„So cool!“

Brooklyns Präsident auf Staatsbesuch in Wien-Leopoldstadt

Reportage. Marty Markowitz, Präsident von Brooklyn, auf Staatsbesuch in Wien-Leopoldstadt

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Selina ist aufgeregt – „… hoffentlich verrede ich mich nicht auf Englisch …“ –, aber gut vorbereitet. Die 13-Jährige hat sich extra für den hohen Besuch ihr T-Shirt mit dem Aufdruck „Some day I will be President“ angezogen, steckt ihre hellgrüne Haarsträhne hinters Ohr und übt noch einmal: „Good morning, Mister President.“

Selina stammt aus Litauen. Sie gehört zu den 95 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund hier an der zur Neuen Mittelschule aufgewerteten Hauptschule in der Pazmanitengasse, einem Teil des Zweiten Wiener Bezirks, der weit davon entfernt ist, schick zu sein. 1889 wurde die Schule erbaut und seither, wie es aussieht, nicht recht oft renoviert. Am vergangenen Donnerstag macht das nichts. Da ist die Schule, die in der Statistik wohl als eine sogenannte „Restschule“ auftauchen würde, quasi Ziel eines Staatsbesuches.

„Ich hoffe, wir sehen uns bald in New York“
Marty Markowitz kommt, der Bezirkspräsident von Brooklyn. Er verteilt Brooklyn-Nets-Kappen, Brooklyn-Anstecker – und jede Menge Optimismus: Wie ein Wirbelwind düst der 68-jährige gedrungene Mann von Klasse zu Klasse, grüßt einmal mit „Salam“, freut sich ein andermal, dass „es hier so bunt ist wie in Brooklyn“, lobt die Jugendlichen für ihr Englisch und verabreicht jedem der Schüler, die bald wie eine Traube um ihn hängen, ein Autogramm und einen Händedruck: „Ich hoffe, wir sehen uns bald in New York.“

Selina hofft das auch. Sie und Michailo, ein gebürtiger Serbe, und andere Schulkollegen büffeln schon für ihre Präsentation, warum unbedingt sie für eine Woche an die Partnerschule, die John Dewey High School in Brooklyn, wollen. Wer am besten vor den versammelten Lehrern und Schülern auf Englisch vorträgt, darf fliegen.

Vergangenes Frühjahr haben Patrick und Mariam gewonnen. „Es war urleiwand, die Amerikaner sind so cool“, schwärmen sie noch heute. Nur die Security-Schleuse an der Schule irritierte sie. Den Film über ihren Besuch kann man nur in Etappen anschauen, das Internet an der Schule stottert erbärmlich, aber Patrick und Mariam wissen auch so viel zu berichten: von ihrem ersten Flug; ihrem ersten Besuch am Meer, in Coney Island; von den Menschen, die in der U-Bahn-tanzten; von der High School und ihren Schauspielklassen. „Wenn ihr euch anstrengt, könnt ihr es schaffen und auch kommen“, sagt Markowitz in einer vierten Klasse. Selina hat ein Autogramm von ihm auf ihr T-Shirt bekommen. Und ein Ziel.
Brooklyn, der 2,6-Millionen-Einwohner-Teil von New York City, ist seit dem Jahr 2007 Partnerbezirk der Wiener Leopoldstadt. Das passt aus aktuellen Gründen prächtig: Beide Stadtteile mausern sich zusehends von Billigwohnsiedlungen für Einwanderer zu bunten Szenebezirken. Das passt aus historischen Gründen noch besser: New York ist die größte jüdische Stadt außerhalb Israels, Brooklyn mit einer halben Million jüdischer Einwohner die zweitgrößte – und die Leopoldstadt heißt nicht ohne Grund „Mazzesinsel“. Sigmund Freud und Viktor Frankl gingen hier im einstigen jüdischen Ghetto zur Schule, 60.000 Juden lebten vor Beginn der Nazi-Gräuel im Bezirk. Heute sind es in ganz Wien 8000 und in der Leopoldstadt 3000.

„Mist, ich habe meine Kippa vergessen“
Markowitz hat im Jahr 2007 den Partnerschaftsvertrag mit Wiens Vizebürgermeisterin Renate Brauner und den beiden Oberrabbinern unterzeichnet. Die Schlagzeile in der (mittlerweile verblichenen) „New York Sun“ lautete damals: „Die Stadt, die einst die Heimat von Adolf Hitler war, reicht New Yorks Juden die Hand.“ Seither gibt es Partnerschaften zwischen je vier Schulen, von der Stadt Wien finanzierte Besuche inklusive, Ausstellungen und Konzerte. „Wir machen kleine, aber konkrete Projekte“, sagt Brauner. Der Motor dafür sitzt offenbar im Rathaus, nicht in der Leopoldstadt: Deren Bezirksvorsteher, Karlheinz Hora, verabschiedet sich nach einer Stunde aus der Schule und von Markowitz, ohne viel gesagt zu haben.

Markowitz fährt indes weiter, an den Rand des Praters, in die Simon-Wiesenthal-Gasse zum weitläufigen Campus der Israelitischen Kultusgemeinde. Deren Präsident, Oskar Deutsch, führt ihn durch das Seniorenzentrum, wo sich niemand beim Zeitunglesen oder Essen aus der Ruhe bringen lässt, durch den Kindergarten, wo gerade Nickerchen gehalten wird, das zur Mittagszeit fast leere Sportzentrum Hakoah und die Schule. „Wow, so etwas haben wir in Brooklyn nicht“, staunt Markowitz – und bemerkt einen Lapsus: „Mist, ich habe meine Kippa vergessen.“
Deutsch schenkt ihm eine, so kann Markowitz auch die Synagoge besichtigen und erzählen, warum er nicht Jiddisch spricht: Seine Großeltern, Anfang des 20. Jahrhunderts aus Deutschland und Russland in die USA eingewandert, hätten mehr Wert auf Englisch gelegt. Für ein „Shalom“ zum Abschied reicht es aber natürlich. „Wir würden uns gern aktiver in die Bezirkspartnerschaft einbringen“, wird Deutsch danach sagen.
Der Wiener Antisemitismus werde mittlerweile vom Rassismus überlagert, sagte die Filmemacherin Ruth Beckermann bei einer Diskussion im Kulturforum anlässlich der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages. An den strengen Fremdengesetzen scheitert auch manch Bemühung. Eigentlich war im Vorjahr ein Tschetschene unter den Präsentations-Siegern in der Schule Pazmanitengasse. Nach Brooklyn durfte er dennoch nicht. Als Asylwerber bekam er kein Visum.

Fotos: Monika Saulich für profil

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin