Botschaft von unten

Internet. Immer mehr Netz-Initiativen spielen eine Rolle in der Realpolitik

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Am Anfang war der Ärger. In Hamburg hatte die SPD-Stadtregierung nach dem Debakel um die Kosten für die Elbphilharmonie angekündigt, künftig alle Verträge zu veröffentlichen. In Wien hatte die SPÖ-Stadtregierung zeitgleich dem „Falter“ die Auskunft verweigert, als die Stadtzeitung bloß die Namen der Mitglieder des so genannten „Spielapparate-Beirats“ erfragen wollte, der angeblich das Automaten-Glücksspiel in der Bundeshauptstadt kontrolliert.

Jetzt reiche es, befand der Social-Media-Berater Josef Barth und richtete im November 2012 die Website www.transparenzgesetz.at ein, auf der für eine gesetzliche Neuregelung der Veröffentlichungspflicht von Behörden unterschrieben werden kann.

Selten konnte sich eine Initiative über einen so raschen Erfolg freuen: Dienstag vergangener Woche kündigte Bundeskanzler Werner Faymann nach der Sitzung des Ministerrats an, Staatssekretär Josef Ostermayer werde dem Koalitionspartner schon in der kommenden Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Er könne sich durchaus vorstellen, dass auch die Ministerratsprotokolle im Internet veröffentlicht werden, schob der Kanzler nach.

Kein Einzelfall
Ist Barths Initiative ein Einzelfall? Sprangen die Politiker auf, weil sich auf Barths Website – er war bis 2009 Politik-Redakteur bei profil – die Creme des österreichischen Aufdeckungsjournalismus versammelt hat?
Mag sein. Dennoch ist unübersehbar, dass Internet-Initiativen in den vergangenen Monaten mehr Druck erzeugten als Vorfeldorganisationen der Parteien in den vergangenen Jahren – und das keineswegs nur durch das Strohfeuer eines Flashmobs, sondern durch Aktionen von einiger Nachhaltigkeit.

Ein Beispiel dafür ist die „Dossier“-Gruppe, die zwar erst im vergangenen Oktober ihre Aktivitäten aufgenommen, dafür aber schon für gehörigen Wirbel gesorgt hat (www.dossier.at). Die „Dossier“-Mitarbeiter – ein fünfköpfiges Team hinter dem früheren „Presse“-Redakteur Florian Skrabal – kommen durchwegs von der Fachhochschule, Studienrichtung Journalismus, und entzündeten sich an einer Anfragebeantwortung der Rathaus-SPÖ, oder genauer: an einer Nichtbeantwortung. Es lasse sich nicht erheben, wie viele Inserate die Stadt Wien in der Gratiszeitung „Heute“ gebucht hat, hatte das Rathaus beschieden.
Das könne doch nicht wahr sein, meinten die „Dossier“-Leute, gingen sieben „Heute“-Jahrgänge durch und zählten 2443 aus der Stadtkasse berappte Inseratenseiten, also durchschnittlich 349 pro Jahr – womit in der fünfmal in der Woche erscheinenden U-Bahn-Zeitung im Schnitt täglich 1,4 Seiten von der Stadt und ihren Betrieben gebucht wurden. Überdies veröffentlichte „Dossier“ Auszüge aus dem bis 2011 üblichen Dienstvertrag der „Heute“-Journalisten, in dem es heißt, eine „wohlwollende PR-Berichterstattung“ über die jeweiligen Inserenten sei „für den wirtschaftlichen Erfolg unerlässlich“.

Nicht weniger Aufsehen als diese Enthüllungen von „Dossier“ verdienen jene, die sie Ende vergangener Woche fertiggestellt haben. Sie untersuchten dabei den Vorwurf, die Regierungsparteien würden sich jeweils vor Wahlen aus den öffentlichen Kassen bedienen, um Teile ihrer Wahlkampagne zu finanzieren. In monatelanger Kleinarbeit zählte das „Dossier“-Team die Anzeigenseiten, die von Ministerien seit 2006 in „Heute“, „Österreich“, „Die Presse“ und „Der Standard“ gebucht wurden. Ergebnis: In den Wochen vor den Nationalratswahlen 2006 und 2008 sowie vor den Europawahlen 2009 nahm die Anzeigenflut der Regierung hochsignifikant zu, wovon die beiden Boulevardblätter stark überdurchschnittlich profitierten.

