Am 22. September ist Muttertag

Bundestagswahlen: Warum Angela Merkel Kanzlerin bleiben wird

Deutschland. Georg Hoffmann-Ostenhof über Angela Merkel

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Und was blieb von der einzigen großen TV-Wahlkampfkonfrontation der deutschen Kanzlerin und ihres Herausforderers am vorvergangenen Sonntag im Gedächtnis? Angela Merkels Halskette. Und vielleicht noch Fernseh-Tausendsassa Stefan Raab, der als einer von vier Moderatoren des Duells damit herausplatzte, wie cool er den SPD-Kandidaten Steinbrück – „King of Kotelett“ – finde und wie sehr er bedauere, dass er nicht als Vize unter einer Kanzlerin Merkel in eine künftige Regierung gehen will.
Von Publikum und Publizistik wurde die Diskussion der Kontrahenten allgemein als überaus fade Aneinanderreihung von staubtrockenen Politstatements empfunden. Umso stärker strahlte Angelas Schmuckstück. Was für eine Sensation! Die Kette hatte die Farben der deutschen Flagge: schwarz, rot und gold. Das begeisterte die Twitterer und Facebooker massenhaft und verführte zu vielfältigem Cyberspaß – wenn auch bald bemerkt wurde, dass die Reihenfolge der Farben weniger deutsch denn belgisch gewesen war.

Der gelernte Fleischer Raab hingegen entzückte mit seiner Lockerheit: Ohne Krawatte, die Hand in der Hosentasche und mit der anderen gestikulierend, gab er für die Zuseher offenbar so recht den legeren und ideologisch unverbohrten „neuen Deutschen“, der sich weder vor den politischen Autoritäten duckt, noch diesen verbissen und feindlich gegenübertritt. Raab wurde fast zu einem Helden.

Seltsam, was die Deutschen dieser Tage in Wallung versetzt.

„Sterile Lego-Sprache“
Wahlen 2013. Da mag den österreichischen Zuseher, der am 29. September, eine Woche nach unseren nördlichen Nachbarn, zu den Urnen schreitet, Merkels und Steinbrücks Eloquenz und Schlagfertigkeit beeindrucken, wenn er diese mit der Performance der heimischen Politiker vergleicht. Dennoch bekam der Auftritt der deutschen Spitzenpolitiker durchwegs schlechte Rezensionen: Hängen geblieben ist wirklich kaum etwas von dem, was die beiden während des großen Politspektakels sagten. Die Diagnose des britischen Historikers Timothy Garton Ash ist sicher arg überspitzt und ungerecht – ganz daneben liegt er aber nicht, wenn er noch vor der Konfrontation schrieb: „Die gesamte politische Klasse in Deutschland spricht diese sterile Lego-Sprache aus vorgefertigten und zusammengezimmerten Phrasen.“ Und er ätzte: „Die meisten deutschen Politiker fliegen eher allein zum Mond, als dass sie einen bleibenden Satz formulieren.“

Hat Steinbrück noch ein paar deftig-amüsante Metaphern auf Lager und zeigen die Vertreter der kleineren Parteien in den Diskussionsrunden dann doch einigen Witz und Lebendigkeit, so bestätigt Angela Merkels Redestil tatsächlich das Urteil Ashs über deutsche Politrhetorik: Schlichter, kunstloser und weniger mitreißend kann man kaum sprechen.
Das mag damit zusammenhängen, dass die Deutschen nach der Naziherrschaft allgemein Misstrauen gegen Pathos, aufwühlende Ansprachen und Zukunftsvisionen hegen. Sicher aber ist die Drögheit des politischen Diskurses im deutschen Wahlkampf auch darauf zurückzuführen, dass das Rennen bereits gelaufen ist. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird Merkel wieder Bundeskanzlerin – zum dritten Mal.

Populärer als sie war seit 1945 noch kein deutscher Regierungschef. Und das ist auf den ersten Blick nicht so verwunderlich: Deutschland steht wirtschaftlich blendend da. Die Arbeitslosigkeit ist halb so hoch wie im europäischen Durchschnitt. So wenige Jugendliche ohne Job gab es im Land seit 20 Jahren nicht mehr. Das Budget ist ausgeglichen, die Staatsschulden schmelzen, und die Zinsen von Staatsanleihen tendieren gegen null. Besser als die Deutschen hat kein anderes Land die Krise bewältigt.

Großbritannien beginnt sich europäisch auszuklinken, Frankreichs Wirtschaft stagniert, und die EU-Peripherie verharrt in einem deplorablen Zustand, wenn sie nicht noch weiter absackt: Das so prosperierende Deutschland hat in den vergangenen Jahren gewaltig an ökonomischem und damit politischem Gewicht zugelegt. Angela Merkel wird international als „die mächtigste Frau der Welt“ beschrieben. Die Deutschen mögen bei ihren Fernsehauftritten schläfrig werden – stolz sind sie dann doch auf ihre Angela, die „so gute Figur auf dem internationalen Parkett“ mache, wie allgemein gelobt wird. Uneingestanden gefällt den Deutschen der Machtzuwachs ihres Landes insgeheim dann doch. Und der ist beträchtlich.
Der „Economist“ schreibt: „Deutschland ist mehr als der primus inter pares“, und das britische Blatt ist sich sicher, dass Europas „Zukunft der kommenden Jahren ,Made in Germany‘ sein wird“.

