Dieser permanente Unterhaltungsscheiß!

Bühne: „Diese permanente Unterhaltungs-scheiße!“

Burgtheater-Regisseurin Andrea Breth im Interview

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profil: Kommenden Samstag haben Sie Premiere. Kann man davon ausgehen, dass Sie gerade die schlimmste Zeit im Zuge einer Inszenierung durchmachen?
Breth: Es ist auf jeden Fall die anstrengendste Zeit. Erst in der Schlussphase, in den letzten drei Wochen vor der Premiere, beginne ich mit dem, was man das Inszenieren nennt: Ich baue alles zusammen. Bis dahin haben die Schauspieler Zeit, ihre Rollen zu suchen. Dann wird das ganze Ding zusammengenietet, mit allem, was dazugehört: Licht, Ton, Spezialeffekte, Rhythmus.
profil: Was aber, wenn Sie zu diesem entscheidenden Zeitpunkt erkennen, dass es überhaupt nicht funktioniert?
Breth: Eine schaurige Vorstellung! Wenn man etwas jünger ist, kann einem das öfter passieren: Man merkt plötzlich, dass die Inszenierung nicht rüberkommt oder dass man umfällt vor Langeweile. Wobei Langeweile per se nicht schlecht sein muss, wenn man etwas damit bewirken will. Theater ist nun mal hauptsächlich die Lehre der Wirkung – leider auch oft der wirkungslosen Leere.
profil: Sie haben anlässlich eines Symposions kürzlich brutal mit dem Konzept des Regietheaters abgerechnet und auf bedingungslose Texttreue gepocht, wofür Sie von der „Gegenseite“ einige Prügel einstecken mussten.
Breth: Das so genannte Regietheater hat ja sämtliche Köpfe vernebelt. Für mich ist ein Regisseur im Grunde nichts anderes als ein Spielleiter: Ich muss dafür Sorge tragen, dass das Spiel funktioniert, ich bin Trainer und Schiedsrichter zugleich. Wenn 20 oder mehr Menschen auf der Bühne stehen, muss man das Feld sortieren, nicht nur ästhetisch, auch inhaltlich. Jede menschliche Regung oder Bewegung hat ein Warum. Dieses Warum wird im Theater vom Text vorgegeben. Als Regisseurin habe ich mir nicht etwas auszudenken, ich habe in erster Linie zu analysieren, was da ist. Genau das verstehe ich unter diesem schimpflichen Wort „Texttreue“.
profil: Wenn man diesen Ansatz konsequent zu Ende denkt, erübrigt sich dann nicht jede Regietätigkeit, weil der Text ohnehin alles klar vorgibt und jede persönliche „Handschrift“ nur verfremdend wirken kann?
Breth: Natürlich lege ich Wert darauf, eine eigene Handschrift zu haben – so eitel bin ich schon. Aber ich mag es, wenn der Zuschauer am Ende einer Vorstellung das Gefühl hat, dass es überhaupt keinen Regisseur gab, weil die Realität auf der Bühne so stark war. Ich höre oft von Besuchern meiner Stücke, sie müssen nochmal reingehen, weil sie nicht alles mitgekriegt haben, weil es einfach „so viel“ war. Das finde ich gar nicht schlecht. Man muss nicht immer alle Details erfassen. Man muss eine Atmosphäre erfassen, eine Gemütsgeschichte, ein Chaos, die angelegentliche Zerstörung von gesellschaftlichen Vorgängen.
profil: Sie gehören seit drei Jahrzehnten zur allerersten Regiegarde im deutschsprachigen Theater. Welche Erfahrung war für Sie dabei die schmerzlichste?
Breth: Größenwahn – etwas wirklich Trauriges und sehr Gefährliches. Als ich vor 30 Jahren in Westdeutschland zu inszenieren begann, war ich die einzige Frau in diesem Bereich und hatte sehr rasch großen Erfolg. Ich bekam stapelweise Angebote, auch aus dem Ausland. Ich dachte, ich bin Mozart. Ich hatte überhaupt keinen Abstand mehr zu mir selbst. Dann bekam ich – Gott sei Dank! – ganz böse eine auf den Deckel, für meine erste Inszenierung von „Emilia Galotti“, die richtig schlecht war. Nach diesem Rückschlag fing ich wieder ganz von vorn an. Jahre später habe ich hier an der Burg meine Wiedergutmachungs-Inszenierung von „Emilia Galotti“ gemacht. Ich dachte immer, wenn ich sterbe und dem Lessing begegnen sollte, muss ich vorher diese Schmach ausgebügelt haben.
profil: Es gibt einen sehr prominenten Neuzugang in der Breth-Familie: Gert Voss, der Big Daddy in Ihrer Inszenierung von „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ spielt. Sie arbeiten schon länger an der Burg, Gert Voss noch länger. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie zueinander gefunden haben?
