Heilige Scheine

Charity: Spendensammeln als Eigenwerbung

Wohltäter. Die Spendensaison wird auch zur Selbstinszenierung von Promis

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Ein ganz alltäglicher Adventabend in Wien, genauer: auf der Tuchlauben, dem High-Heels-Trippelweg zwischen Fabios und Louis-Vuitton-Baustelle. Ums Eck, am Graben, sammeln sich Menschentrauben um den Lions-Club-Punschstand, hier geht es ein wenig besinnlicher zu: Es gibt Kekse, Tannenzweigdekoration und Glühwein, ein Promikoch schenkt lautstark heißen Alkohol aus, dazwischen vier Kamerateams, drei Fotografen und die Societydame, die gemeinsam mit dem Promikoch ihr neues Buch präsentiert. Und weil Advent ist, thront da auch eine ­Plexiglasbox mit dem „Licht ins Dunkel“-Logo, auf deren Grund ein paar 10-Euro-Scheine liegen.

Diese Gelegenheit will ein stadtbekannter PR-Guru nicht ungenützt an sich vorüberziehen lassen: Er schnappt sich zwei Kamerateams, leitet sie zur Box um und schreitet dort zum rituellen 100-Euro-Versenken. Zur Belohnung gibt es Blitzlichtgewitter und ein ATV-Interview.

Am Ende des Abends werden auf diese Weise immerhin 2000 Euro zusammengekommen sein. Sowie genügend Promi­fotos für die Klatschspalten, ein bisschen Werbung für den Verlag und sein neues Buch, PR für die gute Sache und Beschwingtheit für alle Punschtrinker – ein Gewinn für jeden Beteiligten. Beim Helfen ist allen geholfen. Das kann man doch nicht schlecht finden, oder?

Ausblenden und freikaufen
Charity gerät vor allem dieser Tage ­immer wieder in eine Image-Schieflage, wird doch der gute Zweck „auch für Selbstinszenierungen der Veranstalter missbraucht, bei denen unterm Strich wenig übrig bleibt“, so die Benefiz-Veteranin Marika Lichter. Denn unsichtbar bleiben dabei besser häufig jene, für die die Punschcocktails, Gulasch­ausspeisungen und Kunstauktionen überhaupt veranstaltet werden. „Ich erinnere mich an eine Veranstaltung zugunsten Obdachloser auf dem Platz vor der Oper“, erzählt der langjährige „Seitenblicker“ und Journalist Dieter Chmelar, „bei der ein paar neugierige Sandler, die sich dem Geschehen interessiert näherten, von der Security regelrecht weggescheucht wurden. Das Elend, für das man spendet, soll also möglichst weggeblendet werden. Irgendwie will man sich dadurch auch freikaufen.“

Manchmal geht auch etwas voll daneben, und ein Event gerät ins richtig schiefe Scheinwerferlicht, was auch den echt ehrenamtlichen Wohltätern zum unverschuldeten Imageschaden gereicht. So wie am 8. November im Parkhotel Schönbrunn. Der 8. November hätte ein glanzvoller Abend werden sollen. Es hätten Spenden gesammelt werden sollen für notleidende Tiere. Es hätte ein gesellschaftliches Großereignis werden sollen, mit prominenten Gästen und Hundeballett, ein echtes Charity-Event eben. Wurde es aber nicht.

Seither streiten die Schirmherrin des ersten Wiener Tierballs, Fiona Paci­fico Griffini-Grasser, und dessen Organi­satorin Brigitte Martzak nur noch via Klatschspalten miteinander. Vielleicht 5000 Euro seien unterm Strich übriggeblieben, rechnet Martzak vor. Kann nicht sein, sagt Grasser, allein sie selber habe Spenden im Wert von 70.000 Euro aufgetrieben. Womit die Schirmherrin möglicherweise nicht gerechnet hat: Charity-Veranstaltungen kosten Geld, und manchmal tun das Charity-Veranstalterinnen auch. Zum Teil sogar mehr, als in der Spendenbox landet. „Es ist nicht unüblich, dass von den Einnahmen nur knapp zehn Prozent übrig bleiben“, erläutert der ­Wiener Spenden-Experte Florian Bittner. „Trotzdem hält das Argument: Besser als nichts.“