Schritt zur Standfestigkeit
Die Fertigkeiten des „Dossier“-Teams haben sich inzwischen auch international herumgesprochen. Die britische BBC beauftragte die Gruppe mit Recherchen zu einer Dokumentation über die Familiengeschichten prominenter Briten, die in mehreren Fällen ihre Wurzeln in Österreich haben. Das Branchenblatt „Der Österreichische Journalist“ zeichnete das Team vor zwei Wochen mit dem Preis für besonders bemerkenswerte Newcomer aus.

Solche Ehren, vor allem aber Aufträge kann die Truppe dringend brauchen. Das Startkapital von 2500 Euro hat man selbst aufgebracht, der laufende Betrieb muss mit Spenden finanziert werden, was nur durch Selbstausbeutung möglich ist. Denn bis dato liefen laut „Dossier“-Website gerade 7394 Euro ein, die größte Einzelspende belief sich auf 1000 Euro. Das nächste Ziel der Gruppe sei es, auf „finanziell standfesten Beinen“ agieren zu können, sagt Gründer Florian Skrabal.

Diese Standfestigkeit hat die Projektbörse www.respekt.net bereits erreicht, was auch mit ihrem Erfinder zusammenhängt: Immerhin hat Martin Winkler, 49, als Finanz- und Treasury-Berater Erfahrung im Umgang mit Geld und als ehemaliger Obmann der Sozialistischen Jugend – er war 1990 in dieser Funktion Alfred Gusenbauer nachgefolgt – auch entsprechende Trittsicherheit in politischen Fragen. res­pekt.net hat zwei angestellte und etwa 20 ehrenamtliche Mitarbeiter und bietet sinnvollen Projekten aller Art eine Plattform zur Selbstdarstellung, aber auch zum Sammeln von Spenden.

Deren Aktivitäten könnten kaum vielfältiger sein: Die Ärztin Christine Scholten kümmert sich um die Fortbildung von Migrantinnen; es gibt Lernhilfe für Roma-Kinder; gesammelt wird für die Betreuung von zwei ehemaligen Guantanamo-Häftlingen in Bosnien, für eine Mutmach-CD für Kinder mit suchtkranken Eltern, einen Trainingskurs für Wiener Oberstufenschüler bei UN-Einrichtungen in Wien, Freizeitaktivitäten mit behinderten Jugendlichen oder Kopierer für ein Fortbildungszentrum in Uganda. Auf respekt.net kann man entweder Zeit oder Geld für die einzelnen Aktivitäten spenden. 400 Projekte wurden seit dem Start der Seite vor zwei Jahren eingereicht, einige davon wurden von den bisher fast 2300 Spendern ausfinanziert.

Politisches Aufsehen erregte respekt.net mit dem Projekt „Meine Abgeordneten“. Dabei wurden bisher rund 400 genaue Porträts von allen Nationalrats- und Bunderatsmitgliedern, den Wiener Landtagsabgeordneten, Ministern, Landeshauptleuten und Landesregierungsmitgliedern angelegt. Sie enthalten Informationen über Ausbildung, politischen Werdegang, Ausschussmitarbeit, Vereinsaktivitäten, Medienzitierungen und berufliches Engagement. Die Website (www.meineabgeordneten.at) schlug auf Anhieb ein: In den ersten 24 Stunden ihrer Web-Existenz wurde sie 20.000-mal angeklickt. 80 Politikern wurde nachgewiesen, dass sie ihre Einkünfte aus Nebentätigkeiten entgegen den gesetzlichen Bestimmungen der zuständigen Meldestelle nobel verschwiegen hatten.

So rasch ändert sich die Welt. Noch vor zwei Jahren hatte es so ausgesehen, als mache sich die etablierte Politik im Netz breit. Inzwischen hat der Kanzler seine Twitter-Aktivitäten eingestellt, auf Facebook gratuliert er gern nordischen Kombinierern („Herzlichen Glückwunsch Mario Stecher zum sensationellen Comeback“) oder anderen Sportgrößen, politisch ist die Faymann-Seite eher Ödland. Bei ÖVP-Obmann Michael Spindelegger ist es nicht viel anders – außer dass seine Seitenbetreuer Unbotmäßigkeiten gleich durch Sperren ahnden. „Wo die großen Player das Netz nur als Sendekanal verwenden, funktioniert es nicht“, meint Social-Media-Experte Josef Barth. „Es ist ein Bottom-up- und nicht ein Bottom-down-Tool.“ Anders gesagt: Es funktioniert am besten, wenn die da unten denen da oben etwas mitteilen wollen.

Und das ist ja nun wirklich etwas Neues.