China: Drachenstei-gen im Weltraum

China: Drachensteigen

Eine Großmacht, die auf eigene Forschung setzt

Drucken

Schriftgröße

Montag der Vorwoche, 4.32 Uhr Ortszeit. Die Raumkapsel Shenzou VI („Göttliches Raumschiff“) setzt, an einem überdimensionierten Fallschirm vom Himmel schwebend, auf dem kargen Steppenboden der Inneren Mongolei auf. Ein Bergungsteam der chinesischen Armee baut rasch ein kleines Gerüst auf, um die beiden Taikonauten Fei Junlong und Nie Haisheng aus dem engen Raumschiff vor die wartenden Fernsehkameras zu holen. Es gibt Blumen, Tee, Schokolade und die in China besonders geschätzten Fertignudeln zur Begrüßung.

Die beiden chinesischen Raumfahrer waren am Mittwoch zuvor vom Raumfahrtzentrum Jiuquan in der Wüste Gobi gestartet und hatten dann im All fünf Tage lang den Erdball umkreist. Jetzt gingen die Bilder von ihrer Landung um die Welt. Und mit ihnen der Stolz einer ganzen Nation: Seht her, wir sind nun, nach den USA und Russland, endgültig der dritte Player in der bemannten Raumfahrt. Für manchen westlichen Beobachter mag der chinesische Erfolg nach mehr als 40 Jahren bemannter Weltraumabenteuer samt Mondlandung mehr als bescheiden sein. Für Experten ist er es ganz und gar nicht.

„Die Chinesen sind heute in allen Bereichen der Technologie ernst zu nehmende Partner, nicht nur bei der Raumfahrt“, urteilte Jörg Feustel-Büechl, für bemannte Raumfahrt zuständiger Direktor bei der europäischen Weltraumagentur ESA, gegenüber dem Deutschlandradio. „Wenn Sie mal sehen, was vor zehn Jahren war: Da hat man 500 Milliarden Euro pro Jahr weltweit ausgegeben für Forschung und Entwicklung. Die Chinesen waren gar nicht da. Heute gibt man 800 Milliarden aus, und die chinesischen Beiträge sind fast zehn Prozent.“

Zwischen 1995 und dem Jahr 2000 haben sich die Forschungsausgaben Chinas mehr als verdoppelt, bis zum Jahr 2010 sollen sie sich nochmals verdoppeln – auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der asiatische Drache hat es offenbar furchtbar eilig, in allen Bereichen den Anschluss an die westliche Hochtechnologie zu schaffen. Noch in diesem Jahr wird der Staatsrat ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm mit einer Laufzeit von 15 Jahren verkünden, mit dem die Chinesen endgültig zur westlichen Hochtechnologie aufrücken wollen. „Wir stehen vor einer strategischen Wende“, erklärt Yuan Shuguang, Wissenschaftsrat an der chinesischen Botschaft in Wien. „Den bisherigen Wirtschaftsaufschwung haben wir mit ausländischer Technologie geschafft. Jetzt wollen wir uns in Forschung und Entwicklung mehr und mehr auf eigene Beine stellen“ (siehe auch Interview auf Seite 123).

Heimkehrer. Hilfreich ist dabei unter anderem, dass viele jener chinesischen Wissenschafter, die einst als Studenten oder Professoren das Land verlassen hatten und vor allem in die USA abgewandert waren, langsam wieder nach China zurückkehren. Denn anders als das Sowjetreich, das gegenüber dem Westen eine strikte Abschottungspolitik verfolgt hatte, ließen die Chinesen den Brain Drain geschehen, vielleicht aus weiser Voraussicht: Voll gepackt mit westlichem Technologiewissen und Know-how über die westliche Forschungspraxis, kehren die Forscher nun in die chinesische Heimat zurück, die sich in der Zwischenzeit grundlegend verändert hat.

