"Die meisten Politiker sind Psychopathen"

Die Psyche von Serienkillern

Interview. Der britische Psychologe Kevin Dutton über die Psyche von Serienkillern

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Interview: Angelika Hager

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Welche Ferndiagnose würden Sie als Spezialist für Psychopathen und Gewaltverbrecher den Boston-Attentätern Tamerlan und Dschochar Zarnajew stellen?
Kevin Dutton: Mit dem aktuellen Kenntnisstand können wir nicht einmal sicher sein, ob es sich um Psychopathen handelt. Wäre es eine rein ideologisch motivierte Tat, ist es für solche Menschen völlig logisch, innerhalb ihrer Lebensstruktur ein solches Massaker zu begehen. Deswegen müssen sie aber noch keine Psychopathen sein.

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Die beiden Brüder sind im Kaukasus in einer Krisenregion aufgewachsen, wo Gewalt, Verletzte und Tote zur Alltagsroutine gehörten. Wenn solche Szenarien fixe Bestandteile einer Kindheit sind, scheint eine Abstumpfung für den Wert menschlichen Lebens unvermeidbar.
Dutton: Das spielt mit Sicherheit mit. Wir kennen aber die Traumatisierungen, die sie möglicherweise erlebt haben, nicht. Es gibt viele Menschen, die in ähnlichen Settings groß, aber dennoch keine Bombenleger geworden sind. Alle meine Forschungen bestätigen die These, dass bei der Psyche von Gewaltverbrechern 50 Prozent genetisch bedingt sind, und die andere Hälfte auf das Konto von Umwelteinflüssen fällt.

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Der Begriff "einsame Wölfe“ kommt in den biografischen Spurensicherungen der Zarnajews häufig vor. Genauso wie die These, dass beide zwar, was ihr schulisches Fortkommen betrifft, den amerikanischen Einwanderer-Traum verkörperten, sich aber dennoch nie zugehörig fühlten.
Dutton: Das Gefühl, isoliert und abgeschnitten zu sein, nirgends wirklich dazu zu gehören, ist ein häufiges Merkmal von jenen Menschen, die in den Medien gerne als "sinnlose Gewalttäter“ klassifiziert werden. Auch Verbitterung ist ein sehr gefährliches Gefühl. Es wäre aber falsch, dass mit einer Migrationsbiografie in Zusammenhang zu bringen. Viele Serienkiller und Gewalttäter haben einen solchen Hintergrund. Sie waren verbittert, hatten das Gefühl, dass sie für niemanden Bedeutung haben, keiner ihnen zuhört und ihr Leben völlig wertlos ist. Und irgendwann schnappt es um und sie tun Dinge, die mit einem hohen Aufmerksamkeitspegel verbunden sind.

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Egal, ob es sich um den Bomber von Oklahoma, die Zarnajews oder die jugendlichen Amokläufer von Newtown, Denver oder Columbine handelt: Menschen, die mit diesen Tätern zuvor ihren Alltag teilten, beschrieben sie durchwegs als "unauffällig und introvertiert“. Ist das eine bewusst eingesetzte Strategie von gefährlichen Psychopathen?
Dutton: Absolut. Sie sind meist fantastische Schauspieler und soziale Chamäleons. Sie können sich brillant anpassen und besitzen die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und jede mimische Regung in ihrem Gegenüber zu interpretieren.

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In den medial zugänglichen Täterprofilen von diesen Menschen wurde auch oft erwähnt, dass sie keine Freunde haben. Warum ist das so?
Dutton: Nähe ist nichts, was sie brauchen. Sie streunen herum - oft von Stadt zu Stadt, wie wir es bei berühmten Serientätern wie Ted Bundy immer beobachten konnten. Bekanntschaften und Freunde sind für sie völlig austauschbar. Sie sind nicht emotional ge- oder verbunden. Gelassenheit unter hohem Druck und seelische Kälte verleihen ihnen in gewissen Situationen eine hohe Überlegenheit.

