Keine Chance, aber nutze sie!

Bücher: Keine Chance, aber nutze sie!

Die arabische Welt auf der Frankfurter Buchmesse

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Klischees sind hartnäckig. Was die arabische Welt anlangt, pendeln sie zwischen zwei Extremen: Bilder aus „Tausendundeiner Nacht“ auf der einen Seite, Bilder von sprengstoffbewehrten Selbstmordattentätern und geifernden Islamisten auf der anderen. Was dazwischen liegt, bleibt in der Vorstellung des Westens schwammig.

Als Anfang 2003 bekannt wurde, dass die arabische Welt Ehrengast und Schwerpunktregion der Frankfurter Buchmesse 2004 sein würde, waren viele überzeugt, ein solches Projekt sei von vornherein zum Scheitern verurteilt. Im arabischen Raum hätten Schriftsteller mit Zensur und Repressalien zu kämpfen, die 22 arabischen Länder seien viel zu heterogen sowie untereinander völlig zerstritten, und die mit der Durchführung des Buchmessenschwerpunkts beauftragte Arabische Liga hätte weder die finanziellen Mittel noch ein Programmkonzept.

Als die Liga – ein Jahr später – im März 2004 bei ihrer Pressekonferenz auf der Leipziger Buchmesse sowohl ein konkretes Projekt als auch eine Liste eingeladener Autoren schuldig blieb, schienen sich alle diese Befürchtungen zu bestätigen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Hälfte der arabischen Länder noch nicht einmal ihren Anteil am kalkulierten Budget von drei bis fünf Millionen Euro überwiesen.

Überdrastisch formulierte es die deutsche Tageszeitung „Die Welt“: Gastland der Buchmesse von 6. bis 10. Oktober 2004 werde „die dysfunktionalste Region dieses Planeten, die zusammen nicht einmal das Bruttosozialprodukt Spaniens erreicht, wo es aber jede Menge Foltergefängnisse für Schriftsteller und fundamentalistische Mörderbanden gibt“.

Auch im arabischen Raum, wenn man sich dort überhaupt für den Buchmessenauftritt interessierte, gab es kritische Stimmen. Der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus warnte die Liga davor, den Buchmessenauftritt „als Instrument für offizielle Propaganda“ zu missbrauchen. Im Libanon, dessen ehemaliger Kulturminister Ghassan Salama der Arabischen Liga die Idee des gemeinsamen Auftritts in Frankfurt vorgeschlagen hatte, ortete der libanesische Schriftsteller Hassan Dawud völliges Desinteresse an dem Mega-Event. Warum? „Vielleicht, weil die Intellektuellen und Schriftsteller wissen, dass die gleichen offiziellen Instanzen für die Gestaltung des Auftritts und die Auswahl der Teilnehmer zuständig sind, die auch die politischen Veranstaltungen organisieren – und die meisten arabischen Länder haben ihre ‚Staatsdichter‘“, schrieb Dawud in der „Neuen Zürcher Zeitung“.

Umso mehr überraschte das Programm, das die Arabische Liga und die Frankfurter Buchmesse Ende Juni bei ihrer letzten Pressekonferenz vor der Messe vorstellten. Man wolle, sagte Mohamed Ghoneim, der verantwortliche Direktor des arabischen Programms, die „Bereitschaft hervorheben, mit allen Beteiligten unsere Visionen und Meinungen zu einer Reihe kontroverser und aktueller Themen zu diskutieren“. Unter dem mehr als selbstironischen Motto „Du hast keine Chance, aber nutze sie“ präsentierte er seine Projekte und eine umfangreiche Liste mit über 200 eingeladenen Autoren und Intellektuellen. Unter ihnen nicht nur unerwartet viele Frauen, sondern auch viele Quer- und Reformdenker, Exil-Schriftsteller und Kritiker. Etwa der im Exil lebende syrische Dichter Adonis, der Iraker Saadi Yussuf, der Exil-Libanese Amin Maalouf und zwei der schärfsten und fortschrittlichsten Intellektuellen der arabischen Welt, die Syrer Sadeq al-Azm und Al-Tajjib Tisini.

Viele böse Buben. Ebenfalls auf der Liste finden sich der Marokkaner Tahar Ben Jelloun und die Algerierin Assia Djebar, die auf Französisch schreiben und deren Heimatländer neben Libyen, Kuweit und dem Irak zu jenen fünf der 22 arabischen Staaten gehören, die sich entschlossen haben, nicht am offiziellen Buchmessenprogramm der Arabischen Liga teilzunehmen.

