Christoph Schlingensief: „Habe verdammt viel Elternhaus dabei“
profil: Schlingensief inszeniert Jelinek: klingt nach theatralischem Aufruhr. Dennoch ist es bis jetzt seltsam ruhig um Ihre Produktion geblieben. Stört Sie das?
Schlingensief: Nein, das ist ja ein Wunsch, jetzt mal was Ruhigeres zu erarbeiten. Was nicht heißt, dass das dann auch realisierbar sein wird. Wenn in ein paar Tagen die Endproben auf mich zukommen, erhöht sich der Druck, dann wird es vielleicht auch wieder lauter. Aber es ging mir diesmal schon darum, nicht gleich auf die Straße zu rasen. Ich bin derzeit eigentlich mehr an der Forschung interessiert als am Angriff. Obwohl man manchmal auch etwas angreifen muss, um es zu erforschen.
profil: Haben Sie keine Angst davor, am Burgtheater zu scheitern?
Schlingensief: Das wäre nur konsequent, weil der Gegenstand von „Bambiland“ auch gescheitert ist. Unser Verhältnis zum Krieg und zum Theater läuft aufs selbe hinaus. Wir lassen alles ungestraft geschehen. Mir geht es nicht darum, am 12. Dezember bei der Premiere zu siegen, weil ich mich für Niederlagen interessiere. Deshalb reden Jelinek und ich auch immer von Voraufführung, vom ewigen Anfang. „Bambiland“ wird der zweite Teil einer Arbeit, die ich mit „Atta Atta“ in Berlin begonnen habe. Der dritte Teil wird nächstes Jahr in Zürich Premiere haben, der vierte Teil auf den Ruhrfestspielen, und das Ganze endet in Bayreuth und zieht dann weiter nach Afrika. Außerdem ist die „Church of Fear“ als roter Faden sichtbar. Das eine geht ins Nächste über. Das habe ich so an Fassbinder bewundert. Der hat einen Film nach dem andern gedreht, war meist schon weiter als die, die ihn kritisierten.
profil: Wobei Sie ja schon ein paar Jahre älter sind, als Fassbinder werden konnte. Es scheint, dass Sie Ihre Karriere ein bisschen weniger auf Zerrüttung hin anlegen.
Schlingensief: Bei mir ging das ja lange Zeit gar nicht. Früher durfte ich einmal im Jahr an der Volksbühne inszenieren oder einen Film drehen. Und dann ging alles in diese eine Arbeit. Das war so, als dürfte man seine Freundin nur einmal im Jahr küssen. Das wird als Kuss eine Katastrophe, weil die Anspannung höllisch ist oder gerade im falschen Licht stattfindet – und dann hat man vielleicht noch Herpes an diesem großen Tag. Daher bin ich gern auf unterschiedlichen Terrains unterwegs, kann hier an einem Hörspiel arbeiten, dort einen Film schneiden. Ich habe auch gelernt, Dinge zu delegieren. Ich bin jetzt 43, und ich behaupte nun einfach mal, dass ich schon was gemacht habe, ich hab’s ja im Regal, wo die Filme stehen. Ich komme vom experimentellen Film und habe ihn eigentlich auch nie verlassen. Deshalb haben mich Begriffe wie Pop-Theater oder Provokateur nie interessiert. Die kamen meist von selbst ernannten Experten, die ihren Theaterbegriff retten wollten. Eine verschlafene Welt, aus der ich gerade aussteigen will. Ich habe viel auf der Bühne gelernt, gebe mir mehr Zeit als früher und kann besser zwischen mir und den an mich gestellten Erwartungen unterscheiden. Unterhaltungen mit Leuten wie Sloterdijk, Kluge oder Groys oder engen Mitarbeitern sind mir am wichtigsten. Oder mit Dramaturgen wie Karl Hegemann, die einem in der Probe dann mit Adorno oder Fragen wie „Wo ist der Gegenstand?“ kommen.
profil: Sie mögen es, auf die Theorie hingewiesen zu werden?
