'Citizen McCain' und seine Fehler

Kann er die religiöse Parteibasis überzeugen?

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Die Bilder aus Bagdad sind scho­ckierend: brennende Autos, zertrümmerte Häuser, blut­überströmte Menschen. Über 4000 ame­rikanische Soldaten sind bisher im Irak ­gefallen, die US-Militärausgaben belaufen sich auf knapp 500 Milliarden Dollar. Und was sagt John McCain dazu? „Meinetwegen bleiben wir hundert Jahre im Irak.“ Der republikanische Präsidentschaftskandidat verspricht „more of the same“ – eine Fortsetzung der katastrophalen Bush-Politik: Die TV-Werbung, die dieser Tage auf den Sendern CNN, Fox News und MSNBC läuft, ist einer der wenigen Versuche der US-Demokraten, das zu tun, wozu Hillary Clinton und Barack Obama nicht in der Lage sind, weil sie nach wie vor im parteiinternen Duell um die Präsidentschaftskandidatur stecken: ihren Wahlkampf auf John McCain zu konzentrieren.

Der 71-jährige Vietnamveteran und Senator von Arizona hat momentan ein leichtes Spiel. Er gilt als „der lachende Dritte“, der die Selbstzerfleischung der Demokraten in aller Ruhe beobachtet. Er kann die Zeit nutzen, um neue Spendengelder für seinen Wahlkampf zu sammeln, und sich auf ein kurzes Duell mit seinem demokratischen Gegner einstellen. „Wenn der Kandidat der Dems endlich feststeht, könnten die Wahlen bereits zugunsten der Republikaner entschieden sein“, meint ein Kommentator des US-Wochenmagazins „Newsweek“ und bringt damit den allgemeinen Tenor in den US-Medien auf den Punkt. Hat McCain den Wahlsieg tatsächlich schon in der Tasche?

Wahlboykott. Der Präsidentschaftswahlkampf 2008 wäre nicht der spannendste seit Jahrzehnten, wenn nicht jede noch so plausibel klingende Expertenprognose, einmal ausgesprochen, schon wenig später wieder in sich zusammenfiele. Die Vorwahlen von Pennsylvania wurden in den Augen der breiten Öffentlichkeit nur von den Demokraten abgehalten. Tatsächlich aber haben auch die Republikaner gewählt. Von den 807.000 republikanischen Wählern stimmten 220.000 für den evangelischen Pastor Mike Huckabee oder den Kongressabgeordneten und Irak-Kriegs-Gegner Ron Paul. Das Ergebnis zeigt recht deutlich, dass McCain viele Wähler der Grand Old Party nicht überzeugen konnte: Vor allem die stockkonservative religiöse Parteibasis misstraut ihm. James Dobson, Gründer der Lobby-Organisation „Focus on the Family“ und einer der zehn einflussreichsten Köpfe der Rechten, dessen Radiosendung über 200 Millionen Zuhörer hat, kündigte bereits an, im November nicht für McCain zu stimmen. Denn der Senator sei als Befürworter embryonaler Stammzellenforschung und als Autor eines Parteispendengesetzes, das die Agitationskraft rechter Gruppen untergrabe, kein wahrer Konservativer. Seine Wahlempfehlung: Boykott. Die Irak-Kriegs-Gegner könnten hingegen ins Lager der Demokraten wechseln. Einer aktuellen Gallup-Umfrage zufolge halten über 60 Prozent der Amerikaner den Krieg im Irak für einen schweren Fehler – der höchste Wert seit Beginn der US-Invasion 2003. McCain ist einer der letzten US-Politiker, die beharrlich an einen Sieg am Golf glauben. Immer wieder betont er, dass er gegen den Abzug der US-Truppen und sogar für deren weitere Aufstockung sei.

Wutausbrüche. Noch mehr Sorgen dürfte McCains Wahlkampfteam jedoch das ungezügelte Temperament des Kandidaten bereiten. Berüchtigt ist etwa McCains Wutausbruch beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2007, als er eine italienische Journalistin, die ihn während seiner Rede unterbrach, mit hochrotem Kopf anbrüllte. Bei der Sicherheitskonferenz in München 2007 kam es zu einem Eklat mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Ich höre mir diesen Mist nicht an“, soll McCain den Deutschen bei einem privaten Gespräch angefaucht haben. Es war der Demokrat und ehemalige Vizepräsidentschaftskandidat Joe Lieberman, ein treuer Unterstützer von McCains Wahlkampf, der intervenieren musste. Ein cholerischer Ausbruch ist bei dem hoch dekorierten Soldaten, der fünf Jahre lang in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft war, auch im Fernsehen nicht ausgeschlossen. Und die Erfahrung lehrt: Wer sich nicht kontrollieren kann, verliert.