Alfred Pitterle, Professor an der Wiener Universität für Bodenkultur, der in China seit 20 Jahren Aufforstungsprogramme betreut, hat diesen chinesischen Weg aus oft erbärmlichen Anfängen mitverfolgt: „Ich habe Zeiten erlebt, da sind die Leute in den Labors und Büros im Winter ohne Fenster in sieben Unterhosen mit Schals gesessen. Heute haben sie die modernsten Computer und eine bessere Ausrüstung als wir am Institut für Waldbau an der Wiener Universität für Bodenkultur.“

Dynamik. In der Zwischenzeit hat die unter dem Reformer Deng Xiaoping begonnene Öffnung zu einem Wirtschaftsaufschwung und zu einer Dynamik geführt, von der westliche Länder nur träumen können. Seit 25 Jahren wächst die chinesische Wirtschaft ohne Unterbrechung mit durchschnittlichen Wachstumsraten von neun Prozent. Trotz negativer Prophezeiungen einiger Skeptiker geht der Aufwärtstrend unaufhörlich weiter. Zentraler Motor dieser Entwicklung ist nicht nur die massenhafte Produktion von Sportartikeln und Textilien, sondern auch von Handys, Haushaltsgeräten und Computern – mit westlichem Know-how und chinesischen Niedriglohnarbeitern hergestellt für den Export in den Westen.

Jetzt sitzen die Chinesen auf riesigen Devisenreserven und versuchen, westliche Firmen und damit auch westliches Know-how aufzukaufen. Nachdem sie vor knapp einem Jahr mit der Computersparte von IBM ein Nationalheiligtum der US-Wirtschaft erobert hatten und sich im heurigen Jahr auch noch anschickten, mit dem Petrounternehmen Unocal einen der größten Energiekonzerne der USA einzuheimsen, war bei den Amerikanern Feuer am Dach: Republikaner wie Demokraten stimmten im Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit gegen den Verkauf von Unocal – aus Angst, China könnte neben der Computerbranche auch noch den Energiemarkt kontrollieren. Unter politischem Druck zogen die Chinesen ihr Übernahmeangebot zurück.

Weniger laut und abseits der öffentlichen Wahrnehmung vollzieht sich seit 20 Jahren ein Prozess des Technologieaustausches und der Forschungskooperation zwischen China und vielen westlichen Ländern, der nun zunehmend an Fahrt gewinnt. In Singapur, Moskau sowie am Sitz der Universitäten von Maryland, USA, und Cambridge, Großbritannien, haben die Chinesen kleine Technologieparks als Schaltstellen für wissenschaftliche Austauschprogramme eingerichtet. Den bisher größten Technologiepark planen sie nun am Standort Wien. Zu diesem Zweck wurden vor sechs Wochen in Wien eine Grundsatzvereinbarung zwischen China, Österreich und der Stadt Wien getroffen und die Einrichtung von Projektbüros in Wien und in Peking beschlossen. Mit einer Anfangsinvestition von 70 bis 75 Millionen Euro wollen die Chinesen in Wien einen Büroturm errichten und dort chinesische Firmen ansiedeln, die mit österreichischen Firmen Technologiekooperationen eingehen sollen.

Zur Auswahl standen auch Standorte wie Budapest, München, Turin, Mailand oder Helsinki, die Chinesen aber entschieden sich für Wien, „weil wir hier eine Plattform für West- und Osteuropa errichten wollen“, erklärt Botschaftsrat Yuan. Es geht um Wissens- und Forschungszentren, um Andockstellen für die Industrie, um Serviceeinrichtungen für chinesische Firmen, um Consulting und um Marktbeobachtung. „Die Chinesen müssen zuerst die Märkte verstehen lernen“, sagt Ingolf Schädler, für Innovation zuständiger Sektionsleiter im Verkehrsministerium. „Das ist ein schmerzhafter Prozess.“

China-Kontakte. Der Technologiepark in Wien ist die Krönung einer seit 20 Jahren laufenden engen Forschungskooperation zwischen Österreich und China. Brigitte Winklehner, Professorin für italienische und französische Literatur an der Universität Salzburg, die seit 15 Jahren auch die Auslandsbeziehungen der Universität und seit zehn Jahren auch die China-Kontakte betreut, überblickt „ein Netzwerk von über 70 Partnerorganisationen österreichischer Unis und Fachhochschulen sowie 40 Partnerorganisationen in China“. 1999 hatte Winklehner an der Uni Salzburg ein Institut für interdisziplinäre Chinastudien gegründet. Dort wurde erst kürzlich ein gemeinsam von Wissenschafts- und Gesundheitsministerium sowie der chinesischen Akademie der Wissenschaften und mehreren chinesischen Medizinfakultäten veranstalteter Expertenworkshop zur Qualitätssicherung in der traditionellen chinesischen Medizin abgehalten.

