Monaco: Das Porträt einer Sippe

Bonjour Tristesse

So wird ein Zwergenstaat zur Klatsch-Supermacht

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Die Staatsräson gewährt im „Legoland“, wie Monaco im britischen Herrscherhaus gern genannt wird, wenig Platz für Sentimentalitäten. Als Fürst Rainier am Mittwoch vergangener Woche in einem eigens für ihn geräumten Trakt des Herz-Lungen-Zentrums in Monaco um 6.35 Uhr zu atmen aufhörte, war die 800 Adressen umfassende erste Gästeliste für die Begräbnisfeierlichkeiten längst von seiner Privatsekretärin Francine Siri erstellt worden. Der letzte Besucher am Bett des 81-jährigen Fürsten, der von drei Ärzten rund um die Uhr betreut wurde, war der 47-jährige Prinz Albert, den man eine halbe Stunde vor Eintreten des Todes gerade noch rechtzeitig erreicht hatte. „Der Junge, der einfach viel zu nett für diesen Job ist“, so der Vater über den Sohn, hatte die Regierungsgeschäfte der zwei Quadratkilometer großen Felsenmonarchie bereits eine Woche zuvor übernommen. In einem Monat wird der nach Prince Charles zweitälteste Thronfolger Europas, der bislang eher durch seine Rodelkünste und halbherzige Minnedienste an Weltstarlets Aufmerksamkeit erregt hatte, im Zuge einer schlichten, internen Treueschwur-Zeremonie als neuer Fürst von Monaco angelobt werden.
Die Begräbnisfeierlichkeiten am kommenden Freitag zu Ehren des „Löwen“, wie der Fürst während seiner über 55-jährigen Amtszeit von seiner 7700 waschechte Monegassen zählenden Bevölkerung (den Rest stellen 25.000 betuchte Ausländer) genannt wurde, sind bereits von der nächsten Tragödie überschattet.
Während Prinzessin Caroline um den Vater trauert, wacht sie auch am Krankenbett ihres dritten Mannes, Ernst August von Hannover, der vergangenen Montag, wie erst drei Tage später publik wurde, mit einer schweren Bauchspeicheldrüsenerkrankung in die Princess-Grace-Klinik eingeliefert worden war. Sein Zustand sei „besorgniserregend“ – so sickerte es aus dem Mitarbeiterstab des Welfen an die Presse.

Wie schon am Todestag des Fürsten bleiben auch am kommenden Freitag die Casinos, die früheren Ölfelder von Monaco, die heute nur mehr vier Prozent des Staatseinkommens ausmachen, geschlossen. Pragmatische Milde lässt man jedoch in sportlichen Angelegenheiten walten: Das ATP-Tennisturnier durfte seinen Auftakt vergangenen Samstag nehmen, und der Grand Prix im Mai, beides wichtige Einkommens- und Imagequellen der „Klimbim-Monarchie“ („Stern“), wird trotz der Staatstrauer ebenfalls über die Bühne gehen, wenngleich verhalten.
Was ganz im Sinn des Verstorbenen sein mag. Schließlich sah sich Rainier selbst nur vordergründig als gütiger Winke-winke-Souverän am Palastbalkon, sondern vor allem als beinharter Geschäftsmann, der „mein Land wie ein Wirtschaftsunternehmen“ führte.
Ab Montag dieser Woche wird der Leichnam des Fürsten in der Kapelle des Grimaldi-Palasts aufgebahrt. Allerdings dürfen nur Einheimische, in Monaco Residierende oder auserwählte Ausländer dem toten Regenten die letzte Ehre erweisen. „Die drei Tage zuvor“, so vermeldet der Palast, „gehört Seine durchlauchtigste Hoheit ausschließlich seiner Familie.“

Kollektive Emotionen. Die Szenen der Beisetzung in der Krypta der Kathedrale am kommenden Freitag werden Millionen Menschen erneut zu Zaungästen des Leids einer Familie machen, die seit den fünfziger Jahren einen verlässlichen Lieferanten für kollektive Emotionen repräsentiert. Gemessen an ihrer realen Bedeutung im Vergleich mit anderen europäischen Monarchien, haben die Grimaldis das öffentliche Gedächtnis des 20. Jahrhunderts mit unverhältnismäßig vielen Bildern gespeist, die der über die Limousine kriechenden Jackie Kennedy nach dem Attentat in Dallas und dem Hochzeitsbetrug von Charles an Diana an Nachhaltigkeit kaum nachstehen.