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Das erklärt auch, dass der jüngere der beiden Zarnajew-Brüder nach dem Massaker seelenruhig eine Party auf seiner Uni besuchte. Soziale Autonomie und die Austauschbarkeit von Liebespartnern oder Freunden gilt auch als Charakteristikum der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die inzwischen zu einer Art Modeknacks gewachsen zu sein scheint.
Dutton: Genau so ist es. Die narzisstische "personality disorder“ ist fast wie der Schoßhund der Saison, der Chihuahua unter den seelischen Krankheiten. Natürlich hat auch jeder Psychopath eine narzisstisch motivierte Sektion in seiner Psyche. Nur dominiert sie ihn nicht. Der klassisch narzisstisch Gestörte geht einfach davon aus, dass er das Zentrum der Welt ist. Und die, die das nicht so sehen, werden ausgetauscht.

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In Ihrem Buch schildern Sie das Fehlen von Empathie und "moralischen Bremsen“ als Hauptmerkmale eines psychopathischen Charakters. Das widerspricht aber Ihrer These vom psychopathischen Talent des Einfühlungsvermögens.
Dutton: Nicht ganz. Für mein Buch habe ich auch ein Interview mit einem sexuell sadistischen Serientäter geführt. Er hat mir für diesen scheinbaren Widerspruch eine sehr einleuchtende Allegorie geliefert. "Es ist wie bei einer Ampel. Ich kann farbenblind sein, aber ich weiß auch, wenn ich nur schwarz-weiß sehe, wann ich fahren darf oder stehen bleiben muss.“

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Gibt es irgendeine Erklärung dafür, warum die USA der Austragungsort für die spektakulärsten Verbrechen und das Eldorado für Amokläufer sind?
Dutton: Erst kürzlich habe ich eine wirklich brisante Studie über die psychischen Befindlichkeiten von amerikanischen Collegestudenten gelesen. Das schockierende Ergebnis: Ihr Empathie-Empfinden ist in den letzten 30 Jahren um 40 Prozent gesunken. Wogegen der Narzissmus durch die Decke geht: Der hat sich in diesem Zeitraum in etwa um die selbe Größenordnung gesteigert. Diese Teenager bilden die Generation Ich.

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Den Begriff "Me-Decade“ prägte schon der Schriftsteller Tom Wolfe für die Yuppies der achtziger Jahre, Egomanie als Zeiterscheinung ist kein Novum. Wäre es zu simpel, den Absturz der Empathie gewaltintensiven Computerspielen und der Verrohung durch das Internet anzulasten?
Dutton: Diese Frage kann die Wissenschaft bis dato nicht präzise beantworten, aber es erschiene mir plausibel.

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Hollywood verklickert uns immer wieder, dass gewalttätige Psychopathen meistens über einen brillanten Verstand verfügen. Gibt es da einen Zusammenhang?
Dutton: Ich wünschte, ich könnte Sie mit einer positiven Antwort erfreuen, aber es gibt absolut keinen Zusammenhang zwischen Intelligenz und Psychopathie. Die Hannibal Lecters auf diesem Planeten sind rare Erscheinungen. Ich habe schon wirklich äußerst minderbemittelte Psychopathen kennen lernen müssen. Psychopathen mit einem niedrigen IQ, einer armseligen Bildung und einer inneren Gewaltbereitschaft werden ziemlich sicher als drittklassige Gelegenheitsgauner enden, die sehr bald im Gefängnis landen.

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In Ihrem neuen Buch provozieren Sie mit der These, dass man sich manche der Eigenschaften von Serienmördern zunutze machen sollte, um im Leben vorwärts zu kommen.
Dutton: Ich bin der festen Meinung, dass die meisten Politiker, Kirchenfürsten, Chirurgen und Topmanager Psychopathen sind. Psychopathie ist in manchen Domänen ein Karrierebeschleuniger.

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Das klingt nach einem grünen Licht für aggressives Verhalten und einem sehr darwinistischen Geschäftsmodell.
Dutton: Ich muss Sie bitten, auf einen wesentlichen Denkfehler zu achten: Psychopathie bedeutet nicht zwingend Lust an Gewalt. Erst wenn sich sexuelle Abartigkeiten, Psychopathie und Gewalt verbinden, dann haben wir John Wayne Gacy, Ted Bundy oder Jeffrey Dahmer, um drei der berühmtesten Serienkiller zu nennen.

