Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Gott schuf den Kardinal

Gott schuf den Kardinal

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Christoph Schönborn ist in die Kritik geraten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Aber nicht etwa, weil die Spannungen zwischen dem Kardinal und seinem Kirchenvolk verständlich erscheinen, sondern weil sie einen prächtigen Anlass geben, über eben dieses Kirchenvolk und sein Verhältnis zu seinem Glauben und den zugehörigen Autoritäten zu räsonieren.
Verständlich erscheint die Kritik nämlich gar nicht, nicht in diesem Land und nicht für jemanden, der über eine gewisse Distanz zur katholischen Kirche verfügt, sei es, weil er ein gelassener Agnostiker oder ein streitbarer Atheist wäre, sei es, weil er den – auch in Glaubensfragen – nicht übermäßig anspruchsvollen Kunstgriff der Selbstreflexion beherrschte. Wer diesen Blick von außen wagt, kann ohne besondere Mühen den Eindruck gewinnen, dass es sich bei der anhängigen Causa Kirchenvolk versus Kirchenfürst um eine Nabelschau handelt, um die Betrachtungen einiger Involvierter, die vor Freude über ihre Courage wider die Eminenz vergessen haben, dass es sich bei diesem Nabel nicht um jenen der Welt handelt, sondern bloß um eine Einstülpung in den Falten ihrer eigenen Kirche. Was hier abläuft, ist eine innerkirchliche Angelegenheit, und wer darüber hinaus noch vermutet, dass fernab der Suche nach dem rechten Glauben ein profanes Gemisch von Macht und Eifersüchteleien brodelt, der wird auch nicht falschliegen.

Wofür der Kardinal kritisiert wird, beschreibt profil ab Seite 14 ausführlich. Bei näherer Betrachtung sind die Vorwürfe in ihrer Substanz bisweilen hanebüchen und daher nur auf eben jener Metaebene der Machtspiele einer Institution zu verstehen. So ist es etwa einigermaßen schwierig nachzuvollziehen, was an Schönborns Worten über die Evolution problematisch sein soll. Er sagt, dass Darwins Lehre „wahr sein kann“, es „auf naturwissenschaftlicher Ebene keine wirkliche alternative Theorie dazu gibt“, es „biologische Entstehungsbedingungen für die Vernunft, für das Ethos, selbst für die Religion gibt“. Ein praktisch uneingeschränktes Ja. Und würde der Kardinal dahinter nicht doch die lenkende Hand Gottes vermuten, nicht verneinen, dass „alles Zufall sein“ könne, das „Phänomen ­Religion“ als ein ungeklärtes bezeichnen, dann gehörte er als Ketzer selbst schleunigst auf den Scheiterhaufen. Für Agnostiker ist das Humbug. Aber wo soll das Problem für den braven Christen liegen, für Menschen, die der Heiligen Dreifaltigkeit einen Bedeutungsinhalt zuordnen wollen und Himmel wie Hölle für kartografierte Orte halten?

Auch die Position des Kardinals zur Empfängnisverhütung entspringt wohl nicht ausschließlich dem Diktat aus Rom. Sie entspricht zwar längst nicht mehr dem gesellschaftlichen Grundkonsens; sie ist im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Aids unverantwortlich; und Schönborns Kritik an den Bischöfen des Jahres 1968, die das päpstliche Verbot der Antibabypille relativiert hatten, war unklug. Doch was ist so indiskutabel an der Meinung, dass Verhütung das „Ja zum Leben“ der katholischen Kirche relativiere? Warum soll man nicht „einen verhinderten Eisprung mit Lebensverhinderung gleichsetzen“, so ein ätzender Leserbrief in der „Furche“, wo doch auch der laizistische Gesetzgeber bei der Abtreibung willkürlich drei Monate als lebensbegründend definiert? Für ein Kirchenvolk, das die Unbefleckte Empfängnis zur biologischen Realität erklärt, muss Schönborns Haltung erst recht akzeptabel sein. Und was ist schließlich so ungeheuerlich an Schönborns Verhältnis zur Schwulenehe? Indem er „solchen Partnerschaften zivilrechtliche Absicherung“ zubilligt, ist er progressiver als ein guter Teil der Volkspartei.

Wer Schönborns spezifische Positionen – etwa zur Evolution – dennoch nicht teilen will, muss sich überlegen, ob er überhaupt in eine Glaubensgemeinschaft passt. Wer nur den Umgang der katholischen Kirche mit Themen wie Verhütung, Zölibat oder Frauen nicht teilt, kann sich am Markt der christlichen Kirchen einer anderen bedienen. Die Diskussion bleibt somit ein innerkirchliches Gezerre auf den Ebenen von Glaubensinhalt, gesellschaftlicher Position und Machtkabale. Wer sich daran nicht beteiligen will, den braucht das alles nicht zu tangieren. Zumal neben der Bundesverfassung auch die österreichische Realverfassung einen bemerkenswert nonchalanten Zugang zum Thema Religion und deren Vorschriften gefunden hat: An die Staatsspitze zum Bundespräsidenten gewählt wurde von einem mehrheitlich katholischen Volk ein Agnostiker. Der österreichische Bundeskanzler hat entgegen den Vorstellungen der Mutter Kirche zwei Kinder aus zwei unterschiedlichen Ehen. Der von der christlichsozialen Volkspartei gestellte Vizekanzler schlug vor, schwule Verbindungen am Standesamt zu verewigen. Und der eben erst abgetretene Bundeskanzler hatte es problemlos geschafft, sein Bekenntnis zur katholischen Kirche mit einer mit einem Kind gesegneten wilden Ehe in Einklang zu bringen.

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