bwin: Der große Bluff Androsch unter Druck

bwin-Affäre: Der große Bluff

In den USA mehr als 500 Millionen Euro vernichtet

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Auf einen derart turbulenten Jahresverlauf 2006 hätten wohl auch Manfred Bodner und Norbert Teufelberger keinen müden Cent gesetzt. Im März hatten die Gründer, Aktionäre und Vorstände der börsenotierten bwin International Entertainment AG noch die spektakulärste Akquisition ihrer Laufbahn zelebriert; im September wurden sie in Frankreich wegen mutmaßlicher Verletzungen nationaler Glücksspielbestimmungen vorübergehend in polizeilichen Gewahrsam genommen; im Dezember schließlich mussten sie den mit Abstand größten Verlust der an Verlusten nicht armen bwin-Geschichte gewärtigen.

Am Donnerstag vergangener Woche hat das Management die endgültigen Zahlen des abgelaufenen Wirtschaftsjahres 2006 veröffentlicht. Bei einem konsolidierten Nettoumsatz (abzüglich der ausgezahlten Gewinne) in der Höhe von 321,6 Millionen Euro brachte es bwin auf einen Jahresverlust von sagenhaften 539,6 Millionen Euro – oder in alter Währung ausgedrückt: 7,4 Milliarden Schilling.

Eine Menge roter Nullen für ein Unternehmen, das den Anlegern noch zur Jahresmitte 2006 dicke Gewinne in Aussicht gestellt hatte. „Wir hatten es im Vorjahr mit einer Art legistischem Tsunami zu tun“, räsoniert bwin-Aufsichtsratspräsident Hannes Androsch. „Das war in dieser Form keineswegs vorhersehbar“ (siehe Interview).

Fataler Deal. Der Industrielle und SPÖ-Finanzminister a. D. ist mit rund zehn Prozent derzeit größter bwin-Einzelaktionär, das Management hält zusammen etwa acht Prozent, der Rest verteilt sich auf institutionelle und private Investoren im In- und Ausland.

Diese werden im Lichte der bwin-Kursentwicklung alles andere als erquickt sein. Notierte die Aktie im Frühjahr 2006 noch bei rund 100 Euro, so sind es inzwischen nur mehr knapp 30 Euro. In zwölf Monaten hat bwin damit rein rechnerisch 2,4 Milliarden Euro an Börsewert vernichtet.

Dabei hätte ja eigentlich alles ganz anders kommen müssen. Ende 2005 hatten Bodner und Teufelberger die Öffentlichkeit erstmals über die beabsichtigte Übernahme der schwedischen Ongame e-solutions AB informiert. Im März 2006 war die Übernahme perfekt: bwin zahlte 510 Millionen Euro, wovon ein nicht unbeträchtlicher Teil über die Ausgabe junger Aktien bestritten wurde.

Ongame war zum damaligen Zeitpunkt nicht nur im Besitz einer höchst sophistizierten Online-Technologie, das Unternehmen zählte mit rund 400.000 registrierten Nutzern auch zu einem der weltweit größten Pokeranbieter im Internet. Das vermeintlich kostbarste Asset: Etwa drei Viertel aller Ongame-Zocker saßen und sitzen im Hoffnungsmarkt USA.

Einen Herrn hatte bwin dabei ganz offenkundig nicht auf der Rechnung: George W. Bush. Am 13. Oktober 2006 setzte der US-Präsident seine Unterschrift unter ein höchst umstrittenes Gesetz, welches US-Kreditkarten-Gesellschaften und -Banken mit sofortiger Wirkung die Abwicklung von Ein- und Auszahlungen für einschlägige Online-Anbieter untersagte.

Damit war das sauteuer erkaufte US-Geschäft von bwin, wie auch jenes aller anderen Mitbewerber, gleichsam über Nacht am Ende. Im bwin-Jahresabschluss 2006 musste Ongame (heute: bwin Games AB) um 515 Millionen wertberichtigt werden – bloß zehn Monate nach der Übernahme war die schwedische Beteiligung damit de facto entwertet.
Auch eine Leistung.

„Das Verbot wurde in den USA in den vergangenen sieben Jahren immer wieder diskutiert“, so bwin-Vorstand Norbert Teufelberger, „aber wir hatten bis zuletzt keine Anhaltspunkte, dass es wirklich passiert.“

Es ist aber passiert. Und es ist einigermaßen verwunderlich, dass es bwin derart kalt erwischt hat. Nach profil-Recherchen war der entsprechende Gesetzesentwurf zunächst als „Unlawful Internet Gambling Enforcement Act“ bereits im November 2005 vorgelegen. Zu einem Zeitpunkt also, da bwin die ersten Kontakte zu dem schwedischen Mitbewerber geknüpft hatte. Mitte Juli 2006, also kaum mehr als vier Monate nach der Ongame-Übernahme, passierte die Vorlage das US-Repräsentantenhaus. Vor den Senat – das zweite wesentliche Gesetzgebungsorgan – oder den US-Präsidenten als letzte Instanz gelangte das Regulativ zunächst zwar nicht.

