Angela und die Däumlinge

Bundestagswahl in Deutschland: Angela und die Däumlinge

Deutschland. Ein Blick auf das Personal der Bundestagswahl

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Von Anna Giulia Fink und Robert Treichler

Es war wohl nur so dahingesagt, im Smalltalk auf dem Weg zur gemeinsamen Pressekonferenz: „Wir müssen unsere Wahlkampagne vorbereiten“, erzählte Kanzlerin Angela Merkel ihrem Gastgeber Barack Obama, als die ­beiden, von TV-Kameras begleitet, einen der Gänge des Weißen Hauses durchschritten. Obama wischte das mit einer lässigen Handbewegung weg und grinste: „Ach, Sie haben schon gewonnen. Ich weiß nicht, worüber Sie sich immer Sorgen machen.“ Das war im Juli 2009. Zweieinhalb Monate später bewahrheitete sich Obamas Prognose. Angela Merkel begann ihre zweite Amtszeit nach 2005.

Man braucht nicht über die politische Weitsicht des US-Präsidenten zu verfügen, um für 2013 dieselbe Vorhersage zu wagen: Angela Merkel hat die Bundestagswahlen schon gewonnen. Sie genießt in Umfragen Zustimmung wie Steffi Graf, Michael Schumacher und Philipp Lahm zu ihren besten Zeiten, konkret: Laut einer ARD-Erhebung von vergangener Woche sind 71 Prozent der Deutschen mit Merkels Arbeit zufrieden; SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück bringt es nur auf 39 Prozent. Könnten die Deutschen den Bundeskanzler direkt wählen, läge die Kanzlerin mit 59 Prozent vor Steinbrück mit 28 Prozent.

Angesichts solcher Werte vergisst man leicht, welch weiten Weg Merkel als erste Kanzlerin der Bundesrepublik zurückgelegt hat. „Darf das Kanzler werden?“, fragte das Satiremagazin „Titanic“ einst mit der ihm eigenen Untergriffigkeit auf einem Merkel-Cover. Da war sie noch „das Mädchen“ und ihre Kleidung und Frisur Ziel permanenten Spotts. Heute ist Merkel Nummer eins der „Forbes“-Liste der mächtigsten Frauen der Welt und Nummer zwei in der Liste beider Geschlechter (hinter Barack Obama).

Doch die Deutschen wählen den Bundestag und nicht einen Superstar. Und so wird Merkels Union zwar mit großer Wahrscheinlichkeit die Wahlen gewinnen. Derzeitiger Stand: CDU/CSU 40 Prozent, SPD 27 Prozent, Grüne 15 Prozent. In Ermangelung eines tauglichen Koalitionspartners könnte die Wunschkanzlerin jedoch ohne die erforderliche Parlamentsmehrheit dastehen. Der bisherige Koalitionspartner FDP und ihr Spitzenkandidat Rainer Brüderle treiben sich – was Benimm und politischen Erfolg betrifft – mit vier Prozent unter der Gürtellinie herum.

Eine Mehrheit gegen Merkel ist möglich, und so wird die Wahl tatsächlich spannend. Seit vergangener Woche steht der Wahltermin fest: Es ist der 22. September. Mit Ausnahme der Piratenpartei haben bereits alle ihre Spitzenkandidaten nominiert. Hier sind sie.

SPD
Das männliche Triumvirat, bestehend aus Parteichef Sigmar ­Gabriel, dem Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und Ex-Finanzminister Peer Steinbrück reduzierte sich im vergangenen Herbst auf den Letztgenannten, weil die beiden anderen nicht so recht wollten. Die Zeit seither nutzte der Bundestagsabgeordnete Steinbrück vor allem für mediale Ausrutscher. Er rückte erst nach und nach mit Informationen über seine höchst lukrative Nebentätigkeit als bezahlter Redner heraus, beklagte, dass ein Bundeskanzler viel zu wenig verdiene, und ortete bei Kanzlerin Merkel einen „Frauenbonus“.

Dennoch siegte Rot-Grün zuletzt bei den Landtagswahlen in Niedersachsen, rückte in den Umfragen etwas vor, und Steinbrück machte selbstbewusst klar, dass er als Juniorpartner einer großen Koalition ­unter Merkel nicht zur Verfügung stehe. Die SPD hofft, dass soziale Probleme wie die steigende Arbeitslosigkeit der regierenden Koalition zusetzen – mehr jedenfalls als der Spitzenkandidat.

