was das für Derivate waren! Wie soll man Risiken steuern, wenn man nicht einmal über die eigenen Produkte Bescheid weiß? Und dabei ist es nicht einmal ihr eigenes Geld! In jeder anderen Branche würde man das als kriminell bezeichnen.

profil: Spekulation ist aber nicht verboten.
Geldof: Diese Leute treiben einen ganzen Kontinent in den Ruin. Auf der anderen Seite ist das aber auch aufregend. Wir stehen vor fundamentalen Änderungen. Man wird noch in 300 Jahren von der Zeit sprechen, in der ein System, das die westliche Welt fünfhundert Jahre lang dominiert hatte, auf einen Schlag von einem Erdteil verschwand – und an einem anderen wieder auftauchte. Wir können das nur mit Staunen beobachten. Und China um Geld anbetteln.

profil: Warum gibt es eigentlich keine Protestkultur mehr? Wo ist der neue Punk?
Geldof: Ich warte verzweifelt darauf. Man müsste mit neuen Augen auf diese Welt sehen, auf diese Welt, die sich einen Scheiß um dich schert. Du bist 19, ziehst von zu Hause aus, deine Eltern denken, du bist großartig, deine Lehrer sagen dir, du bist großartig, aber die Welt kümmert sich ­einen Scheiß.

profil: War das die Botschaft der London Riots?
Geldof: Die London Riots waren die ersten konsumorientierten Aufstände der Geschichte. Die Jugendlichen randalierten, um größere Plasmafernseher zu bekommen. Drei Viertel von ihnen waren Kriminelle. Das waren Banden, die eine Gelegenheit genutzt haben. Diese Leute haben sich gesagt: Na gut, ich seh mal, ob ich ein neues Auto kriegen kann. Und ihre Eltern haben ihnen noch nachgeschrien: Aber schau, dass du ein blaues kriegst! Da steckt ein Song drin, aber kein sehr schöner.

profil: Trotzdem waren die Randalierer von London nur ein Symptom, nicht die Auslöser der Krise.
Geldof: Nein, die Banker sind schuld. Und sie kommen damit davon. Und machen das Gleiche noch einmal. Was, verdammt noch mal, erlauben die sich! 44 Prozent aller Spanier unter 25 haben keinen Job. 44 Prozent! Und diese Arschlöcher zahlen sich ihre Millionen-Boni aus – von unserem Geld! Jeder Idiot könnte diesen Job machen. Sie haben es verpfuscht. Und sie sitzen immer noch auf ihren Posten. Sind die Banken denn verfickt noch mal verrückt?

profil: Dazu kommt, dass bei all den ­Finanzkrisen-Nachrichten die Hungersnot in Afrika vergessen wird. Fühlen Sie sich um Ihre Arbeit betrogen?
Geldof: Nein, denn wir haben die Sache weitgehend unter Kontrolle. Die betroffenen Somalier werden in äthiopische und ugandische Flüchtlingslager gebracht, dort können wir diese Leute erreichen und ­ihnen helfen. Natürlich sind die Summen, über die wir hier reden, ein Klacks gegenüber jenen, mit denen Banken gestützt werden. Aber es ist keine Hungerkatastrophe wie damals in Äthiopien. Andererseits wird dabei schon sehr deutlich, wie sehr auch der Journalismus im Arsch ist. Alles muss heute sensationell oder boulevardesk daherkommen, sonst ist es keine Nachricht. Sogar in der BBC. Scheiß auf die Sensation! Erzähl mir die Wahrheit!

profil: Fluchen Sie eigentlich auch, wenn Sie mit Premierministern reden?
Geldof: Wenn es nicht ums Geschäft geht, sondern um eine ganz normale Unterhaltung zwischen zwei Menschen, dann schon. Ich rede nun mal so. Ich bin Ire. Aber wenn ich nicht David Cameron treffe, sondern den Premierminister, dann zeige ich Respekt vor der Funktion. Es ist ein Privileg, Leute mit einem derart dichten Terminkalender treffen zu dürfen. Also komme ich auf den Punkt: Ich will das und das, Sie könnten das und das machen. Wenn ich Cameron auf einer Party treffe, erkläre ich ihm aber schon, was für einen bescheuerten Musikgeschmack er hat.

profil: Würden Sie sich als erfolgreichen Lobbyisten bezeichnen?
Geldof: Na ja, meistens sagen sie Nein. Du musst immer mit mehreren Anliegen ­ankommen, von denen ein paar möglicher sind als die anderen. Für meine Anliegen ist England aber ein guter Boden. Tony Blair, Gordon Brown, David Cameron – das sind alles Live-Aid-Babys. Live Aid hat ihre Einstellung, was Politik erreichen kann, geprägt. Wenn du sagen kannst: Wir ­haben etwas gemacht, das soundso vielen Menschen das Leben gerettet hat, dann ist das einfach cool.

profil: Schwelgen Sie auf Ihrem neuen ­Album deshalb in Erinnerungen an Live Aid?
Geldof: Ich schwelge nicht in Erinnerungen. Das Tragische an dem Song, den Sie meinen, ist die Tatsache, dass mein Leben auf dreißig Zeilen eingedampft werden kann. Ich wusste schon immer, dass mein Leben ziemlich episodenhaft war, aber ich habe nicht geahnt, dass es eine solche Seifenoper ist: 1965 – ich gehe zur Schule, und das Leben ist Scheiße. 1975 – ich fange an, Musik zu machen. 1985 – Live Aid. 1995 – meine Frau verlässt mich. 2005 – alles wieder gut.

profil: Und 2015?
Geldof: Dann bin ich alt und krank (klopft auf den Tisch). Nein, keine Ahnung. Man weiß ja nie.