Spätestens ab da könnte den Österreichern aber irgendwie klar gewesen sein, dass es in den Vereinigten Staaten eng werden dürfte. Dessen ungeachtet, verhieß das Management den Investoren bis in den Spätsommer 2006 hinein stattliche Gewinne. Im bwin-Halbjahresbericht etwa war noch von einem Jahresgewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen, kurz EBITDA, in der Höhe von „zumindest“ 40 Millionen Euro zu lesen. Und in einem profil-Interview Ende August sagte Teufelberger wörtlich: „Wir haben Informationen aus Washington, wonach die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Verbot kommt, unter 30 Prozent liegt. Sollte es dazu kommen, hätte das natürlich negative Auswirkungen auf unser Geschäft. Aber auch das ist ein kalkuliertes Risiko: Unsere Hauptkonkurrenten haben 70 bis 90 Prozent ihres Geschäfts in den USA. Würden die dort in den nächsten Jahren erfolgreich weiterarbeiten, könnten sie das dort erwirtschaftete Geld hier in Europa investieren. Wenn wir in den Staaten nicht aktiv sind, könnten wir nicht gegensteuern“ (profil 34/06).

Nur Tatsachen? Dass die Informationspolitik von bwin schon damals mehr von Optimismus denn von Tatsachen geleitet war, lässt der bwin-Vorstand nicht gelten. „Es war nicht vorhersehbar. Als das Verbot plötzlich da war, haben wir die Öffentlichkeit umgehend informiert.“ Im Übrigen habe man schon im Kapitalmarktprospekt zur Kapitalerhöhung 2006 ausdrücklich auf die Folgen möglicher Gesetzesänderungen in den USA hingewiesen. Tatsächlich heißt es in dem auf Englisch abgefassten Dokument unter anderem: „Änderungen in der Gesetzgebung der Schlüsselmärkte könnten unmittelbaren Einfluss auf das Geschäft, Umsätze, Erträge und die Finanzkraft der Gruppe haben.“

Risikohinweise wie diese sind in jedem Börseprospekt zu finden – sie dienen einzig und allein dem Zweck, Gesellschaften und deren Manager vor ruinösen Schadenersatzforderungen durch Investoren zu bewahren. Von einer konkreten Bedrohung des gesamten US-Geschäfts war damals naturgemäß noch keine Rede.

Die wurde tatsächlich erst im Oktober 2006 schlagend. Wenn auch über den Umweg eines Gesetzes zur Sicherung US-amerikanischer Häfen.

In dem so genannten Safe Port Act, der die USA im Wesentlichen vor Terroranschlägen vom Wasser aus schützen soll, finden sich eher unvermittelt Passagen aus dem zuvor gescheiterten Unlawful Internet Gambling Enforcement Act wieder. Diese höchst eigenwillige Verquickung von Heimatschutz und Online-Poker mag ein einschlägiges Licht auf die amerikanische Realverfassung unter George W. Bush werfen.
Den bwin-Vorstand exkulpiert das freilich nicht.

Teufelberger und Bodner müssen sich jetzt die Frage gefallen lassen, ob der Einstieg in den US-Markt – teilweise finanziert mit dem Geld gutgläubiger Investoren – und die damit verbundenen Risiken wirklich hinreichend sorgfältig geprüft wurden. Der Wiener Anlegerschützer Wilhelm Rasinger dazu: „Das bwin-Geschäft mag traditionell mit gewissen Risiken verbunden sein. Aber der konkrete Fall ist höchst aufklärungswürdig.“ Vorstand Teufelberger gesteht zumindest ein, dass die US-Aktivitäten von Ongame anders bewertet worden wären, hätte man früher von den Ambitionen der Bush-Administration gewusst. „Gekauft hätten wir dennoch.“

Die bwin-Manager müssen das Kunststück verantworten, in kurzer Zeit ein buchmäßiges Eigenkapital in der Höhe von mehr als 500 Millionen vernichtet zu haben. Aufsichtsratschef Hannes Androsch steht dennoch vorbehaltlos hinter ihnen: „Wir haben Signale aus dem US-Kongress, wonach die Regelung demnächst wieder aufgehoben werden soll. Die Abschreibung könnte so sehr bald zu einer kostbaren stillen Reserve werden.“

Wann genau das der Fall sein könnte, getraut sich Androsch nicht zu sagen. In einem rechtlich volatilen Geschäft wie Online-Wetten und Glücksspiel brauche es eben „Geduld“.

Immerhin: In der bwin-Zentrale in der Wiener Börsegasse Nummer elf richten bereits alle wieder den Blick nach vorn. So soll im ersten Quartal des laufenden Jahres ein „durchaus nicht unerfreuliches Ergebnis“ erwirtschaftet worden sein.

Von Michael Nikbakhsh