Keine Rede von Staatsdichtern und Bürokraten, findet Doris Kilias, die deutsche Übersetzerin von Nagib Machfus: „Auf der Liste stehen ganz viele böse Buben, zum Beispiel Ibrahim Aslan, der nicht auf Hocharabisch, sondern in ägyptischem Slang schreibt, was nicht gern gesehen wird.“ Und auch Hassan Dawud, der sich im Vorfeld so kritisch geäußert hatte, räumt auf profil-Nachfrage ein: „Die, die eingeladen sind, sind die wichtigen Figuren der zeitgenössischen arabischen Literatur.“

„Es ist ein Programm, das die arabische Welt in dieser Form niemals zuvor geboten hat“, sagt Buchmessen-Direktor Volker Neumann. Tatsächlich ist der Auftritt der arabischen Welt in Frankfurt – nicht nur, was seine politische und kulturelle Bedeutung anlangt – ein Höhepunkt des bisherigen Schwerpunktprogramms. Veranstaltungen zum Thema Zivilgesellschaft, Reformen, religiöser Fanatismus, politischer Terror sowie Rechte und Stellung der Frau verweisen auf den Willen zu Meinungsvielfalt und Weltoffenheit. Der Entwurf des ägyptischen Architekturbüros Yasser Mansour für die arabische Ausstellungshalle – mit 4000 Quadratmetern der größte Pavillon, den je ein Gastland hatte – scheint das in seiner Transparenz noch zu betonen.

Wenn der präsentierte Plan aufgeht, wird er zudem eine Art panarabische Weltpremiere darstellen. „Es ist das erste ganz große Kultur-Event, das von den arabischen Ländern gemeinsam organisiert wird. Dafür machen sie es verteufelt gut“, sagt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner, Chefredakteur der vom Goethe-Institut herausgegebenen mehrsprachigen Zeitschrift für den Dialog mit der islamischen Welt „Fikrun wa Fann / Art & Thought“. Das einzige Projekt, das bisher in ähnlicher Weise für die gesamtarabische Außendarstellung repräsentativ ist, ist das Institut du Monde Arabe in Paris.

Buchmarkt. Die hitzig geführten Mediendebatten der vergangenen Monate haben sich für den Buchmessenauftritt als Vorteil erwiesen, glaubt Peter Ripken, Chef der „Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika“ in Köln: „Wir wussten, je mehr Druck und Kritik die Arabische Liga bekommt, desto besser wird das Programm.“

Also alles eitel Wonne? Nicht ganz.

Nur von rund einem Drittel der eingeladenen Autoren liegen derzeit deutsche Übersetzungen vor. Nicht umsonst plädierte die algerische Erfolgsautorin Assia Djebar, die 2000 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, auf der Buchmessen-Pressekonferenz für mehr und bessere Übersetzungen aus dem Arabischen.

Nicht mehr als 200 zeitgenössische arabische Werke sind derzeit auf Deutsch erhältlich. Nimmt man Klassiker, Anthologien und Übersetzungen von französisch, englisch oder deutsch schreibenden arabischen Autoren dazu, sind es 500. Dem stehen mindestens doppelt so viele Sachbuch-Neuerscheinungen gegenüber, die mit ihrer Schwerpunktsetzung auf den Terror und die demokratischen und gesellschaftspolitischen Defizite der arabischen Welt die öffentliche Meinung im Westen bestimmen. Verlage wie den Unionsverlag oder den Lenos Verlag, die seit vielen Jahren systematisch arabische Literatur herausbringen, gibt es wenige.

„Bei den großen deutschsprachigen Verlagen herrscht immer noch das Klischee vor, dass arabische Literatur nicht gern gelesen wird“, sagt Übersetzerin Kilias. Dass das nicht stimmen muss, beweist der Fall Nagib Machfus. Von den Werken des Ägypters wurden – vor allem seit er 1988 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde – weit über zwei Millionen Exemplare auf Deutsch verkauft.

Die Situation der meisten Autoren wird freilich dadurch verschärft, dass sich die arabischen Staaten ihrerseits nicht um Übersetzungen ihrer Autoren kümmern. Bisher gibt es im gesamten arabischen Raum keine einzige staatliche oder halbstaatliche Organisation, die Übersetzungen aus dem Arabischen in Fremdsprachen fördert. Auch ins Arabische wird kaum übersetzt: Wie der „Arab Human Development Report 2003“ der Vereinten Nationen erhoben hat, sind es nur 330 Bücher pro Jahr bei einer gesamtarabischen Bevölkerung von 284 Millionen. Allein ins Griechische, das nur elf Millionen Menschen sprechen, werden jährlich fünfmal mehr Titel übertragen.