Breth: Das haben wir uns auch gefragt. Wir waren offenbar Opfer einer Kette von Missverständnissen, die ich hier jetzt nicht analysieren will. Leider haben wir es lange verabsäumt, diese Missverständnisse untereinander zu klären. Jetzt bedauern wir beide, dass wir das nicht schon viel früher erledigt haben. Die Zusammenarbeit mit Voss ist wunderbar: Es gibt kein Fremdsein, es gibt nur größte Zuwendung und größtes Interesse füreinander.
profil: War das für Sie überraschend?
Breth: Ja, es hätte auch ganz anders kommen können. Jeder Regisseur hat eine bestimmte Methode, und die muss nicht immer schlagend oder zündend für einen gewissen Schauspieler sein. Für mich ist das A und O bei der gemeinsamen Arbeit an einem Stück, dass keine Angst aufkommt. Das wäre der Tod fürs Spiel.
profil: Tennessee Williams, den Sie jetzt inszenieren, gilt als einer der großen US-Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Verdankte er seine enorme Breitenwirkung in Wahrheit nicht vor allem Hollywood, wo viele seiner Stücke sehr erfolgreich verfilmt wurden: „Die Glasmenagerie“ mit Jane Wyman und Kirk Douglas, „Endstation Sehnsucht“ mit Marlon Brando und Vivien Leigh und „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ mit Liz Taylor und Paul Newman?
Breth: Alle glauben, dieses Stück zu kennen, weil sie den Film kennen. Tatsächlich war die Hollywood-Fassung von „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ äußerst problematisch, weil Regisseur Richard Brooks die Vorlage von Williams gar nicht sinngetreu verfilmte. Er machte sie geschmackssicher und politisch korrekt. Alles, was krude ist an dem Stück, die verschwiemelte, nicht ausgesprochene Homosexualität oder der verlogene Umgang mit Big Daddys Darmkrebs, wurde von Hollywood in einem Happy End aufgelöst. Wir zeigen selbstverständlich die von Tennessee Williams abgesegnete Version, und die ist wesentlich härter und unerträglicher als das, was die meisten Menschen für das Stück halten, obwohl sie nur den Film kennen.
profil: Was reizt Sie an einem schwülstigen Südstaatendrama aus den fünfziger Jahren?
Breth: Ich mag es, wenn eine Welt in die Brüche geht. „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ fängt mit einer Katastrophe an, nämlich mit einem braunen Fleck auf einem Kleid. Dieser Fleck symbolisiert den Beginn eines Zerfalls, und das Stück handelt letztlich vom Kollaps einer Dynastie, vom Zusammenbruch eines Imperiums, und ich habe rasende Lust, das zu erzählen.
profil: Tennessee Williams erlebt derzeit auf deutschsprachigen Bühnen eine echte Renaissance. „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ wird an mehreren Theatern gespielt …
Breth: Das ist sicher nicht der Grund, weshalb wir es machen. Ich würde sogar behaupten, dass wir die Ersten waren, die das Stück auf den Spielplan gesetzt haben.
profil: Wie auch immer – jedenfalls muss es einen akuten Grund für das Williams-„Revival“ geben. Wenn Sie vom Zerfall eines Imperiums sprechen, liegt die Assoziation zu den USA ziemlich nahe, zumindest aus der Sicht derer, die in den Augen von Donald Rumsfeld zum „alten Europa“ gehören.
Breth: Natürlich könnte man die Pollitt-Dynastie als Allegorie für die USA sehen und Big Daddy als Inkarnation von George W. Bush, doch das fände ich etwas plump. Andererseits ist „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ ein gutes Medium, um den Blick Europas auf das Amerika von heute einzufangen, auch die Enttäuschung, die dabei mitschwingt. Ich erinnere mich noch gut an John F. Kennedy. 1963, ich war elf, sah ich seine berühmte Berliner Rede im Fernsehen. Damals habe ich zum ersten Mal begriffen, was Pathos bedeutet. Ich war bedingungslos in Kennedy verknallt: Er war jung und schön und hatte Charme. Ich dachte, das ist die neue Welt! Ich erlebte die Nachkriegszeit kindlich-naiv. Amerika, das waren für mich Schokolade, Kaugummi und Musik – ohne irgendwelche Fragezeichen. Die kamen erst später.
profil: „Fragezeichen“ ist wohl eher ein Euphemismus für das heutige Unbehagen vieler Europäer gegenüber den USA.
