Börsen-Crash light: Achterbahn der Aktien

Börsen: Achterbahn der Aktien

Experten raten teils gera- de jetzt zum Aktienkauf

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Den meisten Menschen würde es wohl gehörigen Respekt vor sich selbst einflößen, wenn sie wüssten, dass ein paar ihrer Worte buchstäblich die Welt erschüttern können. Alan Greenspan hingegen ist seit Langem an diese Situation gewöhnt. Fast zwei Jahrzehnte stand er an der Spitze der US-Notenbank, bevor er sein Amt im Vorjahr an Ben Bernanke abgab, und mit schöner Regelmäßigkeit konnte er mit ansehen, wie seine Kommentare zur globalen Ökonomie die Börsenkurse rund um den Erball umgehend emporjagten oder abwärtsdrückten.

Am Dienstag vergangener Woche erhielt Greenspan den Beweis, dass er auch im Ruhestand noch über die Macht verfügt, mit einer dürren Wortspende die Märkte zu beeinflussen. Es sei durchaus denkbar, sinnierte Greenspan, dass die amerikanische Wirtschaft bis Jahresende in eine Rezession schlittern könnte – und trug mit dieser Analyse zu jenen erheblichen Turbulenzen an den internationalen Handelsplätzen bei, die in China ihren Ausgang genommen hatten und dazu führten, dass bald das Schlagwort vom „schwarzen Dienstag“ kursierte.

Es begann in Schanghai und Shenzen: Die chinesischen Börsen gaben am Dienstag um rund neun Prozent nach – und lösten eine Art Dominoeffekt aus: In Singapur und Tokio kam es mit zeitlichem Abstand zu deutlichen Verlusten, und an der New Yorker Wall Street wurden die dramatischsten Einbrüche seit dem 11. September 2001 verzeichnet. „Die Anleger haben eine Ohrfeige erhalten“, erklärte der US-Börsenfachmann Bill Gross, wie der Verlust von mehr als 200 Milliarden Dollar an Unternehmenswerten an einem einzigen Tag zu verstehen sei. Auch Europa blieb nicht verschont: Der Wiener Börsenindex ATX stürzte am Dienstag um fast fünf Prozent ab. Zu den großen Verlierern des Tages zählten hier unter anderem Unternehmen wie die VoestAlpine, Raiffeisen International und der Glücksspielanbieter Bwin.

Extrem überkauft. Als Ursachen für die Entwicklungen in China machten Experten mehrere Faktoren verantwortlich. „Diese Märkte waren extrem überkauft, nachdem sie in den vergangenen zwölf Monaten einen Anstieg um mehr als 130 Prozent verzeichneten“, analysiert Harald Egger, Aktienchef der Erste Sparinvest. Sein Institut habe im Übrigen bereits Anfang Februar darauf hingewiesen, „dass die Börsen zwar attraktiv bewertet, kurzfristig aber überkauft sind und mit einer Konsolidierungsphase gerechnet werden muss“. Als weitere Gründe nennt Egger Spekulationen darüber, ob Shang Fulin, der Vorsitzende der chinesischen Börsenaufsicht, zurücktreten werde und dadurch geplante Kapitalmarktreformen ins Stocken geraten könnten, sowie Vermutungen über Zinserhöhungen in China, gefolgt von einer Verlangsamung der Wirtschaftsentwicklung.

Überdies war durchgesickert, dass Behörden angeblich planten, eine Sonderkommission ins Leben zu rufen, die illegale Börsenaktivitäten untersuchen werde. Das hörte sich sehr nach Betrugsfällen wie Enron und Parmalat an – und mehr brauchten viele Anleger nicht, um flugs auf den Sell-Knopf zu drücken. Debatten über die mögliche Einführung einer Kapitalertragsteuer auf Gewinne für chinesische Investoren trugen ebenfalls dazu bei, die Abwärtsspirale in Gang zu setzen.

Am Mittwoch sah die Situation freilich schon nicht mehr so dramatisch aus: Die chinesischen Börsen zogen um rund vier Prozent an, der New Yorker Dow Jones legte zumindest leicht zu, und in Wien trat ebenfalls Entspannung ein – der ATX konnte, nach neuerlichen Verlusten von rund drei Prozent in der Früh, im Lauf des Tages den Kursrutsch beenden. Donnerstagmittag war bereits ein leichtes Plus zu verbuchen. Und just die größten Verlierer des Dienstags wie die VoestAlpine registrierten wieder stärkere Nachfrage. Auch der Freitagmorgen startete in Wien mit fester Tendenz.

