Brot und Spiele

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Interessanterweise war es Vizekanzler Hubert Gorbach, der den zutreffendsten Satz in der Parlamentsdebatte über den Budgetvoranschlag 2005/06 gesprochen hat: „Das sind die Auszahlungen, die wir jetzt und in den nächsten Jahren vornehmen“, sagte Gorbach als Rechtfertigung für die beiden Defizitbudgets, welche der Finanzminister präsentiert hat. Auszahlungen vom Firmenkonto sozusagen. In der Buchhaltung eines Unternehmens wäre als Zahlungsgrund für eine derartige Überweisung vermutlich „Marketingmaßnahmen“ oder „Werbeausgaben“ vermerkt.
Denn eines ist so offensichtlich wie selten: Die Defizite – 1,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im kommenden Jahr, 1,7 Prozent für 2006 – sollen vor allem dem Zweck dienen, zeitgerecht vor den nächsten Wahlen das Image der ÖVP und von Kanzler Wolfgang Schüssel und natürlich auch jenes des Finanzministers aufzupolieren. So nach dem Motto: streng, aber letztlich doch mit einem guten Herzen.
Grasser und Schüssel suggerieren, dass es nun, nachdem eine Zeit lang brav gespart wurde, etwas zu verteilen gebe; dass nach den Belastungen der vergangenen Jahre jetzt die „Zeit der Ernte“ gekommen sei: die „größte Steuerentlastung der Zweiten Republik“. Der gütige Landesvater und sein alerter Adept präsentieren sich spendabel und kündigen an, das Füllhorn über dem Volk auszuschütten.

Tatsächlich steckt hinter der Abkehr von der Budgetdisziplin freilich kühle Berechnung. Die nächsten Nationalratswahlen erfolgen – spätestens – im Herbst 2006. Die größte, tollste, beste, superste Steuerreform, seit es Finanzminister gibt, entspringt (wenn schon nicht einzig, so doch hauptsächlich) der Motivation, die Wähler mit der zeitgerechten Ankündigung bevorstehender Geschenke gewogen zu stimmen.
Ein Vorgehen, das einem Lehrbuch für politische Wahltaktik entnommen sein könnte – sowohl in Bezug auf die Art der Präsentation als auch im Hinblick auf das Timing. Am Anfang der Regierungszeit die Einschnitte und Kürzungen, gegen Ende der Legislaturperiode die Geschenke und Ausgaben.
Fairerweise ist festzuhalten, dass Grassers nunmehr geplante Defizite in Relation zum Bruttoinlandsprodukt keineswegs besorgniserregende Ausmaße erreichen. Sie sind geringer, als es jene der rot-schwarzen Koalition selbst in deren wirtschaftlich besten Jahren waren. Im EU-Vergleich wird Österreich mit den Schüssel-Grasser-Defiziten der nächsten beiden Jahre immer noch im besseren Mittelfeld rangieren.
Freilich hat sich seither auch das Umfeld drastisch geändert. Österreich ist als EU-Staat verpflichtet, mit seinem Staatshaushalt eine ausgeglichene Bilanz anzustreben. Und die Kapitalmärkte beobachten die Budgetentwicklungen in einzelnen Staaten erheblich genauer und reagieren auf Abweichungen deutlich rascher als noch vor Jahren. Und mit Österreich durchaus vergleichbare Staaten wie Dänemark, Schweden und Finnland haben für die kommenden Jahre Budgetüberschüsse budgetiert.
Was aber nichts daran ändert, dass es Schüssel und Grasser unwiderstehlich erschien, ihre wichtigste Wahlkampfmaßnahme per „Auszahlung“ vom Konto der Firma Österreich zu begleichen. Ein paar Prozentpunkte Defizit sind für einen Wahlsieg allemal in Kauf zu nehmen. Und nicht bloß die Steuerentlastung selbst wird aus der Kasse der Österreich AG bezahlt. Ein solches Jahrhundertprojekt muss natürlich auch ordentlich kommuniziert werden: Road-Shows in allen Bezirksstädten, Plakate, Postwurfsendungen … Brot und Spiele auf Firmenkosten.

Die SPÖ tut derweil das ihrige, damit der Schüssel-Grasser-Plan seine Wirkung nicht verfehlt. Als Oppositionspartei, wie jüngst geschehen, ohne Not und Anlass über Steuererhöhungen zu sinnieren, zu diesem Thema einen veritablen innerparteilichen Zwist zu inszenieren und dann wochenlang mit der Schadensbegrenzung beschäftigt zu sein, erhöht die Erfolgschancen gegenüber dem Steuersenkerduo auf der Regierungsbank nicht unbedingt.
Ein kleines Risiko besteht für Kanzler und Finanzminister indes darin, dass einigen potenziellen Wählern irgendwann doch auffallen könnte, dass die großartig angepriesene Steuerentlastung so üppig dann gar nicht ausfällt. Vor allem für jene, deren Nachname zufällig nicht GmbH oder AG lautet.
Doch wie optimistisch Wolfgang Schüssel ist, dass seine Taktik erfolgreich sein wird, lässt sich an einem politischen Detail der vergangenen Woche erkennen: Die ÖVP tritt nun für eine Verlängerung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre ein. Ein Vorstoß, den die Kanzlerpartei wohl kaum unternähme, ginge deren Chef nicht davon aus, dass er die nächste Wahl gewinnt. Seine Partei nach einem Wahlverlust freiwillig ein Jahr länger als notwendig in der Opposition festzuhalten, wäre recht untypisch für Wolfgang Schüssel.