Interview mit Burg- theatherdirektor

Burgtheatherdirektor Hartmann im Interview

"Ich bin nicht gerade konfliktscheu"

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profil: Als Direktor des Wiener Burgtheaters werden Sie demnächst ganz oben angekommen sein. Sind Sie vor den Premieren Ihrer Regiearbeiten noch nervös?
Hartmann: Ja, sehr. Um 17 Uhr geht das los. Ich denke an nichts Böses, plötzlich setzt es einen Schlag in die Magengrube, und ich weiß: Okay, die Angst ist wieder da. In dem Moment, da der Vorhang aufgeht, denke ich manchmal: oh Gott, alles falsch gemacht.

profil: Wie geht es Ihnen während der Aufführung?
Hartmann: Es ist für mich unmöglich, ruhig zu sitzen. Ich suche mir einen Winkel, von dem aus ich auf die Bühne spähen kann. Entweder stehe ich auf der Seitenbühne, hinten in der Loge, beim Inspizienten, in der Tonkammer oder hole mir aus der Kantine ein Glas Wein, von dem ich nichts schmecke. Während der Premiere von „Käthchen von Heilbronn“ habe ich eine ganze Flasche Whisky ausgetrunken, ohne irgendetwas davon zu merken. Ich war einfach zu nervös.

profil: Wie hart geht der Intendant Hartmann mit dem Regisseur Hartmann ins Gericht?
Hartmann: Das ist ein Problem. Ich kann nicht mit Furor ins Intendantenbüro stürmen und mich darüber beschweren, dass mein Produktionsbudget so niedrig ist. Außerdem finde ich luxuriöse Regisseure, die mit einer riesigen Bugwelle ins Theater kommen, inzwischen so unerträglich, dass ich mir diese Rolle nicht mehr glaube und mich für einige solcher Auftritte außerordentlich schäme.

profil: Wie lösen Sie also das Problem?
Hartmann: Ich verzichte auf Luxus. Ich akzeptiere die meisten Kompromisse, die kürzesten Endproben und bin der am leichtesten zu handhabende Regisseur. Aber am Burgtheater will ich das wieder ändern und mich ebenso gut behandeln wie meine besten Regisseure.

profil: Damit stünden Sie in der Tradition Ihres Vorvorgängers Claus Peymann, der sich als Regisseur stets nur das Beste gewährte.
Hartmann: Mir ging Peymann zwar oft auf die Nerven, etwa mit seinem Machtgehabe. Aber er inszenierte sein Preußentum auf eine so barocke Weise, dass es die Wiener mochten. Er hat auch die Sache des Theaters sehr ernst genommen und zu einer Herzensangelegenheit gemacht. Das hat sich das Theater in Wien verdient.

profil: Das ist mittlerweile nicht mehr der Fall?
Hartmann: Natürlich habe ich ein ambivalentes und kritisches Verhältnis zu meinem Vorgänger Klaus Bachler. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn man versucht, etwas Gutes zu machen, sieht man das, was einem nicht gefällt, umso stärker. Ich finde es falsch, das in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Bachler hat dieses Theater ehrenwert geleitet.

profil: Die Übergabe zwischen Peymann und Bachler war nicht friktionsfrei. Wie läuft es bei Ihnen?
Hartmann: Wir alle beim Theater haben ein großes Ego und passen schwer durch eine Tür. Ich habe meinen Nachfolgern in Bochum und Zürich dennoch jedes Mal ein hervorragend gemachtes Bett hinterlassen.

profil: Wie viele Stücke werden Sie am Burgtheater selbst inszenieren?
Hartmann: Wenn es zwei Inszenierungen pro Jahr sind, wäre das viel. Bei einer der beiden Arbeiten werde ich mich auf den Text und die Schauspieler verlassen und mich als Regisseur zurücknehmen. Das habe ich in „Amphitryon“ so gehalten, zuletzt auch bei Molières „Tartuffe“. Diese Texte stehen für sich.

profil: Bei Ihrer zweiten Arbeit lassen Sie dann die Sau raus?
Hartmann: Eine meiner gelungensten Inszenierungen war die Bearbeitung von Christian Krachts Roman „1979“. Darin habe ich alle Theaterkonventionen aufgelöst. Diesen Stil kriege ich nicht mehr aus meiner Arbeit raus. Einmal im Jahr muss ich mit dem Theater grundsätzlich anders umgehen.