Grüne
Die Co-Spitzenkandidaten der Grünen sind Darth Vader und Mutter Teresa. So jedenfalls charakterisierte Jürgen Trittin sich und Katrin ­Göring-Eckardt im Scherz. Nicht ganz falsch: Ex-Umweltminister Trittin gibt den Gefürchteten, der eine schlimme Waffe besitzt – beißende Ironie. Göring-Eckardt wiederum bezeichnet ihren protestantischen Glauben als „Heimat und Versicherung“. Kein Wunder, dass das Realo-Bibel-Duo als Option in Richtung einer schwarz-grünen Koalition interpretiert wird. Was die Betroffenen heftig bestreiten. Trittins Analyse der Ausgangslage sieht so aus: „Eine populäre Kanzlerin, eine schlechte Regierung, eine gute wirtschaftliche Lage, aber viele ungelöste Probleme.“ Mit anderen Worten: Man wird erst gar nicht versuchen, Merkel als Kanzlerin zu attackieren, sondern gesellschaftspolitisch konservative Elemente der Regierungspolitik wie etwa das Betreuungsgeld, eine Art Prämie für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, anstatt sie in den Kindergarten zu schicken.

FDP
Vermutlich ist es per se schwierig genug, eine Partei anzuführen, die derzeit 82 Prozent der Deutschen für überflüssig halten. Als FDP-Parteichef Philipp Rösler vorvergangene Woche darauf verzichtete, als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf zu ziehen, und stattdessen Rainer Brüderle den Vortritt ließ, konnte er nicht ahnen, dass er damit den Kreis ­derer, die auf die FDP gut verzichten können, erheblich erweiterte. Brüderle wurde von der „Stern“-Reporterin Laura Himmelreich sexistischer Äußerungen bezichtigt und reagierte darauf mit eisernem Schweigen. Auf die einzige Frage, mit der ihn die deutsche Öffentlichkeit seither konfrontiert, nicht zu antworten, bedeutet, sie bis zum Wahltag immer wieder ­gestellt zu bekommen. Eine völlig aussichtslose Situation für einen Spitzenkandidaten, und so taumelt die FDP ihrem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag entgegen. Ein letzter Rettungsanker wäre eine so genannte Leihstimmen-Aktion, bei der CDU-Wähler ihre Zweitstimme der FDP geben, um sie als Koalitionspartner zu reanimieren.

Die Linke
Was dabei herauskommt, wenn eine linke Partei alle Strömungen von links-reformerisch über links-links bis trotzkistisch abdecken möchte und dabei auch auf Ost-West- sowie Geschlechterparität Rücksicht nimmt, zeigt das Spitzenteam der Linken: Es wurde ein achtköpfiges Gremium, in dem Promis wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht neben wenig bekannten Abgeordneten sitzen. Nun verfügt die Linke nach monatelangen Streitigkeiten über eine große Truppe, aber weiterhin über keine Strategie. Inhaltliches Alleinstellungsmerkmal der Partei ist das dezidierte Nein zu so gut wie allen bisher getroffenen Maßnahmen zur Rettung des Euros.

Piraten
Es war ein richtig mieser Start ins Wahlkampfjahr oder, wie es der hessische Basispirat Jan Leutert recht unverblümt ausdrückt: Die Piraten „haben es verkackt“. Seit 2011 schafften sie aus dem Nichts ­heraus den Einzug in vier Länderparlamente, selbst die Grünen ließen sie in Umfragen schon einmal hinter sich. Die krachende Niederlage bei der jüngsten Wahl in Niedersachsen ist für die Freibeuter hingegen ein neuer Höhepunkt in einer Reihe von Schlappen. In den Umfragen für die Bundestagswahl schrumpften sie von ihrem Frühjahrshoch des vergangenen Jahres von 13 auf drei Prozent. In Umfragegrafiken laufen die Piraten nicht selten wieder unter dem Balken „andere“. Disziplinlosigkeit und nicht existentes oder unkommunizierbares Parteiprogramm, also Dinge, die anfangs den Charme der Di­lettantentruppe ausmachten, nerven das Publikum zusehends. Nach ihren öffentlichen Personalquerelen, bizarren TV-­Auftritten, Serien-Rücktritten, Vorwürfen wegen Frauenfeindlichkeit und Rassismus traut der Amateurtruppe keiner mehr den Sprung in den Bundestag zu. Ausgewiesenen Spitzenkandidaten gibt es keinen, er – oder sie – geht aber bisher auch niemandem ab.