Belletristische Werke erreichen – so der Bericht weiter – in der arabischen Welt selten höhere Auflagen als 1000 bis 3000 Stück. Davon kann kaum ein Autor leben. Außerdem bleibt der Hallraum eines Buchs meist auf das Land beschränkt, in dem es erscheint. Denn auf dem arabischen Buchmarkt gibt es kein Verzeichnis lieferbarer Bücher, kein verlässliches Bestellsystem und keinen systematisch organisierten Zugang zu Büchern, die in anderen arabischsprachigen Ländern erscheinen. Buchmessen sind oft der einzige Weg, sich grenzüberschreitend zu informieren. Raubdrucke, die Autoren um ihre ohnehin mageren Tantiemen bringen, sind ein weit verbreitetes Phänomen.

Daher ist es sicher kein Zufall, dass eine Reihe der in Europa bekanntesten arabischen Autoren in anderen Sprachen schreiben und sich so den Zugang zu einem größeren Publikum und einem größeren Markt eröffnen. Zu ihnen gehören Tahar Ben Jelloun, Assia Djebar und Amin Maalouf, die auf Französisch publizieren, oder auch der deutsch schreibende Syrer Rafik Schami. Wie viele andere arabische Schriftsteller leben sie nicht in ihren Heimatländern. Peter Ripken: „Die Gründe ihres Weggangs waren sehr häufig politisch, die Gründe fürs Wegbleiben haben aber auch mit besseren Arbeits- und Veröffentlichungsbedingungen im Exil zu tun.“

Zensurwesen. Der Konflikt, den arabische Schriftsteller mit den Regierungen ihrer Heimatländer austragen, ist von Land zu Land verschieden. Generell aber gilt, dass die Mehrheit der arabischen Regierungen das Buchwesen zu wenig fördert, vergleichsweise wenig in Bildung investiert, das Bibliothekenwesen vernachlässigt, Zensur übt, während religiös-moralische Literatur gefördert und – wie Ripken sagt – „seismografisch empfindlich auf noch die kleinsten Huster von islamischer Seite“ reagiert wird. Auch wenn Zensurfälle seltener geworden sind, führen zum Beispiel die gefürchteten Moralurteile von konservativen Gelehrten der Kairoer al-Azhar-Universität immer wieder dazu, dass Bücher vom Markt genommen oder nicht gedruckt werden. Eines der berühmtesten Werke von Nagib Machfus, „Die Kinder unseres Viertels“, erlitt, mit dem Blasphemievorwurf belegt, genau dieses Schicksal. Machfus, der die Eröffnungsrede für die diesjährige Buchmesse schreiben (jedoch aus Altersgründen nicht selber halten) wird, bekam 1994 den Zorn über seine liberale Haltung am eigenen Leib zu spüren: Der damals schon über Achtzigjährige wurde von radikalen Islamisten niedergestochen und schwer verletzt.

System hat die Zensur nicht. Der Roman „Die blaue Aubergine“ der jungen Ägypterin Miral al-Tahawi, in dem diese neben ihrer Zeit bei den Islamisten auch ziemlich freizügige Bettgeschichten erzählt, sorgte zwar für Empörung, blieb aber ohne alle Konsequenzen. Allerdings bleibt schon die drohende Möglichkeit von Restriktionen nicht ohne Wirkung: „Entweder man schreibt gar nicht mehr oder mit der Schere im Kopf, oder man veröffentlicht im Ausland oder in benachbarten arabischen Ländern“, erklärt Volker Perthes, Nahostexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Autor des Buchs „Geheime Gärten“, das als eines der besten Werke zur neuen arabischen Welt gilt. Der arabische Leser, so Perthes, habe jedenfalls gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen. Das Problem der Literatur beginne dort, wo arabische Schriftsteller anfingen, über das reine Schöne und Gute sowie allgemeine Gesellschaftskritik hinaus, auch über das politisch Bessere zu schreiben.

Langer Weg. Deutlich sprach auch Ibrahim El-Moallem, Präsident der Arabischen Verlegerunion, auf der Buchmessenkonferenz Ende Juni vom „langen Kampf“ seiner Organisation gegen die Zensur und um den Inhalt von Schul- und Lehrbüchern. „Der Weg“, so El-Moallem, „ist noch lang.“ Der vielgestalte Gastauftritt der arabischen Welt in Frankfurt könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Und auch dazu, dass sich das Spektrum dessen, was sich im Westen an Klischeebildern über die arabische Welt festgesetzt hat, auffächert und bunter wird.