Bushs neuer Krieg

Bushs neuer Krieg

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Bush fühlt sich wohl. Nach seinem Wahlsieg im November sieht er sich auch als Sieger des Urnenganges im Irak. Hat sich nicht seine Strategie der Demokratisierung der Welt nun am Euphrat und Tigris bestätigt? Ist nicht die Tatsache, dass die Iraker dem Terror getrotzt haben und todesmutig zu den Wahllokalen pilgerten, letztlich die Rechtfertigung für seine Entscheidung, in den Krieg am Golf zu ziehen? Macht das nicht vergessen, dass der Waffengang mit Lügen begründet wurde, nach der Einnahme Bagdads das Land in Chaos versank und die Nachkriegszeit bisher von Mord und Todschlag geprägt ist?

Da erinnert sich ein alter US-Senator beziehungsreich an den Jubel, der in Washington ausbrach, als die Südvietnamesen einmal in den späten sechziger Jahren trotz Terrordrohungen des Vietkong massiv wählen gingen. Dass sich der irakische Widerstand gegen die US-Besatzung auf der Verliererstraße befindet oder nicht, ist nach der Wahl so ungewiss wie vor ihr. Dennoch: Bush hat gepunktet. Und fühlt sich stark.

Stark genug, um einen neuen Krieg zu beginnen. Nein, nicht gegen den angeblich atombombengeilen Iran – das wird sich Washington wahrscheinlich nicht antun. Der neue Krieg soll im Land selbst geführt werden. Bush will die Freiheit nicht nur in die Welt bringen. Auch nach Hause. Geht’s nach dem Präsidenten, wird es demnächst der Tyrannei des amerikanischen Sozialstaats an den Kragen gehen.

Doch, doch, es gibt auch einen amerikanischen Sozialstaat. Schwach ist er, aber eins ist vorhanden: die Social Security. Vor siebzig Jahren als Gegenmittel gegen die damals grassierende Altersarmut eingeführt, gibt dieses staatliche Umlagesystem, in das Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils 6,2 Prozent des Lohns einzahlen, den Amerikanern die Sicherheit, nach dem Arbeitsleben nicht in Elend abzusinken. Auch das Schicksal von Witwen, Waisen und Invaliden hängt an der Social Security.

Dieser Institution hat nun Bush in seiner Rede zur Lage der Nation am vergangenen Mittwoch den Krieg erklärt. Und so wie beim Irakkrieg operiert er auch diesmal mit Angst. Er machte den Amerikanern weis, dass Saddam demnächst die Atompilze wachsen lassen werde, andere Massenvernichtungswaffen aufgehäuft habe und dass er im Bunde mit den islamistischen Attentätern des 11. September stünde. Jetzt droht Bush mit dem katastrophalen Zusammenbruch der Alterssicherung. „Das System der Social Security ist auf dem Weg in den Bankrott!“, ruft er aus.

Wir kennen ähnliche Hysterisierungen auch in unseren Breiten. Immer wieder wird auch in Europa die absolute Unfinanzierbarkeit des Sozialsystems an die Wand gemalt, um Leistungskürzungen durchzuziehen. In den USA erscheint die Schwarzmalerei aber noch unglaubhafter als hierzulande. Die Überalterungstendenz ist in dieser Einwanderungsgesellschaft ungleich weniger zugespitzt als bei uns. Und der Staat gibt für Sozialleistungen ohnehin nur einen Bruchteil dessen aus, was die europäische Wohlfahrt ihren Bürgern zukommen lässt.

So ergeben auch Berechnungen von offizieller Seite, dass die Social Security, sollte sie so bleiben wie bisher, erst 2052 in Schwierigkeiten kommen könnte. Und das bei pessimistischen Wachstumsprognosen. Der bevorstehende Bankrott des Systems ist so wahr wie die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak des Saddam Hussein.

Dennoch versucht es Bush mit seinen dramatischen Drohungen. Sein deklariertes Ziel: Zwei Drittel der bisherigen Beiträge der Arbeitnehmer zur Social Security sollen auf Fonds und Aktien umgeleitet werden. Er nennt es nicht „Privatisierung“, sondern „weise und effektive Reform“ und nicht „private“, sondern „persönliche Pensionskonten“, weil er aus Umfragen weiß, wie sehr die Amerikaner an der staatlichen Altersvorsorge hängen.

Wie auch immer formuliert, in der Substanz heißt das Bush-Projekt: Einen Großteil ihrer Pensionsbeiträge sollen die US-Bürger von nun an am Kapitalmarkt investieren. Der, wie alle wissen, äußerst volatil ist. „Man stelle sich vor, die Social Security wäre vor ein paar Jahren privatisiert worden“, ätzt ein demokratischer Senator. „Da hätte man Aktien von Firmen wie Enron gekauft, die als gutes Investment galten und deren Manager als Freunde der Regierung bekannt waren.“ Und er erwidert Bush, der die Pensionsreform auch als Zuwachs an persönlicher Freiheit verkauft: Jeder hätte zwar so die Freiheit zu entscheiden, wo er seine Beiträge investiert, „aber jemand anderer verwaltet das Geld“.

Nicht nur die demokratischen Parlamentarier sind, diesmal geschlossener als in der Frage des Irakkriegs, gegen den Bush-Vorstoß – sie haben die Pensions-Passage in der Präsidentenrede mit Buhrufen quittiert. Auch ein nicht geringer Teil der republikanischen Abgeordneten warnt vor der Privatisierung der Social Security. Weil sie das Projekt für absolut unnotwendig und obendrein für politisch schwer durchsetzbar halten. Aber vor allem auch weil sie sehen, dass das ohnehin schon horrende Budgetdefizit noch weiter wachsen würde. Zwischen ein und zwei Billionen Dollar soll innerhalb der nächsten zehn Jahre die Umstellung des Pensionssystem kosten.

Warum also beginnt Bush diesen politisch riskanten und ökonomisch gefährlichen Krieg gegen die Social Security? Robert Reich, der ehemalige Arbeitsminister unter Clinton, weiß, warum: So wie die drastischen Steuersenkungen bisher schon hauptsächlich den Reichen und Superreichen zugute kamen, so würden die Banken und die Wallstreet Hauptprofiteure der Privatisierung des Pensionssystems sein. Bushs Krieg gegen die staatliche Social Security ist Klassenkampf von oben gegen unten.