Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Alles neu macht der Fay

Alles neu macht der Fay

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Die Zensuren der Medien für den Koalitionspakt sind schlecht. Kommentatoren wie Michael Fleischhacker teilen in mindestens fünf Himmelsrichtungen aus. Nicht lange wird es dauern, bis auch der „Presse“-Chefredakteur dem Beispiel seiner Kollegen folgt und Alfred Gusenbauer in einem an der Gegenwart gemessenen Rückblick zum Heiligen erklärt. Vermutlich noch vor Weihnachten und wie bei den anderen Zeitungen nicht zu 100 Prozent dem entsprechend, wie der Kanzler eben noch niedergeschrieben wurde. (Ich halte Gusenbauer übrigens für den am stärksten unterschätzten Politiker der jüngeren Geschichte, und es ist schade, dass er nicht à la Hillary Clinton Außenminister wurde. Wie wäre es mit EU-Kommissar, liebe Regierung?)

Die Kritik der Experten ist um nichts besser als jene der Journalisten. Das zeigt die profil-Titelseite samt zugehöriger Geschichte, wo durchaus zivilisierte Damen und Herren durchwegs unzivilisiert über den Koalitionsvertrag herfallen. Ist das alles wirklich so schlimm?

Ich denke, dass man aus mehreren Gründen Milde walten lassen darf. Erstens: Die Weltwirtschaft steckt in einer der größten Krisen seit der Industrialisierung. In der Möglichkeitsform: Der Geldkreislauf könnte zusammenbrechen, sodass wir auf das Prinzip Tauschhandel, nein – besser – Schwarzhandel, zurückgeworfen wären. Ohne Konjunktiv: Die Weltkonjunktur wird erheblichen Schaden nehmen, in Form von Wohlstands- und Beschäftigungsrückgang. Während eines derartigen Fieberschubs Detailverhandlungen bis in die letzten Winkel jedes Ministeriums zu führen, wäre grob fahrlässig gewesen. Da war eine Rekordzeit bei der Regierungsbildung wichtiger.

Zweitens: Arbeiterkammerpräsident Herbert Tumpel hat Recht, wenn er sagt, eine individuelle Festlegung auf jedes Vorhaben der nächsten fünf Jahre wäre falsch. Das stimmt schon wegen der Unwägbarkeiten der aktuellen Krise. Und das stimmt auch, weil solche Festlegungen in den vergangenen beiden Jahren bloß zu permanenten Streitereien geführt haben, nach dem Motto, die jeweils andere Partei habe sich nicht an das zuvor Niedergeschriebene gehalten. Insofern wiegt die Mahnung des neuen ÖVP-Klubobmanns Karlheinz Kopf nicht schwer, der Koalitionsvertrag müsse auf „Punkt und Beistrich abgearbeitet“ werden. Zum Glück.

Drittens: Die Ministerliste erweist sich als reputierlich. Schwachstellen: mit freiem Auge nicht erkennbar. Bis auf die neue Justizministerin sind keine Personen herangekarrt worden, die das politische Gewerbe nicht kennen. Die subtile Verlagerung eines Teils der Macht innerhalb der ÖVP weg von der Industriellenvereinigung und hin zur Wirtschaftskammer ist gut. Wer das nicht glaubt, möge die Performance der ÖIAG bewerten, die seit dem Jahr 2000 unter einer Hegemonie der Industriellenvereinigung steht. Mit dem Kabinett Gusenbauer/Molterer kann sich diese Regierung also locker messen. Und die grass-er-ierende Behauptung, in den chronisch in Umbildung befindlichen schwarz-blauen Kabinetten hätten Lichtgestalten gearbeitet, ist der wissenschaftliche Beweis dafür, dass Verklärung keine Frage der Zeit ist.

Viertens: Diese Koalition wird eine erträgliche Darbietungsform von Politik finden, was im Licht des wuchernden rechten Lagers wichtiger ist als neue Inhalte. Denn: Werner Faymann und Josef Pröll waren das einzige haltbare Bindeglied der verblichenen Regierung. Und vor allem: Mit Ursula Plassnik ist die letzte Figur eines politischen Spiels vom Feld gegangen, das Wolfgang Schüssel in den neunziger Jahren begonnen hatte. Dessen Regeln: Taktik sticht Verlässlichkeit. Machtzuwachs wiegt schwerer als politischer Anstand. Arroganz ist die vorherrschende Umgangsform. Frau Plassnik hat dieses Spiel jetzt zum letzten Mal gespielt, als sie nämlich in ihren Abschiedsinterviews die eigene Partei kritisierte.

Dass der Koalitionsvertrag eine Aneinanderreihung von „Plattitüden“ ist (Zitat Fleischhacker), wird sich also noch als gute Arbeitsgrundlage erweisen. Das Schicksal der neuen Zusammenarbeit wird aber an einem ganz anderen Ort entschieden: Wenn Werner Faymann seinen gnadenlosen Populismus nicht bloß als Wahlkampfwaffe definiert hat, sondern als Maxime des politischen Handelns, dann ist diese Regierung gefährdet und angesichts der inneren und äußeren Bedrohungslage auch Österreich.

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