Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Im Zweifel für Wrabetz

Im Zweifel für Wrabetz

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Das Fernsehprogramm des ORF hat einen Marktanteil von rund 40 Prozent. Bei den Fernseh- und Radionachrichten liegt der Marktanteil wohl jenseits von 90 Prozent. Denn die privaten TV-Sender, die Österreich-Fenster der deutschen Kanäle und die Privatradios sind kein Kernland der journalistischen Information. Dieses Machtpotenzial ist der wahre Grund, warum der Generaldirektor des ORF auf der Abschussliste der politischen Führung des Landes steht. Es geht der Regierung dar­um, den Einfluss auf das elektronische Informationsmonopol der Republik zurückzuerobern. Daher sind die Überlegungen, Alexander Wrabetz abzulösen, brandgefährliche Gedanken.

Wer anderes glaubt oder anderes behauptet, hat die Mechanismen der Politik entweder noch immer nicht verstanden, oder er verfremdet die Darstellung absichtsvoll. Politik funktioniert ausnahmslos als eine Variable von Machterhaltung und Machtvergrößerung. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Der ORF hat ein gewaltiges wirtschaftliches Problem. Das ist richtig. In diesem Jahr wird der Verlust an die 100 Millionen Euro ausmachen. Sehr grob gesagt, entsteht je ein Drittel dieses Betrags aus durch die Krise reduzierten Werbeeinnahmen, aus Abwertungsverlusten wegen der taumelnden Finanzmärkte und aus der regulären, offensichtlich unzulänglichen Gebarung. Dieses Defizit ist das Argument, auf dessen Basis einige ÖVP-Granden die Ablöse von ­Wrabetz fordern und auf dessen Basis der rote Bundeskanzler den roten Generaldirektor derartig nicht verteidigt, dass dies einem frontalen Angriff gleichkommt.

Richtig ist auch, dass die Wirtschaftskrise keine Entschuldigung für den ORF ist. Verluste wären auch ohne den ökonomischen Tsunami eingetreten und wurden in vergangenen Jahren bloß durch Gebührenerhöhungen und den Verkauf von Sendeanlagen vermieden. Das Management hat nicht gespart, hat sich auf keinen Konflikt mit den Mitarbeitern eingelassen, hat nirgends Strukturen bereinigt. Würde profil so wirtschaften, dann wären wir pleite. Schließlich ist richtig, dass der ORF Zuseher verliert. Wohl nicht wegen diverser verunglückter Programmreformen, sondern wegen aggressiver Konkurrenz in digitaler Verbreitung. Wer Unterhaltung will, kann jeden deutschsprachigen Kanal anwählen (bei der lokalen Information eben nicht). Den Erosionsprozess zumindest zu stoppen, schaffte man aber nicht. Und dennoch stimmt nicht, dass die Politik Herrn Wrabetz wegen der eben geschilderten Erfolglosigkeit davonjagen will. Der Beweis dafür liegt in Überlegungen, die phasenweise bis in eine Art Beschlusslage geraten sind. Demnach hat die Regierung ausschließlich über ihr genehme Personen befunden, nicht aber über deren spezifische Eignung oder über Sanierungsmöglichkeiten. So ist der derzeitige Chefredakteur des Fernsehens, Karl Amon, ein hervorragender Journalist (und er könnte Elmar Oberhauser als Info-Direktor beerben, falls dieser geht). Doch was diese Qualifikation mit dem Job des Generaldirektors zu tun hat, ist nicht nur unbekannt, sondern vielmehr ein Beweis für die falsch geerdete Spannung um den Wrabetz-Job: nichts nämlich. Ebenso ist nicht zwingend ersichtlich, warum gerade Richard Grasl, der junge und smarte Chefredakteur des Landesstudios Niederösterreich, direkt auf den Posten des Info-Direktors wechseln und einen besseren Job als Oberhauser machen sollte.

In Wahrheit ist es der Politik eben vollkommen wurscht, ob eine geeignete oder weniger geeignete Person an den Schalthebeln der Fernseh- und Radiomacht hantiert – jedenfalls solange man „geeignet“ mit der Fähigkeit zur betriebswirtschaftlichen und journalistischen Führung des ORF definiert. Und wahr ist natürlich: Wer immer dort sitzt, Wrabetz oder Amon oder die Direktorin des Tiergartens Schönbrunn, kann zunächst nur über Einnahmen „sanieren“, über höhere Gebühren und großzügigere Werberegelungen, also mit mehr Geld aufgrund eines Gnadenakts der Regierung. Aber auch jeder, der den ORF zu einem Unternehmen ohne staatliche Nabelschnur machen wollte, könnte dies nur mithilfe von Politikern machen: etwa indem die Regierung gemeinsam mit der ORF-Führung einen Streik aussitzt – am besten im Zuge eines Komplettumbaus mit weiterhin zwei Programmen, aber nicht weiterhin so vielen Mitarbeitern.

Was der Politik hingegen nicht wurscht ist: ob sie einen Zugriff auf die handelnden Personen hat. Besser gesagt: ob sie glaubt, diesen Zugriff zu haben. In den vergangenen beiden Jahren hatte die Politik so wenig davon wie vermutlich noch nie zuvor in der Geschichte des Österreichischen Rundfunks. Mit einem neuen Management hofft sie, diese unbefriedigende Situation verändern zu können. Diese Hoffnung darf man nicht teilen, man darf sie vielmehr als Angriff auf die zentrale Informationsquelle des Landes bekämpfen. Das falsche Argument, es gehe um die ökonomische Verfassung des ORF, darf nicht gelten. Es geht um die journalistische Unabhängigkeit im mächtigsten Medium des Landes. Im Zweifel ist diese durch Wrabetz besser gesichert.

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