Peter Michael Lingens

Bruno Kreiskys blaue Erben

Bruno Kreiskys blaue Erben

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Mit Jörg Haider an der Spitze wird dem BZÖ der Einzug ins Parlament kaum zu nehmen sein. Da auch Straches FPÖ nach menschlichem Ermessen mehr als die 20 Prozent erreichen dürfte, die ihr die Meinungsumfragen derzeit vorhersagen, könnten die Wahlen vom 28. September das freiheitliche Lager in Summe erstmals zur stärksten Kraft im Parlament machen. Wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Keine noch so dürftige Leistung freiheitlicher Minister, kein noch so offensichtlicher freiheitlicher Postenschacher, kein Spesenrittertum und keine internen Gemetzel können die Österreicher davon abbringen, in Führern wie Jörg Haider oder HC Strache jene Saubermänner zu sehen, die den großkoalitionären Filz beseitigen und für Ruhe und Ordnung sorgen. Dass der eine ehemalige SS-Leute für besonders charakterstark hält und der andere eine Schwäche für Wehrsport­übungen hatte, ist für diese vermutlich größte Wählergruppe des Landes so irrelevant, dass man Skrupel hat, es überhaupt noch zu erwähnen.

In einem genialischen „Ohrwaschl“ im „Standard“ behauptet Hans Rauscher in solchen und ähnlichen Zusammenhängen satirisch: „Österreich bleibt sich gleich. Und das ist schön. Dieses Mantra sagen wir uns jetzt alle immer wieder vor.“ Ich muss ihm trotzdem widersprechen: Österreich ist sich nicht immer gleich geblieben. In den siebziger Jahren gab es durch Bruno Kreisky die wichtigste Zäsur der Nachkriegsgeschichte: Der „Sonnenkönig“ der SPÖ bescherte seiner Partei und zeitweise auch dem Land einen unvergleichlichen Aufschwung – und stellte zugleich die Weichen für den aktuellen politischen Niedergang. Als die SPÖ 1970 mit Kreisky an der Spitze überraschend die relative Mehrheit erreichte, pfiff die FPÖ aus dem letzten Loch. Sie hatte mit äußerster Not die damalige Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, und alles sprach dafür, dass sie sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr überspringen würde, denn ohne jeden Einfluss auf die Regierungsgeschäfte hatte sie seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich an Wählern verloren.

Kreisky unterbrach diese Entwicklung: Um eine Minderheitsregierung ohne ÖVP bilden zu können, sicherte er sich die parlamentarische Unterstützung der FPÖ, die damit erstmals wesentliche politische Bedeutung erlangte. Zum Lohn versprach er ihr eine Koalition nach den nächsten Wahlen und eine bis heute gültige Wahlrechtsreform, die den Einzug kleiner Parteien ins Parlament erleichtert. Zu einer rot-blauen Koalition kam es zwar erst unter seinem Nachfolger Fred Sinowatz, denn zuvor erreichte Kreisky gegen alle Widerstände des Wahlrechts die absolute Mehrheit, aber bis dahin hatte er die Hürden, die einer Regierungsbeteiligung der FPÖ entgegengestanden waren, restlos beseitigt. Indem er gleich vier ehemalige SS-Leute in die Regierung berief, machte er die Braunen in den Reihen der blauen Funktionäre zur Quantité négligeable; seine antisemitischen Untertöne im Zuge der Auseinandersetzung zwischen FPÖ-Chef Friedrich Peter und dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal nahmen die antisemitischen Obertöne in der Waldheim-Affäre vorweg und den Aussprüchen Jörg Haiders am Ulrichsberg den Hautgout. Die Freiheitlichen wurden endgültig salonfähig, und es war nur logisch, dass auch Wolfgang Schüssel sie zu Regierungspartnern machte.

Man mag einwenden, dass es immer – auch ohne Bruno Kreisky – eine beträchtliche Zahl ewiggestriger bis geschichtsloser Wähler am rechten Rand des politischen Spektrums gab. Aber bis 1970 teilten diese Wähler sich auf eine politisch bedeutungslose FPÖ und die rechten Ränder der beiden Großparteien auf. Das war zwar auch kein erfreulicher Zustand, aber noch vergleichsweise harmlos: Weder SPÖ- noch ÖVP-Führung ließen sich bei politischen Entscheidungen durch diese rechten Ränder entscheidend beeinflussen. Erst nachdem diese Wählerschaft dank Kreisky wieder in einer politisch relevanten FPÖ zusammenfand, konnte diese Partei ihr heutiges politisches Gewicht gewinnen, das schon bisher ausreichte, rote wie schwarze Innenminister wie Freiheitliche agieren zu lassen.

Kreiskys Wahlrechtsreform schafft den Rest. Sie erleichtert die Erosion der einstigen Großparteien zugunsten einer Liste Fritz Dinkhauser oder des BZÖ und beschert uns damit noch rascher als schon das bis dahin gültige Verhältniswahlrecht italienische Zustände: So wie in Italien die Neofaschisten haben die Freiheitlichen in Österreich ernsthafte Chancen, die Regierung des Jahres 2013 anzuführen.