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In der Sekundärliteratur werden diese drei immer als blutrünstige Raubtiere geschildert, die gar nicht anders können, als ihrem sadistischen Trieb nachzukommen.
Dutton: Das ist eine Verfälschung der Realität. Alle drei sind geniale Strategen gewesen, die sehr organisiert und auf ihr Ziel fokussiert waren. Ihnen fehlten die vorher erwähnten moralischen Bremsen. Für sie waren ihre Opfer wie Weihnachtsgänse, an denen sie herum machten. Aber auch Menschen wie Steve Jobs, Bill Clinton oder Margret Thatcher sind oder waren Psychopathen.

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Was ist die Psychopathen-Klammer für diese drei vordergründig so unterschiedlichen Persönlichkeiten?
Dutton: Selbstbewusstsein, Skrupellosigkeit, Freude an der Macht, das Fehlen von Ängstlichkeit, Stärke unter Stress und die Fähigkeit, ihre Widersacher zu scannen und zu manipulieren. Und natürlich auch Charisma und Charme. Maggie Thatcher, die den britischen Politstil völlig veränderte, war eine Psychopathin ersten Ranges. Sie war der festen Überzeugung, dass es das Prinzip einer Gesellschaft nicht gibt und jeder die Freiheit hat, um sein eigenes Leben zu rennen.

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Nennen Sie einen fulminanten Psychopathen, der gegenwärtig am Machtsteuer sitzt. Und bitte nicht den Nordkoreaner.
Dutton: Bin ich verrückt? Das werde ich natürlich nicht tun. Weder den Typen mit der seltsamen Elvis-Frisur noch sonst einen werde ich Ihnen zum Fraß vorwerfen. Nein, ganz sicher nicht!

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Wie psychopathisch ist Obama?
Dutton: In einer milden Form, aber ohne die säße er nicht in seinem Amt.

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In Ihrem Buch erwähnen Sie eine Untersuchung eines bekannten US-Psychiaters, der die psychopathischen Anteile bei amerikanischen Präsidenten untersuchte.
Dutton: Mit dem Ergebnis, dass Bill Clinton und John F. Kennedy die höchsten psychopathischen Anteile aufwiesen.

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Das ist erstaunlich. Und wo rangierten da George W. Bush oder Richard Nixon?
Dutton: Weit hinten - zu angstbesetzt, unsicher und zu wenig cool, um erfolgreiche Psychopathen zu sein.

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Was würden Sie Menschen raten, die einen psychopathischen Chef haben? Was ist die beste Methode, um solchen Typen Paroli zu bieten?
Dutton: Zeigen Sie sich nie schwach. In dem Moment, wo Sie sich zum Opfer machen, haben Sie schon verloren. Bellen Sie zurück! Und gehen Sie davon aus, dass er Ihre Ideen als die seinen verkaufen wird.


Kevin Dutton, 46,

ist Psychologe und Professor am Magdalen-College der renommierten Oxford-University. In seinem diese Woche erscheinenden Buch "Psychopathen: Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann“ untersucht er das Phänomen der Psychopathie mit einem ungewöhnlich positiven Zugang: Von diesem Menschentypus sollte man sich Strategien für die eigene Karriere abschauen. Denn, so Dutton, Psychopathen verfügen über ein ungewöhnliches Durchsetzungsvermögen, starke Manipulationsfähigkeiten und sind in ihrer Zielgerichtetheit beeindruckend. Das Buch ist jedoch alles andere als der schräge Lebensratgeber, als der es vordergründig scheint. Dutton ist ein fundierter Wissenschafter, der zur Untermauerung seiner Thesen Interviews mit Gewaltverbrechern, Psychiatern, Neurowissenschaftern und Soziologen führte.

Kevin Dutton "Psychopathen“, Deutscher Taschenbuchverlag, 320 S., 14,90 Euro