Im Rückschritt – marsch!

Bundesheer: Im Rückschritt – marsch!

Bundesheer. Die allgemeine Wehrpflicht ist teuer, ungerecht und ineffizient

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Verteidigungsminister Norbert Da­rabos übte sich vergangene Woche in der Sprache der Steinmetzzunft. „Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt“, sagte der ehemalige Zivildiener. „Mit mir als Verteidigungsminister wird es kein Ende der Wehrpflicht geben.“ Der sonst oft zaudernde SPÖ-Minister hat sich diesmal rasch und eindeutig festgelegt. Die Debatte über Sinn und Zweck der allgemeinen Wehrpflicht und ein Berufsheer als Alternative konnte er damit aber nicht abstellen.
Am 1. Juli hat das so wie Österreich bündnisfreie Schweden die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft. Deutschland will noch im Herbst über das Ende des Präsenzdienstes abstimmen. In Österreich hat die Diskussion gerade erst begonnen. Dabei zählt die Alpenrepublik zur Nachhut: Innerhalb der EU müssen nur noch in sechs Ländern junge Männer zum Dienst mit der Waffe einrücken.

Mehr als zwanzig Jahre nach Ende des Kalten Kriegs haben sich die Anforderungen an ein modernes Heer grundlegend geändert. Dennoch wird in Österreich derzeit nur über die Kosten, nicht aber über die Aufgaben des Militärs gesprochen. Manche Offiziere und Politiker beschränken sich gar darauf, ein Ende der Debatte zu fordern. Dabei wäre ein Freiwilligenheer laut Experten billiger, gerechter und auch effizienter.

Die Befürworter der Wehrpflicht argumentieren seit Jahren gleich. „Die Wehrpflicht zählt zu den demokratischen Grundwerten in Österreich“, predigt Darabos. „Das aktuelle System aus Präsenzdienern und Berufssoldaten hat sich bewährt“, lobt Generalstabschef Edmund Entacher (siehe Interview Seite 18). „Wir brauchen die Wehrpflicht, weil sonst auch der Zivildienst abgeschafft würde“, warnt FPÖ-Wehrsprecher Peter Fichtenbauer (siehe Kasten Wehrersatzdienst rechts). Ein Berufsheer käme zudem teurer, befürchtet Außenminister und Reserveoffizier Michael Spindelegger. Nur die Wehrpflicht garantiere die „breite Unterstützung“ für die eigene Armee in der Bevölkerung, glaubt der ÖVP-Politiker.

Doch mit der breiten Unterstützung ist es ohnehin nicht weit her. Die Mehrheit der Österreicher wünscht sich die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht, ergab eine aktuelle profil-Umfrage. Und schon im Frühjahr hatte sich jeder Zweite für Budgetkürzungen beim Heer ausgesprochen – obwohl Österreich schon bisher nicht einmal 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Landesverteidigung ausgab. Ein im internationalen Vergleich mickriger Wert.

Und es könnte noch billiger gehen, glaubt der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz. Er plädiert für ein kleines, auf Auslandseinsätze spezialisiertes Berufsheer. Sollten Regierungsparteien dieses weiterhin ablehnen, plant er im Herbst ein Volksbegehren zur Abschaffung der Wehrpflicht. Ohne diese könne es keine nachhaltige Reform des Bundesheers geben, meint Pilz: „Wegen der Wehrpflicht müssen wir ja die vielen unnützen Kasernen, Panzer und Ausbildner weiter mitschleppen.“

Unerwartete Schützenhilfe bekam Pilz vergangene Woche vom BZÖ. Der frühere Verteidigungsminister Herbert Scheibner, einst eiserner Verfechter der Wehrpflicht, beantragte im Parlament deren Aussetzung: „Schlecht ausgebildete und zwangsverpflichtete Grundwehrdiener kosten viel Geld, sind aber im Ernstfall nicht einsatzfähig.“ Statt der Wehrpflicht fordert Scheibner ein Mischsystem aus einem Berufsheer und einer Freiwilligenmiliz. Sogar in der SPÖ, die wegen der Er­fahrungen im Bürgerkriegsjahr 1934 stets gegen ein Berufsheer eintritt, gab es Querdenker. 1996 hatte der damalige Innen­minister Caspar Einem in einem Gastkommentar für profil das Ende der Wehrpflicht und die Umrüstung des Bundesheers auf eine schwere Polizei gefordert. Die SPÖ ­distanzierte sich rasch von seinem Vorschlag, Einem wurde vom damaligen Bundesprä­sidenten Thomas Klestil zu einer Standpauke in die Hofburg zitiert.

Raumverteidigung.
Derzeit stehen rund 15.900 Berufssoldaten und 9200 Zivilbedienstete im Dienst der Landessicherheit. Dazu kommen jährlich rund 25.000 Grundwehrdiener. Solange der Kalte Krieg auch Österreich bedrohte, wurden die Jungmänner auf die so genannte Raumverteidigung vorbereitet. Hätten die Russen durch das Donautal marschieren wollen, hätten die Wehrdiener mit Panzern, Artillerie und vor allem in Schützenlöcher eingebuddelt den Angriff bremsen sollen. Die sowjetische Bedrohung gibt es nicht mehr, die Ausbildung der österreichischen Rekruten hat sich aber kaum geändert. Nur beim Assistenzeinsatz im Burgenland patrouillieren Grundwehrdiener – sie dürfen jedoch nicht einmal Verdächtige anhalten. 20 Millionen Euro kostet der sinnlose Aufmarsch pro Jahr.