Somit zeichnete sich – von einigen europäischen und etwa der Tokioter Börse einmal abgesehen – spätestens am Donnerstag ab, was Heinrich Schaller, Vorstand der Wiener Börse, bereits tags zuvor in Aussicht gestellt hatte: Die aktuellen Kursabschläge, so Schaller zum ORF, würden ihn „überhaupt nicht beunruhigen“. Er sehe keinerlei „Grund zur Panik“. Und sein Vorgänger in dieser Funktion, Stefan Zapotocky, konstatierte, man befinde sich eben in einer „Korrekturphase nach einem sehr massiven Aufschwung“.

Keine Krise. Ähnlich besonnen argumentieren Experten, wenn sie gefragt werden, wie Anleger auf die gegenwärtige Situation reagieren sollen. „Eine globale Krise sehe ich derzeit nicht, obwohl die als riskant geltenden osteuropäischen Börsen in den vergangenen Tagen stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind“, meint Amalia Ripfl, Fondsmanagerin bei der Erste Sparinvest. „Minustage können Anleger auch zum günstigen Einstieg nützen.“ Die Sparinvest hat in den gemischten Fonds sogar die Aktienquote gerade auf 100 Prozent erhöht. Ripfls Kollege Egger meint denn auch, zumindest langfristig orientierte Anleger sollten „den Investitionsgrad tendenziell eher erhöhen als reduzieren“. Anleger mit kurzfristigem Horizont könnten indes besser „auf eine Wiederaufnahme des positiven Trends warten“.

Zu einer vergleichbaren Einschätzung findet Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Zentralbank. „Bis Jahresende sollten die Kurse wieder steigen“, so Brezinschek. „Langfristig sind die Aussichten nach wie vor in Ordnung. Nur wer bloß für zwei, drei Monate investieren möchte, muss nicht unbedingt am Markt sein.“ Auch die Analysten der renommierten Schweizer Bank UBS fassten ihre Empfehlungen in einem kurzen Kommentar zusammen: „Das ist eine günstige Einstiegschance. Turbulenzen wird es immer geben, doch die Konjunktur gibt keinen Anlass zur Sorge.“ Und manch ein Experte kann Schwankungen, wie sie in der Vorwoche auftraten, sogar positive Seiten abgewinnen: „Endlich sind die Tage vorbei, als ich jeden Tag auf meine Frage, was gerade los sei, die Antwort ,nichts‘ erhalten habe“, berichtet Patrick Becker von Becker Capital Management in Oregon.

Zwar lautet eine alte Börsenweisheit: Greife nicht in ein fallendes Messer. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte die aktuellen Turbulenzen daher vielleicht doch lieber aussitzen. „Aber woher soll ich als Kleinanleger wissen, ob das Messer schon am Boden liegt?“, fragte Harald Schmidt in einer seiner Kolumnen für das deutsche Magazin „Focus“ anlässlich der Korrekturphase im Mai 2006. Die Frage ist in der Tat berechtigt – und als Antwort verweisen Experten meist auf die Konjunktur: denn wie das Wachstum, so im Wesentlichen die Börsen. Oder, wie es die 1999 verstorbene Börsenlegende André Kostolany umschrieb: Die Börsen und die Wirtschaftsentwicklung sind in gewisser Weise mit Hund und Herrchen beim Spaziergang vergleichbar: Mal läuft der Hund voraus, mal wird er von Herrchen überholt – und doch sind sie zur gleichen Zeit wieder daheim.

Indikator Wachstum. In Österreich läuft der Wirtschaftsmotor auf hohen Touren: Im Vorjahr wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um etwas mehr als drei Prozent. Das ist mehr als der EU-15-Schnitt von 2,6 Prozent. Ein Grund für die starke Entwicklung hierzulande ist die Nähe zu Osteuropa, wo sich die Konjunktur deutlich besser präsentiert als im Westen. Als Faustregel für Ökonomen gilt: Das BIP-Wachstum im Osten wird in nächster Zeit Jahr für Jahr im Schnitt zwei Prozentpunkte über jenem Westeuropas liegen.

Aus diesen Gründen nur osteuropäische und österreichische Aktien zu kaufen, Westeuropa dagegen unterzugewichten wäre dennoch eine kurzsichtige Strategie. „Der Aktienmarkt ist eigentlich ein Vorlaufindikator für die Konjunktur“, sagt Monika Rosen, Bereichsleiterin Asset Management bei der Bank Austria Creditanstalt (BA-CA). „Er nimmt die Entwicklung vorweg, das heißt, die Märkte steigen schon, bevor die guten Konjunkturdaten eintreffen.“ Was bedeutet: Wenn erfreuliche BIP-Zahlen in der Zeitung stehen, kann es für ein Investment bereits zu spät sein. Das beste Beispiel dafür ist die Wiener Börse, die – von Einbrüchen wie jenem in der Vorwoche abgesehen – seit Jahren kontinuierlich steigt und die Anleger in dieser Zeit mit üppigen Renditen verwöhnt hat. Dass sich die heimische Konjunktur zufrieden stellend entwickelt, ist aber erst seit vergleichsweise kurzer Zeit evident.