So kann man es auch sehen. „Frau Grasser hat ihre Spendenzusage uns gegenüber eingehalten: Wir bekommen Tierfutter im Wert von 5000 Euro. Insofern war der Tierball ein Plusgeschäft für uns. Was nicht für jede Veranstaltung zutrifft.“

Madeleine Petrovic, Grünen-Politikerin und Präsidentin des Wiener Tierschutzvereins – einer der geplanten Spendenempfänger des Tierballs – ist zwar nicht besonders glücklich über die öffentlichen Nachwehen der Gala, aber Realistin: „Wir hatten aber schon Events, die gerade noch plus/minus null ausgegangen sind und trotzdem ein Erfolg waren, weil sie als PR- und Werbemittel funktioniert haben.“

Charity als Gratwanderung
Bleibt die Frage, für wen geworben wird. Wenn große Scheine öffentlich in durchsichtige Boxen gesteckt werden, bleiben Not und Elend tendenziell eher Nebenthema. Caritas-Mitarbeiter treten selten zum „Seitenblicke“-Interview an. „Charities, bei denen das Champagnertrinken im Vordergrund steht, widerstreben uns“, erklärt der Sprecher der Caritas Wien, Klaus Schwertner „Aber auch abseits solcher Extremfälle ist jede Charity, mit der wir kooperieren, eine Gratwanderung, ein Abwägen zwischen der Eigenwerbung für die Veranstalter und der Hilfe für Menschen in Not. Es spricht überhaupt nichts dagegen, Gutes zu tun und darüber zu reden. Aber man sollte eben schon auch wirklich Gutes tun.“

Es gilt die Faustregel: Mit dem „Licht ins Dunkel“-Logo auf der Einladungskarte ist noch niemandem geholfen. Außer dem Einladenden vielleicht, weshalb sich die „Licht ins Dunkel“-Geschäftsführerin Christine Tschürtz-Kny dieser Tage vor Anfragen kaum retten kann: „Wir schreiben Leuten, die ein Event zugunsten von „Licht ins Dunkel“ veranstalten wollen, nichts vor, aber wir schauen uns die Verhältnismäßigkeit schon sehr genau an. Wenn jemand zu uns kommt, weil er seine Weihnachts-CD mit einem „Licht ins Dunkel“-Pickerl bekleben will und uns für jede verkaufte CD einen Euro verspricht, kommt es schon sehr darauf an, wie viele CDs er zu verkaufen gedenkt. Wenn sich das im dreistelligen Bereich bewegt, muss ich ihm absagen.“

Konzept keine Gage
Wer ein Urteil über die Charity-Branche hören will, spricht am besten mit einer fronterfahrenen Pionierin der Wohlfahrt. Die Sängerin und Künstleragentur-Chefin Marika Lichter organisiert seit 23 Jahren die Gala „Wider die Gewalt“ und sammelte dort auch heuer stolze 60.000 Euro ein.
Zum Charity-Getriebe fällt ihr nicht nur Gutes ein: „Es ist auch sehr inflationär geworden. Man macht mittlerweile ja aus allem eine Charity. Manchmal wird mir richtiggehend schlecht, nämlich wenn ich mich fragen muss, wo all das Geld hinfließt. Wenn jemand in der Hofburg Karten für mehrere hundert Euro verkauft und am Ende bleiben ein paar tausend Euro über, dann ist das natürlich dreist. Klar hat man Ausgaben, aber es ist ein Unterschied, ob ich goldgeprägte Einladungen mit Reliefdruck verschicke oder ob ich eine E-Mail-Aussendung mache und auf Bewirtungsspesen verzichte.“