profil: Das klingt nach einem schizophrenen Zustand.
Hartmann: Ich entwickle mich als Regisseur tatsächlich in zwei unterschiedliche Richtungen. Es ist mir klar, dass sich viele Regisseure freiwillig ein Logo ans Revers kleben, weil sie damit leichter zu vermarkten sind. Aber da mein Interesse am Theater so vielfältig ist, möchte ich mich nicht um der Vermittelbarkeit willen einem einzigen Stil verschreiben.

profil: Sie werden nicht versuchen, am Burgtheater eine spezifische Ästhetik zu installieren?
Hartmann: Es gibt im Moment am Theater alles, und ich habe nichts dagegen.

profil: Klaus Bachler musste sich in seinen ersten Jahren den Vorwurf gefallen lassen, sein Haus als „Gemischtwarenladen“ zu führen.
Hartmann: Natürlich braucht ein Haus bestimmte Kennziffern, die man sich als Intendant vornimmt. Ich will mit dem Burgtheater einen Weg beschreiben und diesen immer wieder überprüfen. Wie er aussehen wird, kann ich noch nicht sagen.

profil: Zurzeit arbeitet am Burgtheater eine junge Regie-Elite, die auf klassische Text­treue keinen Wert legt. Werden Sie diese Linie fortsetzen?
Hartmann: Viele jener, die heute am Burgtheater arbeiten, waren zuvor bei uns in Bochum und Zürich, etwa Jan Bosse oder Jürgen Gosch. Da ist der deutschsprachige Theaterraum sehr einheitlich. Mit diesen Regisseuren werde ich weiterarbeiten.

profil: Ist die Theaterlandschaft zu monochrom geworden?
Hartmann: Ich halte das Gejammere von Intendanten und Dramaturgen, die sagen, die Häuser müssten sich voneinander stärker unterscheiden, für eine Form von subtilem Marketing. Jeder versucht, sein Profil zu schärfen, und übersieht dabei oft, worum es am Theater geht: mit einem bestimmten Publikum in einer bestimmten Stadt zu interagieren.

profil: Welchen Regisseuren trauen Sie momentan zu, der Theatergeschichte ihren Stempel aufzudrücken?
Hartmann: Es gibt drei Regisseure, die mich letzthin beeinflusst haben, und die habe ich merkwürdigerweise nicht im deutschsprachigen Raum gefunden.

profil: Damit stellen Sie dem deutschsprachigen Theater ein schlechtes Zeugnis aus.
Hartmann: Nein, es gibt viele Leute, die ich hoch schätze. Aber künstlerisch beeinflusst haben mich Simon McBurney, Jan Lauwers und Alvis Hermanis. Sie haben mir Impulse gegeben, die etwas aufgedeckt haben, wonach ich mich schon lange gesehnt habe. Ich arbeite im Grunde auch mit den Wirkungsgesetzen von Musik. Wobei mein Instrument das Theater ist.

profil: Immer öfter wird das magische Dreieck Autor-Regisseur-Schauspieler aufgebrochen. Kann ein Haus wie die Burg diese Innovationen mittragen?
Hartmann: Unbedingt. Alles, was am Theater interessant, intelligent und gut ist, ist an der Burg erlaubt. Was soll schon sein? Es erzeugt vielleicht mehr Reibung, weil die Menschen auf einer gewissen Konventionalität beharren. Aber das bedeutet nicht, dass man sich diesem Vorgang verweigern soll.

profil: Was reizt Sie überhaupt noch an einer so alten Gattung wie dem Theater?
Hartmann: Zunächst: Theater ist hochmodern. Für mich ist es ein Ort der Erkenntnis. Ich kann das Leben und die Welt nur verstehen, wenn ich im Theater bin. Die Probebühne ist ein Erkenntnisaggregat, in dem ich gemeinsam mit den Schauspielern erst lerne und verstehe, was ich tue. Alles, was ich über die Liebe und das Leben weiß, sind Dinge, die ich mir erprobt und erspielt habe.

