Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Es lebe der Neoliberalismus!

Es lebe der Neoliberalismus!

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Jetzt also hat mit der Erste Bank erstmals eine österreichische Systembank die Milliardenhilfe des Staates in Anspruch genommen. Die Reaktionen sind absehbar. Einmal mehr werden die Theoretiker der nordkoreanischen Tauschwirtschaft beglückt aufjodeln. Menschen, die Prozent und Prozentpunkt so wenig unterscheiden können wie Anleihe und Aktie, die Kernkapital für eine Variable der Atomphysik halten und den Basispunkt für eine Konstante der Architektur, sie werden uns erklären, dass ihre Kritik an der freien Marktwirtschaft nun in Stein gemeißelt stehe.

Parteigeschäftsführerin Laura Rudas wird für ihre Hauspostille „SPÖ Aktuell“ einen weiteren Leitartikel zum Sieg der linken Lehre draufsetzen; die Journaille wird die Verfehlungen der Manager auflisten, die sie eben noch lobte; die Volkswirtschaft wird die Betriebswirtschaft zum von ihr okkupierten Territorium erklären. Endgültiger Sieg über den Neoliberalismus? Mitnichten. Im Gegenteil.

Alle jene, die aus der aktuellen Wirtschaftskrise ein Versagen des Neoliberalismus herauslesen wollen, irren an allen Fronten.
Der mildeste Irrtum ist ein semantischer. Niemals war der Neoliberalismus das, wofür er nun als Prügelknabe herhalten muss, nämlich der Inbegriff von ungezügeltem Markt jenseits aller staatlichen Ordnung. Vielmehr kennzeichnet das Wort bloß eine Ausprägung angebotsorientierter Wirtschaftspolitik, irgendwo oszillierend zwischen Laisser-faire-Liberalismus (den die Kritiker wohl im Visier haben) und Keynesianismus. So gilt Ludwig Erhard, der deutsche Kanzler der sechziger Jahre, als Beispiel des neoliberalen Politikers schlechthin, aber sein Staatssekretär Alfred Müller-Armack – und nicht, wie bisweilen irrtümlich angenommen, irgendein österreichisches Volkspartei-Weichei – prägte den Begriff „soziale Marktwirtschaft“.

Ärgerlicher freilich, weil eine arrogante Verallgemeinerung: die Tatsache, dass aus dem Versagen der Finanzmärkte en passant auf ein Versagen aller Wirtschaftszweige geschlossen wird. Die manifesten Probleme der Autoindustrie etwa und die unabwendbare Krise vieler anderer Branchen beruhen nicht auf dem Versagen des Marktes. Die Produzenten von Trabant und Lada waren mit ihren Fünfundzwanzig-Jahres-Plänen den Just-in-Time-Assembly-Lines von Saab und General Motors etwa so überlegen wie ein Heißluftballon einem Airbus 380. Der Induktionsschluss, der globalisierte Markt habe versagt, ist falsch; die Industrie gelangte lediglich in den Sog der kriseninduzierten Panik. Ebenso falsch wird daher auch die Behauptung sein, die aus der Finanzkrise resultierende Arbeitslosigkeit und die dann einmal mehr geschwächte Nachfrage seien eine Folge der Kapitalismusgläubigkeit. Was war, was ist und was noch kommt, ist ausschließlich das Resultat einer Fehlkonstruktion im Finanzgefüge.

Und exakt an diesem Punkt zeigt sich die Fehlkonstruktion des Kritikgefüges, hier wendet sich der Angriff auf den Markt zu einer Attacke gegen den Staat, auch wenn die Phalanx der Kritiker das nicht begriffen hat. Die Finanzmärkte kollabierten ja nicht deshalb, weil gierige Bankmanager das Letzte und mehr aus dem Markt ­herausholten. Vielmehr konnten gierige Bankmanager das Letzte und mehr aus dem Markt herausholen, weil die USA, aber auch die europäischen und asiatischen Staaten ihnen das erlaubten, weil sie also keine Gesetze und Verordnungen erlassen hatten, die einen geeigneten Rahmen für den Bewegungsspielraum der Finanzinstitute geschaffen hätten. Und gerade die Instandhaltung des Geldkreislaufs gilt als die zentrale Aufgabe der Wirtschaftspolitik.
Versagt haben also der amerikanische Präsident, weil er eine bestimmte ökonomische Ideologie verfolgte. Versagt hat der amerikanische Finanzminister, weil er kein passendes Regelwerk installierte. Versagt hat die amerikanische Zentralbank, weil sie die Schwachstellen des Systems nicht isolierte. Versagt hat die staatliche US-Börsenaufsicht, weil sie die Wertpapier- und Kreditgeschäfte nicht zu kontrollieren verstand. Und versagt haben eben auch die entsprechenden politischen Institutionen im Rest der Welt inklusive der EU und – wenn man so will – auch in Österreich, die vorsätzlich, fahrlässig oder weil ihnen als einzelstaatliches Gebilde die Möglichkeit fehlte, eine wichtige Managementaufgabe nicht erledigten.

Dumm ist es daher, zu glauben, die Staatswirtschaft wäre auch nur punktuell ein besseres System als der freie Markt. Das staatliche Management der Finanzmärkte war vielmehr kausal für die aktuelle Krise (und nicht anders für die Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts, als überdies auch noch die Sanierung der eigenen Fehler misslang).

Und geradezu obszön ist es, zu behaupten, Politiker seien bessere Führungskräfte als neoliberale Manager. Laura Rudas an der Spitze der Erste Bank, das wäre ein überaus charmantes, aber nicht unbedingt erfolgversprechendes Experiment im Test von linker Politik wider renditegetriebenen Kapitalismus.

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