Bush mit Gottes Hilfe

Bush mit Gottes Hilfe

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Also doch wieder Bush – und das auch noch deutlich. Für Europäer im Allgemeinen und Österreicher im Besonderen ist das ein Rätsel (obwohl Hitler hier einmal Wahlen gewonnen hat): Wie konnte ein Mann, der Mühe hat, einen längeren Satz zu sagen, der den Irak-Krieg herbeigelogen und noch immer nicht gewonnen hat und der die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, zum zweiten Mal einen starken Gegner besiegen?

Die Antwort ist eine, die er ohne jede Ironie von sich aus gäbe: mit Gottes Hilfe.
Die USA kann nur verstehen, wer die Rolle der Religion in diesem Land genügend hoch veranschlagt: Diese Gesellschaft wurde von Familien begründet, deren religiöse Überzeugungen so fundamental waren, dass sie lieber in die Fremde flohen, als sie aufzugeben.

Und so lange das auch her ist – es lebt ungebrochen fort. Denn anders als in Europa ist der über den Ozean gerettete Glaube nicht zusammen mit verhassten Herrscherhäusern in Misskredit geraten; anders als in Europa ist er nicht durch Marxismus und Sozialismus infrage gestellt oder ersetzt worden; und anders als in Deutschland und Österreich hat ihn nicht auch noch der Nationalsozialismus zersetzt. Die Mehrheit der Amerikaner ist bis heute altmodisch „fromm“.

Woher kommt dann die ungeheure Liberalität der USA, die sie zum Vorbild für Europa machte? Von der zweiten großen Gruppe von Ur-Einwanderern – jenen, die dem religiösen Druck, den Europas Herrscherhäuser ausübten, insgesamt entfliehen wollten und sich der Aufklärung verpflichtet fühlten. Ihnen danken die USA ihre freisinnige Verfassung mit ihrer für die damalige Zeit einzigartigen Trennung von Kirche und Staat.

Alle Paradoxa der USA lassen sich durch diesen, hier unendlich vereinfacht dargestellten Gegensatz erklären: Dass in New York die ersten Swinger-Clubs aufmachen durften, während anständige Frauen in Alabama nicht alleine in ein Restaurant gehen konnten; dass Schwule auf offene Verachtung stießen und das Verbot ihrer Diskriminierung dennoch von den USA seinen Ausgang nahm; dass Clintons Lewinsky-Spiele in einem Land, das den „Hustler“ erfunden hat, zur Staatsaffäre werden konnten.

Die religiöse Motivation der USA ist der häufigste Grund politischer Fehlentscheidungen: Indem ein Präsident die Kategorien „Gut“ und „Böse“ simplifizierend über alles – Menschen, Staaten, Gesellschaftssysteme – stülpt, macht er differenzierte Reaktionen beinahe unmöglich. Aber die religiöse Durchdringung vermittelt auch (Widerstands-)Kraft: Wo in Österreich oder Deutschland der Nationalsozialismus das von der Religion hinterlassene Vakuum füllte, zogen die USA, ohne selbst gefährdet zu sein, gegen „das Böse“ in den Krieg. Wo Europa seine Kompromisse mit dem Kommunismus schloss, rangen die USA ihn nieder.

Die Causa Irak ist für sie so vergleichsweise einfach, weil Saddam Hussein unzweifelhaft ein „Böser“ gewesen ist – dass deshalb noch nicht jeder Krieg gegen ihn ein „guter“ sein muss, hat im einfachen religiösen Schema keinen Platz.
Saddam ist böse, also ist Bush gut, also wird er siegen, denn das Gute siegt immer.
Wie sollte er da die Wahl verlieren?

Zwangsläufig liegt das riesige religiöse Amerika immer wieder mit dem viel kleineren liberalen Amerika im Clinch. Durch Jahrzehnte haben die Liberalen letztlich an Boden gewonnen. Warum hat die neokonservative, religiöse Strömung sie jetzt derart überrollt, dass für die Mehrheit der Wähler Bushs Bekenntnis zu den „traditional values“ entscheidend dafür war, ihm die Stimme zu geben?
Weil die Sehnsucht nach traditionellen Werten dann am größten ist, wenn sie am heftigsten vom Zerfall bedroht sind.

Natürlich ist der Wert der „Ehrlichkeit“ wie nie zuvor in Börsenskandalen zerbröselt. Natürlich reicht „Fleiߓ auch in den USA in vielen Fällen nicht mehr zum gesicherten Unterhalt. Am meisten aber spürt – wie in Europa – die Familie den zunehmenden Verfall ihres Wertes: Auch in den USA steigt die Scheidungsrate ständig. Auch dort belasten immer mehr allein erziehende Mütter die spärlichen Sozialbudgets. Auch dort lässt sich die gigantische Zahl Rauschgiftsüchtiger schwer von der Zahl zerfallender Familien trennen.

Aber einfacher, als sich damit auseinander zu setzen, dass die Berufstätigkeit der Frau zwar ihren Freiheitsdrang, aber Gott sei Dank auch ihr Selbstbewusstsein gestärkt hat, dass sie Unterstützung durch soziale Einrichtungen braucht, damit Kinder nicht zu lange alleine sind, oder dass eine ungleich höhere Lebenserwartung die „lebenslange“ Ehe zwangsläufig zur Diskussion stellt, ist die Besinnung auf die einfachen Gebote der Religion, wie Bush sie in Texas durchgesetzt hat: Frauen heim an den Herd; keine Aufklärung mehr an den Schulen, damit die Kinder gar nicht erst auf den Geschmack kommen; Vereine, die die Enthaltsamkeit bis zur Ehe geloben; Kampagnen nicht für, sondern gegen Kondome.

Nicht dass das alles funktionierte – Texas hat eine der höchsten Scheidungsraten und die meisten unehelichen Geburten –, aber es hört sich gut an.

Gerade weil ihre Ehen so zerbrechlich geworden sind, stilisieren auch amerikanische Ehepaare die Homo-Ehe, so kalt sie sie eigentlich lassen könnte, zur Bedrohung hoch: Das erspart ihnen die Selbsterforschung.

Indem er den vorerst vergeblichen Versuch unternommen hat, die Homo-Ehe durch die Verfassung zu verbieten, hat Bush wahrscheinlich den Grundstein zu seinem Wahlerfolg gelegt.