profil: Was bedeutet das Schlagwort „Klassikerpflege“ für Sie?
Hartmann: Bei solchen Fragen zitiere ich gern Regieanweisungen von Schiller: „rennt wider die Eiche“, „heftig erblassend und errötend“. Goethe sagte einmal, wenn eine Figur auf der Bühne über sich selbst spreche, solle sie mit beiden Fingern auf den Solarplexus zeigen. Das wäre heute absurd. Die werktreue Aufführung eines Klassikers gibt es also nicht.

profil: Derzeit wird an der Burg viel Shakespeare inszeniert. Ärgert es Sie, dass der alte Meister nun wohl für Jahre abgehakt ist?
Hartmann: Ich blicke schon mit einer gewissen Sorge auf den Spielplan der Burg und denke mir: Hoffentlich bleibt noch was übrig. Shakespeare gehört ja in jedes Repertoire. Demnächst kommt auch noch der „Faust“, den ich mir ebenfalls vorgenommen hatte. Es wurde in den letzten Jahren an der Burg alles abgefackelt, was brennbar ist. Natürlich kann ich das niemandem vorwerfen. Ich kann nicht sagen: Dünnt euren Spielplan aus, damit ich mehr zu tun habe.

profil: Der neuen Dramatik wird oft der Vorwurf gemacht, sie sei zu unpolitisch. Teilen Sie diesen Vorwurf?
Hartmann: Nein, ich will ihn sofort entkräften. Meist scheitert die Debatte an einem vollkommen anachronistischen Begriff des Politischen. Theater hat nicht die Verantwortung zu wissen, wer auf der Welt gut und wer böse ist. Das ist der Politik­begriff von Claus Peymann, der genau wusste: Je mehr er auf die anderen zeigt und behauptet, sie seien die Bösen, umso besser wird er dadurch selbst. Es war Fluch und Glück dieser Generation, dass sie wuss­te, wer schuld war: die Reaktionäre, die Reichen, die Kapitalisten, die Mächtigen und die eigenen Väter, denn die waren Nazis. Peymann hat in Wien die 68er-Revolte wiederholt, an einem Ort, an dem sie nie ganz angekommen war. Das geht heute nicht mehr. Ich mache nicht Theater, um einen besseren Menschen zu stilisieren, sondern um es zu werden. Als Diskussionsforum bleibt das Theater unschlagbar.

profil: Würden Sie ein Stück über die ­Islam-Hetze der Rechtspopulisten in Auftrag geben?
Hartmann: Das könnte mir passieren. Wie etwa Steven Spielberg die Erinnerung der letzten Zeugen des Holocaust in Interviews aufzeichnet, reizt mich so sehr, dass ich dafür eine theatralische Umsetzung suche. Ich kann nicht ans Burgtheater gehen, ohne mich mit diesem Thema zu beschäftigen.

profil: Peymann nahm zu gesellschaftspolitischen Themen lautstark Stellung, auch Bachler teilte zuletzt kräftig aus. Wie werden Sie agieren?
Hartmann: In Bochum habe ich mich eingemischt, in Zürich bin ich laut. Wenn ich jetzt die Burg präge, wird das nicht die ers­te Karte sein, die ich aus dem Ärmel ziehe. Aber ich spüre, dass diese Aufgabe dem Burg-Direktor von der Bevölkerung zugedacht wird, und ich werde mich ihr stellen.

profil: Wie dringend braucht das Theater Skandale, um auf sich aufmerksam zu ­machen?
Hartmann: Schlingensief ist der Letzte, der das wirklich gut konnte. Mir erscheint das absurd. Ich muss die Menschen nicht provozieren oder wachrütteln, denn sie sind wach genug. Ich muss ihr Vertrauen erobern, damit sie sich auf das einlassen, was wir am Theater zeigen.

profil: Wird sich das Schauspieler-Ensemble der Burg durch Ihren Amtsantritt stark verändern?
Hartmann: Meist ist es so: Wenn man ein Theater übernimmt, stellen die Leute, die man mitbringt, ein Drittel des Ensembles dar. Das zweite Drittel wird von anderen Theatern dazuengagiert, das dritte Drittel ist schon da. Am Burgtheater wird das etwas anders sein. Viele Schauspieler haben mir bereits signalisiert, dass sie mit mir weiterarbeiten und in Wien bleiben wollen. Das freut mich sehr.