Breth: Ich ertrage das alles rein physisch nicht mehr, diese völlig entleerte, verblödete Gesellschaft. Das deckt sich aber auch mit der zunehmenden Kulturlosigkeit in Europa. Es wird nur noch über wirtschaftliche Aspekte geredet, auch in meinem Metier. Keiner fragt, ob wir überhaupt noch ein Theater brauchen – und wofür. Die Politiker brauchen es schon lange nicht mehr, sie interessieren sich auch nicht dafür. Es interessiert sich auch niemand mehr dafür, ob wir etwas lernen, ob wir unser Gehirn in Gang setzen. Und da wundern wir uns, dass wir schon mit 40 Alzheimer haben! Das Publikum wird von den Fernseh- und leider oft auch von den Theaterleuten für blöder verkauft, als es ist. Es gibt ein Bedürfnis nach großen Texten, es gibt ein Bedürfnis nachzudenken. Diese permanente Unterhaltungsscheiße ist ja gar nicht mehr auszuhalten, davon wird man doch krank. Ich möchte nicht immer als altmodisch bezeichnet werden, nur weil mich das alles zutiefst schockiert.
profil: Auch an der Burg wird über Geld gesprochen, und zwar über jenes, das fehlt. Eine Budgeterhöhung für die Bundestheater ist kürzlich vom Finanzminister abgelehnt worden …
Breth: … und das, obwohl nicht einmal renommierte Wirtschaftsprüfungsfirmen der Burg nachweisen konnten, dass hier Geld zum Fenster hinausgeschmissen wird. Von den Politikern ist lediglich zu hören, es handle sich schließlich um eine Holding, was auch immer das genau heißen soll. Unterdessen sitzt Herr Holender (Staatsoperndirektor Ioan Holender, Anm.) wie Dagobert Duck auf seinem Goldtopf. Seine Aufgabe wäre es eigentlich, das Geld in die Kunst zu investieren und es nicht bloß täglich zu zählen. Wenn er sein Geld aber weder für die Kunst verwendet noch etwas davon an seine Partner abgibt, dann ist dieser Mann seit Jahren doch völlig fehl am Platz! Die Wiener Staatsoper ist künstlerisch sträflich unterbelichtet. Da brüstet sich Herr Holender mit einer Risiko-Produktion, die in Wahrheit gar keine ist: Er holt den „Don Carlos“ nach Wien, eine Aufführung, die sich in Hamburg schon durchgesetzt hat, und fällt dann vor Angst fast aus der Loge – das konnte man bei Frau Rett sehen, in dieser gnadenlos schlechten Kultursendung. Ansonsten ist Holender ein extremer Verhinderer, der von Kunst keine Ahnung hat und über Künstler redet wie ein Agent, und zwar in einer Weise, für die man ihn täglich verklagen müsste – die anderen Dinge, für die man ihn sonst noch verklagen sollte, lasse ich hier einmal aus. Schauen Sie sich doch mal eine Repertoirevorstellung an! Ich habe mir eine angeschaut, das weiß Herr Holender gar nicht. Da werden Dirigenten schnell-schnell eingeflogen, die Sänger kleben an der Rampe, weil sie keine Proben gekriegt haben, die Bühnenbilder sind ungepflegt und zum Teil kaputt. Unten sitzen Japaner mit Plastiktüten, die in der Pause gehen, weil das, was auf der Bühne geboten wird, so schlecht ist. Und Herr Holender sitzt immer noch an seinem Platz und wird wieder und wieder verlängert – weil er so bequem ist. Die Wiener Staatsoper müsste die beste Oper Europas sein. Stattdessen ist sie nichts als medial-politisch begleitete heiße Luft!
profil: Wäre das kein Job für Sie?
Breth: Um Gottes willen! Ich kann ein Theater leiten, aber keine Oper.
profil: Sie sind für die Josefstadt im Gespräch.
Breth: Kein Mensch hat mit mir über die Josefstadt gesprochen. Ich bleibe am Burgtheater, solange Klaus Bachler dieses Haus leitet. Ich genieße hier unvergleichlich tolle Arbeitsmöglichkeiten. Ich kann machen, was ich will, und erfahre dabei jede Unterstützung. Wenn Herr Bachler aus irgendwelchen Gründen nicht mehr hier bleiben kann oder will, dann wird die Frage nach einem neuen Arbeitsort für mich und meine Riesen-Schauspielerfamilie virulent. Nur dann!