„Die Frage ist außerdem nicht nur, wie sich ein Indikator gegenwärtig darstellt, sondern auch, wie er sich entwickelt hat, wie er sich entwickeln wird und wie die Erwartungshaltung der Anleger war“, sagt Rosen. „Ob zehn Prozent Wachstum etwa in Estland für mich als Anleger gut sind, kann ich nur beurteilen, wenn ich auch weiß, womit man im Vorfeld gerechnet hat“, pflichtet Alois Wögerbauer bei, Geschäftsführer von 3 Banken Generali Investment in Linz. „Selbst starkes Wachstum kann manchmal schlecht für die Aktienmärkte sein, weil die Anleger befürchten, dass die Zentralbank Gefahren einer Überhitzung sieht und daraufhin die Zinsen erhöht. Und Zinserhöhungen sind immer Gift für die Aktienmärkte.“

Wenn Anleger von Konjunkturbewegungen profitieren wollen, können sie sich auf mehrere damit korrespondierende Produkte konzentrieren. Die Regel im Hinblick auf konjunkturabhängige Sektor-Allokation lautet: Zykliker in Aufschwungsphasen und defensive Aktien beim Abschwung der Wirtschaft. Damit sind Branchen wie Stahl, Konsum, Industrie, Einzelhandel und Autoproduktion in Boomzeiten und Nahrungs- und Genussmittelproduzenten, Haushaltsproduktehersteller sowie Pharma und Körperpflege in Abschwungphasen gemeint.

Experten empfehlen überdies, nicht auf eine Mischung aus verschiedenen branchenspezifischen Fonds zu setzen, weil es dadurch viele Überschneidungen geben könnte – und etwa gegensätzlich laufende Bewegungen ein Investment zum Nullsummenspiel machen könnten. Und auch eine starre Trennung in einen bestimmten Aktien- und einen Anleihenanteil führt nicht unbedingt zum gewünschten Erfolg. Fachleute raten daher verstärkt zu einer neuen Produktgruppe: den Portfolio-Fonds. Diese bieten einen Mix aus mehreren Anlageklassen, zwischen denen der Manager je nach aktueller Marktlage sogar täglich wechseln kann. „In diese Fonds fließt auch die aktuelle Konjunkturmeinung des Hauses ein“, sagt Rosen, die den Pioneer Asset Allocation Mix empfiehlt.

Fluchtwege. Auch Investmentanbieter wie Constantia, Krentschker, C-Quadrat und Sparinvest haben inzwischen solche Portfolio-Fonds im Sortiment. Sie bestehen meist aus den Assetklassen Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Hedgefonds, Immobilien und Geldmarkt. Bei den vielseitigsten Produkten sind sogar die Anlageklassen Goldminen und Immobilien als historisch bewährte „Fluchtwege“ für ein negatives Börsenszenario berücksichtigt. Und tatsächlich bieten diese Produkte seit ihrer Auflage eine stabile Rendite von um die zehn Prozent jährlich.

Was die US-Konjunktur betrifft, so teilen die meisten Fachleute Greenspans alarmistische Einschätzung im Übrigen nicht. Zwar geben selbst die optimistischsten Investmentprofis zu, dass sich die amerikanische Wirtschaft nicht gerade berauschend darstelle – dies nicht zuletzt aufgrund jüngster Meldungen, wonach das US-Wachstum im vierten Quartal 2006 statt der prognostizierten 3,5 Prozent lediglich 2,2 Prozent betragen habe. „Das Wachstum hat an Fahrt verloren“, sagt John Greenwood, Chefökonom des amerikanischen Investmenthauses Invesco. „Doch es kommt keine Rezession. Das Wachstum wird eine weiche Landung hinlegen, und die USA werden in den kommenden Jahren wieder im Bereich ihres langfristigen Potenzials wachsen, also rund drei Prozent jährlich.“

„Der Abschwung in den USA ist eigentlich schon passiert“, glaubt auch Wögerbauer. „Und das, was noch kommen sollte, ist in den heutigen Kursen bereits eingepreist.“ Wirkliche Katastrophen würden sich nicht abzeichnen. Solche würden lediglich „Weltuntergangspropheten sehen, die Jahr für Jahr den großen Krach prophezeien, um einmal im Leben richtig zu liegen.“

Von André Exner
und Alwin Schönberger