Wenn Charity etwas bringen soll, meint Lichter, die gänzlich ehrenamtlich arbei­tet, dann muss eben knallhart kalkuliert werden. In jedem Fall bekommt bei Lichter kein Künstler einen Cent für seinen Auftritt: „Wenn ich einmal damit anfinge, wäre das ganze Konzept obsolet.“

Üblich ist das übrigens nicht. Als sich die Tänzerin Yvonne Rueff für ihre „Dancer for Cancer“-Gala in der Hofburg um internationale Prominenz bemühte, war sie angesichts der Gagenvorstellungen mancher Stars doch etwas verblüfft. Ex-Gattin Barbara Becker hätte gern 25.000 Euro für ihre bloße Anwesenheit gehabt, Flug und Hotel nicht inbegriffen. Nina Hagen hätte es ein bisschen billiger gegeben: Die Punk- und Esoterik-Spezialistin wäre für 15.000 Euro dabei gewesen. „In Deutschland gibt es längst professionalisierte Headhunter, die Prominente für Charities vermitteln und dafür natürlich auch Honorare kassieren“, berichtet der Spenden-Forscher Florian Bittner: „In Österreich ist das meines Wissens nach noch nicht der Fall, aber es gibt zweifellos eine Tendenz in diese Richtung.“

Charity: Job des Prominenten
Auch die ansonsten so engagierte Schauspielerin und Autorin Chris Lohner, die sich vor allem für den Verein „Licht für die Welt“ einsetzt, ließ sich für die Moderation einer Charity-Auktion zugunsten des Anti-Missbrauch-Vereins „Happy Kids” eine Gage von 800 Euro bezahlen, wie die Mit­organisatorin Esther Attar-Machanek beklagte: „Ich hingegen habe ein halbes Jahr wie verrückt ehrenamtlich gearbeitet und für meine Ausgaben eine minimale Aufwandsentschädigung bekommen.“

Chris Lohner bestätigt gegenüber profil den Erhalt dieser Gage: „Ich habe das jedoch nicht verlangt und hätte es auch gratis gemacht. Wenn eine Sache für mich Sinn macht, arbeite ich auch gratis.“

Der Künstleragent Herbert Fechter kann darin wiederum überhaupt nichts Verwerfliches entdecken: „Die meisten dieser so genannten Charity-Events sind doch in Wahrheit Werbeveranstaltungen für ein Produkt oder ein Unternehmen, ausgerichtet von PR-Agenturen, die übrigens auch nicht gratis arbeiten. Ich ärgere mich wirklich, wenn ich Leuten erklären muss, dass es für Prominente sehr wohl ein Job ist, auf dieses oder jenes Event zu gehen.“

Charities kaum Anteil an Spendenvolumen
Promis wie die Ex-Miss und Ärztin Christine Reiler oder die Ballerina Karina Sarkissova kassieren generell für ihr Erscheinen zwischen 1500 und 3000 Euro, bei Kalibern wie Niki Lauda und Hermann Maier müssen da schon fünfstellige Beträge berappt werden. Diese Summen gelten jedoch nicht für Benefizveranstaltungen.

Wurde ein Künstler von einem Veranstalter schon mehrfach gebucht, wäre ein kostenloser Benefizauftritt als Gefälligkeit denkbar. „Aber es wird einfach zu viel,“ so Fechter, „meine Agentur bekommt wöchentlich zehn Charity-Anfragen.“