Zu den immer wichtigeren Auslandseinsätzen sind Grundwehrdiener zu Recht nicht zugelassen. Österreich hat derzeit nur 1500 Berufs- und Zeitsoldaten, so genannte „Kaderpräsenzeinheiten“, die innerhalb kürzester Zeit zu Militäraktionen der EU und der UNO entsandt werden können. Für den ­Katastrophenschutz im Inland sind bis zu 10.000 Mann abrufbereit: Grundwehrdiener und Milizangehörige.

Insgesamt stehen dem Heer jährlich zwei Milliarden Euro zur Verfügung. Mehr als die Hälfte fließt jedoch in die Gehälter der Berufssoldaten und Zivilbeamten. Sogar die vergleichsweise billigen Grundwehrdiener, sie erhalten nicht einmal 300 Euro monatlich, kommen den Steuerzahler teuer: Ausbildung, Verpflegung, Unterkunft, Krankenversorgung und Ausrüstung eines Rekruten kosten 14.000 Euro.

Geld, von dem Experten wie der frühere Bundesheer-Generalstäbler Gerald Karner meinen, es wäre besser in einer kleineren, dafür effizienteren Freiwilligenarmee angelegt. Aktive Offiziere halten dagegen, ein Berufsheer wäre zu teuer. Sie alle berufen sich dabei auf dieselbe Dissertation eines Bundesheer-Mitarbeiters, wonach eine Berufsarmee von 23.000 Soldaten und 7000 Zivilbediensteten ein Verteidigungsbudget von knapp vier Milliarden Euro erfordern würde. Das wäre eine Verdoppelung des Budgets. Und brächte Österreich weit mehr Soldaten als nötig.

Notsituation. Sogar heeresinterne Studien wie jene von Edwin Micewski, Mitarbeiter der Landesverteidigungsakademie, gehen davon aus, dass ein Freiwilligenheer von – immer noch großzügig bemessenen – 17.000 Mann nicht wesentlich teurer käme als das derzeitige Wehrpflichtsystem.

Experten meinen, 3500 bis 5000 Uniformierte wären ausreichend, um die wichtigsten Aufgaben zu übernehmen. Einen Teil der Zivilschutzagenden könnte die freiwillige Feuerwehr übernehmen oder – wie in Deutschland – eine eigens ausgebildete Einheit. Dort kümmert sich das Technische Hilfswerk um den Katastrophenschutz und springt in Notsituationen ein: Nur ein Prozent dieser 80.000 Helfer ist angestellt. Das Gros der Truppe stellen ehrenamtliche Helfer, die aber im Einsatzfall einen Kosten­ersatz für ihren Dienstausfall erhalten.

„Die Auszahlung des Verdienstentgangs wäre weit teurer, als Grundwehrdiener zu Hochwassereinsätzen zu schicken“, sagt Michael Bauer, Pressesprecher des Bundesheers.

Das mag zwar grundsätzlich richtig sein, bei all diesen Kostenaufstellungen wird aber immer ein Punkt übersehen: Jedes Jahr müssen rund 25.000 junge Österreicher mindestens ein halbes Jahr lang um ein lächerliches Taggeld ihren Präsenzdienst absitzen, statt ihrem Wunschberuf nachzugehen und Steuern zu zahlen. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts: „Die Einführung eines Freiwilligenheers impliziert eine Steigerung der Heeresbudgetausgaben; diese wird aber gemäß internationalen Erfahrungen durch höhere Steuerleistung der zusätzlichen Arbeitskräfte, die in der Privatwirtschaft unterkommen, mehr als kompensiert.“

Mehr noch: Studienautorin Gudrun Biffl kritisiert, dass durch den Überfluss an günstigen, weil zwangsverpflichteten Grundwehrdienern die Arbeitskraft im Heer nicht effizient eingesetzt wird. Die Zeit, die jene beim Heer verbringen, entspricht zudem ­einer ungerechten „Naturalsteuer“, weil sie eben nur von jungen Männern erbracht werden muss. In anderen Ländern brachte laut Studie die Umstellung auf ein Berufsheer eine Effizienzsteigerung und Kostenersparnis: Besser ausgebildetes Personal übernahm in einer neuen Arbeitsorganisation maßgeschneiderte Positionen.

Fazit: Die zunehmende Spezialisierung auf Auslands- und Katastrophenschutzeinsätze „legt die Einführung eines Berufsheers nahe“. Ein oft verwendetes Argument, wonach die österreichische Neutralität die Wehrpflicht erfordere, stellt freilich kein Hindernis für ihre Abschaffung dar. Für den Verfassungsrechtler Heinz Mayer ist eine Verfassungsänderung „ohne Weiteres möglich“. „Die klassische Neutralität gibt es ohnehin nicht mehr.“

Verteidigungsminister Darabos bangt gar, dass mit der Wehrpflicht „die demokratische Kontrolle der Streitkräfte“ fiele. Wenn das stimmt, spottet der grüne Abgeordnete Pilz, „dann wäre Großbritannien schon seit Jahrzehnten eine Militärdiktatur“.

Mitarbeit: Constantin Stickler