Umgekehrt gibt es an mehreren chinesischen Universitäten österreichisch-chinesische Einrichtungen wie das gemeinsam von der Universität Innsbruck und der Peking University Medical School betreute Zentrum für Biomarker Discovery oder das erst vor Monatsfrist von Bildungsministerin Elisabeth Gehrer an der Fudan-Universität in Schanghai eröffnete Austria Center, dessen unmittellbare Nachbarn ähnliche Zentren der amerikanischen Eliteuniversitäten Yale und Harvard sind.

Urbanisierung. Im November wird es an der Tongji-Universität in Schanghai einen eigenen, von Experten der TU Wien und Graz, der Montanuniversität Leoben sowie der Wiener Universität für Bodenkultur bestrittenen Workshop über österreichische Tunnelbautechnik geben. Geplant ist auch ein Seminar über Urbanisierung und Stadtentwicklung, ein brennendes Thema in einem Land, das sich in einem rasanten Wandel von einer Agrar- zur modernen Technologie-Gesellschaft befindet. „Die Chinesen sind sehr geschickt“, sagt der auch in China tätige Biologe, Bauingenieur und Systemanalytiker des Wiener Forschungsunternehmens ARC Systems Research, Markus Knoflacher. „Sie schauen sich die Dinge an und holen sich das heraus, was für sie günstig ist.“

Die in China tätigen österreichischen Forscher kennen freilich auch die zahlreichen Schwachstellen im chinesischen Forschungsbetrieb: dass sich viele chinesische Wissenschafter nur schwer auf die im internationalen Forschungsbetrieb gepflogene Teamarbeit einstellen können, dass sie oft Daten zusagen, aber keine liefern und dass sich in ihren Reihen auch schon jede Menge Geschäftemacher breit machen. Es wird China nicht hindern, „in den nächsten Jahrzehnten zur führenden Wissenschaftsmacht aufzusteigen“, glaubt Waldbauexperte Pitterle, „denn Forschung wird dort so gezielt und in einem solchen Ausmaß gefördert, dass wir davon nur träumen können“.

Phillip Campbell, Chefredakteur des angesehenen Wissenschaftsmagazins „Nature“, urteilt im Gespräch mit profil etwas distanzierter, ohne dabei Chinas Forschungsanstrengungen zu schmälern: „Chinas Investitionen in die Wissenschaft waren höchst beeindruckend und systematisch. Die Chinesen sind dabei allerdings in hohem Maß auf Heimkehrer aus den USA angewiesen. Ihre Präsenz in den führenden Wissenschaftsjournalen wächst. Aber sie sind noch weit davon entfernt, eine dominierende Position in den Wissenschaften einzunehmen.“

Die Chinesen sind sich ihrer Rolle als älteste Kulturnation der Welt wieder zunehmend bewusst. Im Jahr 2007 wollen sie wieder eine Raumkapsel ins All befördern, diesmal mit drei Taikonauten, die möglicherweise auch einen Weltraumspaziergang wagen. Schon jetzt verkünden chinesische Strategen vollmundig den Bau einer eigenen Raumstation bis zum Jahr 2020. Die Amerikaner, die den Chinesen die Teilnahme an der Internationalen Raumstation verwehrt hatten, fürchten, die Chinesen könnten den Weltraum auch für neue Waffensysteme nutzen. Und mit besonderem Argwohn betrachten sie den von China verkündeten Plan, irgendwann auch die chinesische Fahne in den Mondboden zu stecken.

Von Robert Buchacher