Das erweist sich als Problem. Von den maroden EU-Staaten wird die deutsche Dominanz in Europa weitgehend in historischen Bildern gesehen: Da erblickt man in Karikaturen Angela Merkel schon mal mit Hitlerbärtchen, mal als Peitsche schwingende Gauleiterin. „Deutschland, Deutschland über alles“ sei das Motto Berlins. Man macht Merkel und Co. den Vorwurf, aus selbstsüchtigen Motiven heraus dem Rest Europas eine desaströse Sparpolitik zu diktieren, um die Steuerzahler zu Hause zu schonen und nicht zu verärgern. Für den europäischen Süden ist der deutsche Einfluss zu groß. Man fühlt sich bedroht.

Von der entgegengesetzten Position kommt jene Kritik an Merkels Deutschland, die in den vergangenen Monaten immer stärker zu vernehmen ist. Den Anfang hatte der polnische Außenminister Radek Sikorski 2011 mit einem inzwischen legendären Satz gemacht: „Ich bin wahrscheinlich der erste polnische Außenminister der Geschichte, der Folgendes sagt: Ich fürchte weniger die deutsche Macht, als ich beginne, die deutsche Inaktivität zu fürchten.“

Die unwillige Führungsmacht
Inzwischen macht das Wort vom „reluctant hegemon“, von der zögernden und unwilligen Führungsmacht, die Runde. Die Deutschen wollen die ihnen kraft ihrer ökonomischen Stärke zufallende Rolle nicht annehmen.
In dieser Version gibt es diesmal keinesfalls wieder jenes deutsche Streben „nach einem Platz an der Sonne“ wie seinerzeit – eine Ambition, welche die Welt im 20. Jahrhundert gleich mehrmals ins Unglück gestürzt hatte. Im Gegenteil: „Der einzige Platz an der Sonne, den die Deutschen suchen, ist an den Stränden des Mittelmeeres“, spöttelt Garton Ash: Die Deutschen wären nach der Wiedervereinigung 1990 froh gewesen, reich und frei in einer Art großer Schweiz zu leben, mit hohen Exporten und Urlaub im Süden. Bloß: So sollte es nicht kommen, Deutschland wurde in den Fahrersitz des Kontinents katapultiert, wolle nun aber nicht ernsthaft die Verantwortung für Europa übernehmen.

So kritisiert auch der Philosoph Jürgen Habermas: Deutschlands Macht sei gewachsen, während die politische Klasse geschrumpft sei. Zwar könne, „so stark Deutschland ökonomisch ist, Merkel unbehindert die nationalen Interessen, oder was sie dafür hält, durchsetzen“. Aber sie lasse jegliche europäische Perspektive vermissen. Die Vorstellung, dass die EU, will sie überleben, letztlich grundlegend umgebaut werden muss, sei ihr zuwider.
Es ist auch kein Zufall, dass die vorläufige Rettung des Euro nicht aus dem Machtzentrum in Berlin kam, sondern aus Frankfurt. Dort versprach im Sommer des vergangenen Jahres der Chef der Europäischen Zentralbank, der Italiener

Mario Draghi, gegen deutschen Widerstand, kein EU-Land fallen zu lassen. Die Angst vor dem Zerbrechen der Eurozone war damit vorbei. Merkel hat in der Eurokrise aber noch bei jeder Rettungsaktion und jedem Integrationsschritt gebremst.

Im Wahlkampf wird über Pensionen diskutiert, über Kindertagesstätten und Strompreise – das wichtigste Thema, die Zukunft der EU und die Rolle, die Deutschland in Europa spielt, wird weitgehend ausgespart. Einen Versuch des SPD-Herausforderers bei dem TV-Duell, doch noch den europapolitischen Kurs der Kanzlerin in Frage zu stellen, blockte Merkel kaltblütig mit dem Totschlagargument ab, die sozialdemokratische Opposition habe doch bei den meisten entsprechenden Beschlüssen zugestimmt – womit sie nicht Unrecht hat. Ernster politischer Streit bleibt also aus. Und so langweilen sich die Leute im letztlich unpolitisch inszenierten Wahlkampf.

„Eine Lähmung liegt über dem Land, und die heißt Merkel.“ So lautet das Lamento von Jakob Augstein in einem Kommentar auf „Spiegel Online“. Aber gleichzeitig weiß er: „Was die Journalisten schreiben und die Philosophen Merkel vorwerfen, gerade dafür lieben die Leute sie. Denn in Wahrheit teilen die Deutschen mit Angela Merkel die Angst vor der Zukunft.“
Tatsächlich dürften die Menschen Merkel nicht nur wählen, weil unter ihr das Land so erfolgreich die Krise überstand. Hinter der Liebe zu Angela steckt offenbar auch Tiefenpsychologisches: „Sie ist, wie gute Mütter sind: ausgleichend, beruhigend, gar mit beruhigender Härte begabt“, analysiert der Psychoanalytiker Tilmann Moser: „Ihr fehlt aber die männermordende Härte einer Thatcher, sie polarisiert nicht mit gezielter Absicht, leidet nicht an demonstrativem Größenwahn und ist trotzdem von ihrer Unersetzlichkeit überzeugt.“

Wir leben in turbulenten Zeiten. Und in Ländern, in denen man in der Vergangenheit bereits öfter in den Abgrund geblickt hat, ist das Bedürfnis nach Geborgenheit, Beständigkeit und Ruhe besonders groß. Genau das strahlt Angela Merkel aus. Die Deutschen delegieren die Verantwortung an sie. Sie wird es schon richten. „Ein regressiv eingerastetes Vertrauen zur Mutter“ diagnostiziert der Tiefenpsychologe und stellt die rhetorische Frage: Wählt man solche Mütter ab?

In diese von Tilmann beobachtete kollektive deutsche Regression passt aber auch der, wie es scheint, infantile Spaß an der Merkel-Kette, das Schmuckstück, das offenbar – historisch lange tabuisierte – Gefühle nationalen Stolzes signalisieren soll.