good news: Helmut A. Gansterer

Brave New World

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Diese Kolumne hat zum Ziel, die privilegierten Heutigen auch als arme Schweine kenntlich zu machen, die materiell verwöhnt, seelisch versehrt und ziemlich tapfer sind. Sie müssen sich in einen ewigen Terror von „morgen und morgen und morgen“ finden.

Mitteleuropa hat nun 60 Jahre Frieden hinter sich, mit einer aufsteigenden Linie in Sicherheit, Gesundheit, Lebenserwartung und Wohlstand. Selbst die Verteilung dieser Faktoren, obgleich unbefriedigend, liegt breiter vor uns als einst. Warum dann, wurde in der Bayern-TV-Serie „Der ganz normale Wahnsinn“ klug gefragt, „geht es dem Einzelnen so schlecht, wo es uns allen so gut geht“?

Die Antwort liegt zunächst darin, dass die historische Verbesserung keinem hilft, die gegenwärtigen Sorgen in ein Glücksgefühl zu wandeln. Den Armen und Ärmsten sowieso nicht. Nur wirken auch die Wohlhabenden oft unglücklich, sobald sie 40, 50 oder 65 Jahre alt werden.

Der Zeitpunkt variiert mit dem Charakter. Genauer: mit dem Alter, ab dem sie das Säen einstellen und die Ernte eröffnen wollen, um endlich so „reich und schön“ zu werden, wie es das schwachsinnige Soap-Opera-Fernsehen als Norm vorschreibt.

Das ginge ja noch. Den meisten wäre erklärbar, was Seminarkabarettist Bernhard Ludwig im Anfang seiner „Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit“ postuliert: Glück ist das Verhältnis des Erwarteten zum Erreichten. In vielen Fällen hülfe kleinere Erwartung.

Das ist fraglos hilfreich. Unglücklicherweise bleibt das Problem für Künstler, Freiberufler und Unternehmer an der Kippe von Saat & Ernte ungelöst. Alte Saat bringt nicht mehr automatisch neue Ernte. Allenfalls für pragmatisiert-privilegierte Beamte, die immer weniger werden. Und für manche Erben. Die Unterschiede bei Letzteren sind krass. Frau Paris Hilton erntet auf merkwürdige Weise die Früchte ihrer Vorfahren, zur Freude aller Blöd-Medien und vielleicht gar nicht schlecht für die Bilanzen der Hotel-Gruppe. Deutlich imponierender die stillen Quandt-Erben (BMW-Majorität), die schon als Twens so tüchtig und klug wirkten wie ihre Opas und Omas.

Es gibt eine historische Trauer, deren Melodie bis vor Kurzem gültig blieb: „Die gute alte Zeit.“ So nannten viele Österreicher 1848 das Polizei-Biedermeier Metternichs, 1918 die Monarchie, 1945 die Zwischenkriegszeit und ab 1968 die früher autoritären Ordnungen in Wirtschaft und Politik. Die Veränderungen haben immer gut getan. Auf lange Sicht erwies sich das Neue als besser und würdiger. Es wurde nur ziemlich schnell schneller.

Good News: Obwohl die heutigen Sorgen subjektiv oft größer wirken als früher und die lauten Jammerer die leise Mehrheit übertönen, gibt es eine Anpassung an die Veränderung der Gesellschaft. Die Sehnsucht nach einer Einfrierung der Vergangenheit ist kleiner geworden.

Wir leben in einem Generationsbündel, das insgesamt flinker wurde. Sein Organismus passte sich feinfühlig an – ähnlich wie die Autobahnen der achtziger Jahre an die Fähigkeiten der Autos, die nun schneller und trotzdem sicherer vorankamen. Erstmals gibt es Großeltern, die ihren trägen Enkeln vorwerfen, die digitalen Fortschritte nicht angemessen zu nützen. Die modernen Väter und Mütter sind ohnehin gerüstet, bei Digitalkameras, Handys und Breitband-PC-Vernetzung mit den Kindern mitzuhalten.
Die wesentlichen Zerwürfnisse spielen heute auf Nebenschauplätzen, beispielsweise bei Konsolenspielen. Manche der relativ Alten halten Formel 1 noch für modern, obwohl sie eigentlich schon live langweilt. Die Jüngeren, auch um die Eltern zu provozieren, spielen nächtelang „World of Warcraft“ („WoW“). Jung gebliebene Tester beurteilen Microsoft-Xbox-Sony-Playstation-Spiele der „WoW“-Kategorie eher als aggressionsableitend, sinngemäß vergleichbar dem Hula-Hula-Reifen der fünfziger Jahre. Selbst dies zu Unrecht. Der Hula-Reifen sorgte noch für Nachkommen vor der Ehe, „WoW“ sicher nicht.

Über die Jahre ist von tapferer Anpassung zu sprechen. Die stille, kluge Mehrheit der Familien macht instinktiv das meiste richtig. Man ist für das bessere Neue. Das Alte wäre zwar für die Alten angenehmer, aber für die Kinder witzlos.

Der jüngst verstorbene weltberühmte Wissenschafter Rupert Riedl (siehe Kolumne in profil 40/05: „Riedl lebt“), galt manchen, wie das bei Verhaltensforschern nicht unüblich ist, als zynisch. Unter vier Augen hat er das relativiert. Er war zwar enttäuscht von den Mitmenschen, aber nicht blind für den Fortschritt. An frohen Tagen hielt er nicht nur die Damen seiner Familie für stark1), sondern auch jene, die überhaupt kämpften. Angesichts unserer Sterblichkeit könnten wir ja auch wimmernd in einer Ecke kauern und auf die Schritte des Henkers hören.


1) Rupert Riedls Frau Smoky und seine penible Tochter Barbara Schweder besorgten die Herausgabe seines Nachlasses: „Der Verlust der Morphologie“, Seifert Verlag, 94 Seiten, Wien 2006. Das Buch ist in dieser Erstedition ein bibliophiles Juwel und wird auch inhaltlich empfohlen, da es Riedls summarisches Alterswerk darstellt. Info: www.seifert-verlag.at