Unvergessen sind vor allem die bombastischen Hochzeitsfeierlichkeiten des verstorbenen Fürsten mit Hollywood-Eisfee Grace Kelly 1956, die Blechruine ihres braunen Rovers 3500 nach dem tödlichen Unfall 1982, der in Trauer versteinerte Witwer mit seinen Kindern an ihrem offenen Sarg und das Foto, das Stefano Casiraghi, Carolines zweiten Ehemann, mit gebrochenem Genick nach dem Rennbootunglück 1990 zeigte.

„Wir brauchen Helden, die keine Angst vor Shakespeare-Plots haben“, begründete der US-Schriftsteller Norman Mailer in einem Essay einst die Breitenwirksamkeit der Kennedys – und das gilt auch für den Herrscherclan „an diesem sonnigen Platz für zwielichtige Gestalten“, wie der Autor Graham Greene die Zwergenmonarchie beschrieb. Den ergänzenden Spaßfaktor zu den Schicksalsschlägen von Shakespeare’scher Fallhöhe stellt die jüngste Grimaldi, Prinzessin Stéphanie, deren Volksnähe sich in immer kürzer werdenden Liaisons mit Fischhändler-Söhnen, Leibwächtern, Croupiers, Zirkusdirektoren und -artisten manifestiert. Kein Wunder: Schließlich deklarierte „Prinzessin Nimmersatt“ („Bunte“) Romane als ihre Lieblingslektüre, „in denen Menschen sich lieben und dann auseinander gehen“. In den Nachrichten hat auch Carolines letzte Woche plötzlich erkrankter dritter Ehemann, der Welfenprinz Ernst August von Hannover, das Unternehmen Grimaldi, wenngleich häufig unfreiwillig, zu halten verstanden.

PR-Familie. „Meine Familie ist die beste Publicity für mein Land“, hatte der verstorbene Fürst einmal gesagt und insgeheim die Umwegrentabilitätsformel „Ein Lächeln ein Dollar, eine Träne zwei Dollar“ für sich aufgestellt. Schon die Ehe des damals 32-jährigen Regenten mit der makellosen Zuchtperle Grace Kelly, die im Hollywood der Fünfziger das Genre der sündenfreien höheren Tochter bediente, basierte auf einem PR-Gag. Als die Filmfestspiele von Cannes 1955 in der Skandallosigkeit zu versanden drohten, arrangierte die französische Illustrierte „Paris Match“ ein Treffen zwischen Kelly und dem längst heiratsreifen Monarchen. Ob der Boulevardschmäh die Liebe induzierte oder umgekehrt, blieb ungeklärt. Jedenfalls durfte Rainier seine Geliebte Gisele Pascal, Blumenverkäuferin in Nizza, aufgrund der Intervention des Staatsrats nicht heiraten. Jeder hat eben seine Camilla. Amtlich ist, dass die Vereinigung von Hollywood-Glamour mit dem damals fast bankrotten Operettenmonarchen dem „kleinen Räuberfelsen von einem Land“ („L’Express“) einen Publicity-Orkan von bis dahin ungeahnter Größe eintrug.