Während sich Hillary Clinton und Barack Obama permanent für Aussagen, Bekannte und politische Entscheidungen in ihrer Vergangenheit rechtfertigen müssen, ist McCain bislang von Demokraten und Medien weitgehend verschont geblieben. Offene Fragen gibt es in McCains Wahlkampf jedoch noch viele zu klären. Innenpolitisch hat der in zweiter Ehe verheiratete fünffache Familienvater, der im Herbst 72 Jahre alt wird und damit im Falle eines Amtsantritts der älteste US-Präsident aller Zeiten wäre, noch wenig von seinem Programm offenbart. Fest steht lediglich, dass er an der Steuerpolitik seines Vorgängers George W. Bush festhalten würde, was bedeutet: Steuersenkungen gäbe es lediglich für die Reichsten. „Die Ökonomie ist nicht etwas, das ich so gut verstanden habe, wie ich sollte“, räumte McCain noch im Jänner ein – kein kluger Schachzug in Zeiten, in denen die US-Wirtschaftskrise das bestimmende Thema des Wahlkampfs ist.

McCain setzt stattdessen auf seine Lieblingsthemen Sicherheits- und Außenpolitik. „Ich bin der Hassgegner der Al Kaida, Barack Obama ist ihr Wunschkandidat“, sagte er zuletzt. Dass er in der Nahostpolitik jedoch alles andere als sattelfest ist, stellte McCain schon öfter unter Beweis. Dreimal innerhalb von zwei Tagen warnte er davor, dass neue Al-Kaida-Terroristen im Iran ausgebildet würden. Als McCain den Fehler bei einer Rede in Jordanien erneut beging, beugte sich Joe Lieberman zu McCain und machte den Präsidentschaftskandidaten darauf aufmerksam, dass der Iran schiitisch sei, die Al Kaida jedoch sunnitisch und deshalb sicher nicht im Iran Unterschlupf fände.

Bomb Iran. Früher oder später wird McCain auch die zahlreichen Widersprüche in seinen Wahlkampfreden rechtfertigen müssen. Einmal sprach er sich für Schwulenehe aus, wenige Minuten später war er sich dann nicht mehr so sicher. Einmal bezeichnete er die Südstaatenflagge als Symbol für Rassismus und Sklaverei, ein anderes Mal als ein „Symbol des amerikanischen Erbes“. Auch sein berüchtigter Auftritt bei einer Wahlkampfveranstaltung in New Hampshire, bei der er einen Beach-Boys-Song paraphrasierte und „Bomb Iran“ sang, dürfte noch für Gesprächsstoff sorgen. Ganz zu schweigen von McCains rassistischen Äußerungen. „Sie können mich damit zitieren: Ich hasse die Gooks“, sagte er vor ein paar Jahren, ein Schimpfwort für Südostasiaten. Ein anderes Mal verwendete McCain den Ausdruck „tar ­baby“ (Teer-Baby), eine heute zutiefst rassis­tische Bezeichnung für Schwarzafrikaner.

Wie würde also ein Präsident McCain außenpolitisch agieren? Schon wiederholt machte der Republikaner deutlich, dass er Treffen mit iranischen Diplomaten strikt ablehnt, Russland würde McCain am liebsten aus den G8 ausschließen. Aussagen eines Hardliners, die darauf hindeuten, dass sich an der von Präsident Bush betriebenen internationalen Isolation der USA nichts ändern dürfte. „Von einem Veteranen mit seiner Erfahrung würde ich mir mehr diplomatisches Gespür erwarten“, sagt Winslow Wheeler, ein Verteidigungsbudget-Experte, der McCain seit Beginn seiner politischen Karriere kennt. John „McSame“ wird McCain in Anspielung auf die Fortsetzung der Bush-Politik von politischen Gegnern genannt. Bislang hat er die Welt noch nicht vom Gegenteil überzeugen können.

Von Gunther Müller