Das kann einem schon schwer zusetzen. Der Kabarettist Alf Poier klagt das Leid des benefizgeplagten Künstlers: „Wenn ich in der Früh den Computer aufdrehe, ist die Mailbox schon voll mit Anfragen. Dort soll ich Punsch ausschenken, da ohne Gage spielen. Manchmal denke ich mir, dass ich bald selber eine Charity brauche, damit ich mir einen Nervenarzt leisten kann.“ Wie eifrig unter dem Deckmantel der Wohltätigkeit um günstige Tarife gefeilscht wird, kann auch die Catering- und Eventagenturbetreiberin Hannah Neunteufel bestätigen: „Ich warne auch jeden Veranstalter im Vorhinein: Man muss sich bewusst sein, dass mit Charity-Veranstaltungen kein Geld gemacht werden kann. Und wenn du Promis dabei haben willst, wirst du schnell merken, dass die nicht nur nicht spenden, sondern sich auch noch gratis betrinken wollen. Mit Charity Geld für den wohltätigen Zweck verdienen zu wollen ist, es tut mir leid, völliger Blödsinn. Die großen NGOs wissen das natürlich. Deren Veranstaltungen haben auch einen ganz anderen Fokus. Da geht es in erster Linie um Öffentlichkeitsarbeit.“

Zu diesem Befund kommt auch Günther Lutschinger, Geschäftsführer des Fundraising Verbands Austria, der für seinen Spendenbericht jährlich die Einnahmen der zweihundert größten NGOs des Landes analysiert: „Von den rund 460 Millionen Euro, die in Österreich pro Jahr ­gespendet werden, kommen keine namhaften Beträge aus dem Charity-Bereich. Dieses Gebiet ist medial deutlich überrepräsentiert. Charity gehört nicht zu den klassischen Gebieten der Spendenwerbung, weshalb es in diesem Bereich im Unterschied zu anderen Fundraising-Formen auch keine verbindlichen Richtlinien und Qualitätskriterien gibt. Manchmal erfährt man ja nicht einmal, welcher Erlös am Ende herausgekommen ist.“ Kleines Detail am Rande: Der Spendenbericht relativiert auch die gern behauptete Spendenweltmeisterschaft der Österreicher. Zwar geben fast drei Viertel der Österreicher Geld für wohltätige Zwecke, im Durchschnitt aber – mangels Großspendern – trotzdem eher wenig: Die hochgerechnete Spende pro Einwohner kommt in Österreich auf 54 Euro. In Deutschland liegt der Wert bei 67 Euro, in der Schweiz bei 121 Euro. „Österreich ist ein Land der Kleinspender“, sagt Lutschinger.

Wenn kein Kamerateam in Sicht ist, sinkt die Einwurfbereitschaft selbst vor der glamourösesten Spendenbox. Deswegen setzte Sonja Klima, die als Präsidentin der McDonald’s-Kinderhilfe auch ein Gehalt bezieht, Anfang November bei ihrer „Märchengala“ nicht auf die übliche Charity-Punsch-Besetzung, sondern auf zahlungskräftiges Personal aus dem Wirtschaftsleben. Auf diese Weise erlöste sie 505.000 Euro.
Oder man wird zur Ein-Frau-Sammelmaschine wie Jeannine Schiller, die zwei Kinderheime in Moldawien und die Kinder krebskranker Eltern unter den offiziellen Bannern des Hilfswerks Austria und der Krebshilfe unter ihren Fittichen hat: „Ich bin unermüdlich beim Betteln. Meinem Mann ist das schon oft peinlich, denn bei den Abendveranstaltungen schnorre ich immer. So stelle ich jedes Jahr im Schnitt 160.000 Euro auf. Aber es ist heuer schon schwieriger und auch weniger als sonst gewesen. Ich sehe zwar nicht wie Mutter Teresa aus, bin aber eine. Heutzutage muss man als Mutter Teresa gut frisiert und gekleidet sein.“

Schiller ist übrigens bei ihrer Sammelleidenschaft auf die Wohltätigkeit ihres Mannes angewiesen: „Der finanziert sämtliche Kosten, die bei der Organisation anfallen. Ich nehme den Begriff ehrenamtlich sehr ernst – im Gegensatz zu einigen anderen. Das sind dann halt durchaus ehrbare und verdiente Managerinnen, aber wirklich keine Wohltäterinnen.