Schlingensief: Ja, solange der Dramaturg nicht mit 15 Büchern unterm Arm ankommt, aus denen überall gelbe Zettel ragen, und solange er nicht von mir will, dass ich jetzt Aischylos studiere. Aber ich liebe es, mich auch mit Dingen zu befassen, von denen ich noch keine Ahnung habe. Ein Regisseur hat immer vampiristische Fähigkeiten. Der saugt an allem, um sich zu bereichern. Ich habe nur leider noch verdammt viel Elternhaus dabei, frage mich ständig: Darf ich das? Geht denn das? Ist das zu verantworten? Zum Beispiel mit Behinderten zu arbeiten. Da kann ich nur sagen: Probiert’s doch selber mal!
profil: Kirsten Dene und Dorothee Hartinger, die für „Bambiland“ vorgesehen waren, sind vorzeitig abgesprungen. Woran ist das gescheitert?
Schlingensief: Kirsten ist raus, weil ihr das absolut zu chaotisch war. Sie hat mir dann ganz lieb geschrieben, aber sie konnte echt nicht. Das wurde ihr alles zu viel. Mir ist das Improvisieren am allerliebsten, und das ist eben für viele nicht leicht. Als das mit Dorothee scheiterte, waren wir beide extrem traurig, aber wir kamen da nicht rein. Das ging nicht.
profil: Halten Sie sich selbst für jemanden, der seinen Schauspielern viel abverlangt?
Schlingensief: Wenn man die Tür zum Paralleluniversum in einem Schauspieler noch öffnen kann, wenn er die bedienen kann, dann hat er’s bei mir superleicht. Wenn die so verschüttet oder vernagelt ist, dass man da kaum noch rankommt, werde ich schon manchmal auch ganz blöd, das merke ich selbst. Ich suche Schauspieler eher „musikalisch“ aus, gehe vom Sound aus und vom Gesicht. Aber ich muss die jetzt nicht mehr unbedingt dekonstruieren, gehe nicht mehr vom großen Ganzen aus. Seit meiner Jugend wird mir erzählt, dass es ein Großes und Ganzes gibt, an dem alle gemeinsam arbeiten, aber ich kann das einfach nicht finden, nicht einmal im Privatleben. Die Figur der Inge in „Atta Atta“ und „Bambiland“, das ist die Freundin, die einen damals zum ersten Mal verlassen hat, 1979, das war die erste große Liebe, wo noch die Illusionsmaschine mitlief: Frau finden, große Liebe, Studium zusammen, Kinder. Wie das eben noch bei Mama und Papa war. Und das ist dann leider doch nicht so, dann wacht man im Krankenhaus auf, mit Tablettenüberdosis und so.
profil: Daraus haben Sie gelernt?
Schlingensief: Ja, vor allem ist durch diese Krise, diese Riesenwelle ein kritischer Autonomiebegriff in mir entstanden. Ich merke in allem, ob ich Theater mache oder am Strand liege: Ich bin nicht wirklich autonom. Ich bin ständig in den Händen irgendwelcher Presslufthämmer, immer unter Druck.
profil: Sie setzen in Ihren Inszenierungen grundsätzlich immer auch sich selbst ein. Wie ist das nun, mit fremdem Material, mit Jelineks Text zu arbeiten? Schafft das Distanz?
Schlingensief: In diesem Text liegt die Freiheit, auch mit seiner eigenen Biografie zu arbeiten. Ich rekonstruiere auf der Bühne ja mein Leben, revidiere mein Werk. Wir leben mit der Absurdität: Die Türkei ist eineinhalb Flugstunden entfernt, liegt praktisch um die Ecke, und wir reden nicht von uns, wir reden immer noch von diesem Krieg da hinten. Die einzige Nachricht, die uns übers Fernsehen erreicht, ist dann, dass ein Esel leichte Verbrennungen davongetragen habe. 3500 Tote in New York werden mit 30 Bildbänden geehrt, aber für die 35.000 toten afrikanischen Kinder jeden Tag gibt es keinen einzigen Bildband. Da herrscht eine gewaltige Diskrepanz. Daher bin ich auch nicht auf Drogen oder Rauschzustände angewiesen, denn tief drinnen ist das eher eine melancholische, verheulte Angelegenheit; ich kann das alles nicht von mir trennen.