profil: Werden Sie Klaus Maria Brandauer für Premieren engagieren?
Hartmann: Ich halte Brandauer wie auch Gert Voss für absolut grandiose Schauspieler.

profil: Werden Sie einige von Bachlers Produktionen in Ihren Spielplan über­nehmen?
Hartmann: Ich habe zumindest keine Scheu davor. „Arsen und Spitzenhäubchen“ kann ruhig noch länger laufen.

profil: Das Burgtheater gilt als „deutschsprachiges Nationaltheater“. Wozu verpflichtet Sie dieses Prädikat?
Hartmann: Wenn überhaupt, dann ist die Burg ein europäisches Nationaltheater, das an der Grenze zu Osteuropa liegt. Vor allem die geografische Lage gibt mir etwas vor. Wien war immer ein Schmelztiegel. Das Burgtheater muss das widerspiegeln. Regisseure und Autoren aus dem Osten werden bei mir deshalb zu sehen sein.

profil: Haben Sie Angst vor dem beliebten Wiener Spiel „Direktorenschießen“?
Hartmann: Das kenne ich eher aus Zürich. Ich bin nicht gerade konfliktscheu, und wenn es sein muss, schieße ich zurück. Aber in dieser Schießerei liegt auch ein gewisses Liebesbekenntnis. Man nimmt sich gegenseitig ernst. Die österreichische Politik hat den Ruf, intrigant zu sein. Ich habe aber festgestellt, dass die Politiker in der Bemühung, diesen schlechten Ruf abzuarbeiten, weit besser sind, als man annimmt – während ich hier in der angeblich offenen, ehrlichen Schweiz, wo der Handschlag etwas gilt und man einander in die Augen blickt, ständig behandelt werde wie in einer Bananenrepublik. Das ist der ­totale Intrigantenwahnsinn hier, das Schlimms­te, was man sich nur vorstellen kann. Dauernd Versprechungen, die nicht gehalten werden.

profil: Unter Ihrer Intendanz wurde im Jänner 2006 erstmals in der Geschichte des Schauspielhauses Zürich gestreikt.
Hartmann: Das hat Narben geschaffen, die ich mein Leben lang nicht mehr weg­kriegen werde. Das kam einer Schändung gleich. Man war am Haus der Meinung, dass – bevor ich hier ankam – Versäumnisse entstanden seien, die man hätte wieder gutmachen müssen. In Wahrheit verdienen die technischen Mitarbeiter des Zürcher Schauspielhauses mehr als ihre Kollegen auf der ganzen Welt. Das Geld, das sie sich erstreikt haben, fehlt nun in der Kunst. Das ist eine Katastrophe. Mir fehlen real 875.000 Euro. Die Politik hat das nicht ausgeglichen.

profil: Drohen am Burgtheater ähnliche Probleme, oder reicht die jüngste Subventionserhöhung in Höhe von rund zwei Millionen Euro aus?
Hartmann: Es geht mir darum, dass die Inflation vom Subventionsgeber jährlich aufgefangen wird. Das ist logisch, und ich ­habe die Inflationsabgeltung sowohl in ­Bochum als auch in Zürich immer ohne ein Wimpernzucken bekommen.

profil: … was dem Burgtheater in den vergangenen zehn Jahren aber verweigert wurde.
Hartmann: Darüber muss man reden. Ich habe verständnisvolle Politiker in Wien, die sich diesem Thema nicht verschließen können.

profil: Was wollen Sie am Burgtheater erreicht haben, wenn Sie es einmal verlassen werden?
Hartmann: Dass ich in Zürich nicht erreicht habe, was ich mir als Ziel gesteckt hatte, macht mich ein wenig bitter. Zwar wird das künstlerische Resultat inzwischen einmütig geschätzt, und wir haben einen Besucherrekord erzielt. Aber die soziale Relevanz eines Theaters ist in einer so zwinglianischen Gesellschaft wie jener in Zürich schwer zu installieren. Das wird für Wien mein Ziel sein. Dort ist die gesellschaftliche Relevanz von Theater zwar per se gegeben, aber mein Instinkt sagt mir, dass sie auch in Wien gefährdet ist. Diese Brisanz von Theater zu bewahren und vielleicht sogar noch anzuspitzen ist die größte Aufgabe, die ich habe.

Interview: Peter Schneeberger