Denn die goldene Ära der Piratenmonarchie – das Plündern und Schiffeversenken zählte zum ursprünglichen Einkommensquell der Grimaldis – war zu Beginn der Fünfziger nur mehr verblichener Glanz. Die Hausse des nach dem Vatikan zweitkleinsten Lands der Welt hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts stattgefunden, als die direkte Besteuerung unter Charles III. abgeschafft und Luxushotels sowie Casinos an dem schmalen Küstenstreifen errichtet worden waren.
Bis zu seiner Hochzeit galt Rainier in der europäischen Hocharistokratie ob einer Großmutter, die in ihrer frühen bürgerlichen Vita als Montmartre-Wäscherin und Cabaret-Diseuse brilliert hatte, und einer Mutter, die aus Mangel an anderen Erben von Rainiers Großvater Louis II. eilig legitimiert worden war, als Proletarier unter den Blaublütern. Mit Gracia Patricia hielten die Eleganz, der Jetset und das Geld in der heruntergekommenen Spielhölle Europas Einzug, die vor seiner Herrschaft, so Rainier in einem Interview, vor allem für „Zeitungskarikaturen von sich aus dem Fenster der Hotels stürzenden Spielern“ berühmt-berüchtigt war. Im Hôtel de Paris soll man der Legende nach lange Zeit sogar einen silbernen Revolver bereitgehalten haben, damit die Zocker-Pleitiers stilvoll aus dem Leben scheiden konnten. Rainier, der geläuterte Playboy, operierte erfolgreich an der Schnittstelle von Glamour, finanzieller Gerissenheit und einer Publicity-Umtriebigkeit, die vor nichts zurückschreckte – am wenigsten vor seiner eigenen Familie. Als 1957 Prinzessin Caroline zur Welt kam, schenkte der Fürst auf der Straße Champagner an seine Untertanen aus und verhökerte die ersten Fotos seiner Tochter um sieben Millionen Francs an die Presse.

Idyllen-Operette. Fürstin Gracia Patricia durfte fortan ihr Öffentlichkeitsbedürfnis nur mehr im Zusammenhang der auferlegten Idyllen-Operette stillen. Als ihr Alfred Hitchcock Anfang der sechziger Jahre ein Comeback mit „Marnie“ anbot, in dem sie eine missbrauchte Psychotin hätte darstellen müssen, wurde sie von ihrem Gatten vehement zurückgepfiffen: Solcherlei schicke sich nicht für eine honorige Landesmutter. Die frühere Grace Kelly stand in ihrem zweiten Leben „unter dem Terror des Scheins“, so ihr Biograf James Spada. Als Gracia Patricia 1982 aus der Haarnadelkurve einer Küstenstraße flog, soll sie vom Blumenpressen, Armenstreicheln, von der schwindenden Schönheit und der rigiden Reglementierung ihres Rollenfachs so zermürbt gewesen sein, dass sie häufig Unterstützung bei Martini-Cocktails suchte.
Inzwischen betrachten rund zwei Dutzend Paparazzi die Grimaldi-Sippe als ihren inoffiziellen Brotgeber. Das bunte Programm, das der Côte-d’Azur-Clan für die Lieschen Müllers des globalen Dorfs seit über fünfzig Jahren in der Endlosschleife bereitstellt, hat auch nach dem Tod des Fürsten die besten Chancen auf Quoten-Prolongierung.
Wird Neo-Fürst Albert, der zu Marie-Antoinette-Allüren („Im Palast ist so viel Personal, dass man die Krise kriegt“) und zum Stottern neigt, eine der vielen Badenixen, mit denen er sich gern beim Schnäbeln ablichten lässt, bald zur Regentin an seiner Seite küssen?

Falls nicht, auch kein Problem – dann wird Carolines 21-jähriger Sohn Andrea Casiraghi, wie Rainier in einer Verfassungsänderung 2002 festlegte, das Zepter in die Hand nehmen. Außerdem sieht Andrea schon jetzt so unverschämt gut aus, dass der britische Schwiegermutter-Traum Prinz William einpacken kann. Was aber, wenn der sich Carolines Tochter, der knospenmundigen Charlotte, annehmen sollte? Bleiben Sie dran!

Von Angelika Hager und Sebastian Hofer