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Comeback von UN und NATO

Comeback von UN und NATO

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Im vergangenen Jahr waren die UN auf ihrem absoluten Tiefpunkt. Erinnern wir uns: George W. Bush bezeichnete sie als „irrelevant“, führte den Krieg am Golf ohne ihre Zustimmung und wollte die Vereinten Nationen partout nicht dabeihaben beim Aufbau des Nach-Saddam-Irak. Nicht genug damit. Am 19. August 2003 wurde der Sitz der UN in Bagdad in die Luft gesprengt. 22 Menschen starben. Darunter Sergio Vieira de Mello – Missionschef im Irak und brillanter Diplomat. Geschockt ließ Generalsekretär Kofi Annan seine Leute aus Bagdad ausfliegen. Schon wurden die UN angezählt. In der neuen Weltordnung hätte diese Organisation keinen Platz mehr, wurde vielfach geschrieben.
Seit Anfang dieses Jahres ist alles wieder ganz anders. Wir erleben ein beeindruckendes Comeback der UN. Noch vor wenigen Monaten von der amerikanischen Regierung ignoriert und verhöhnt und von der internationalen Öffentlichkeit abgeschrieben, sind die Vereinten Nationen wieder voll da. Seit Jänner bettelt Washington geradezu, Kofi Annan möge doch seine Leute wieder in den Irak schicken, die UN sollten doch Wahlen organisieren, den Machttransfer von der amerikanischen Besatzungsmacht an die Iraker organisieren und überhaupt Verantwortung für die politische Zukunft im Zweistromland übernehmen.

Die UN erzielten zudem in der Zypernfrage einen Durchbruch: Unter ihrer Patronanz scheint die Spaltung der Mittelmeerinsel in einen türkischen und einen griechischen Teil ihrem Ende zuzugehen. Die seit Jahrzehnten verfeindeten Inselbrüder dürften demnächst zusammenfinden und einen Kompromiss finden. Das ganze und nicht nur das halbe Eiland könnte, wenn alles gut geht, demnächst Mitglied der Europäischen Union werden.
Und in der Haiti-Krise zeigte sich der New Yorker Glaspalast von einer abenteuerlichen Effizienz: Es ist nicht zuletzt Verdienst der UN, dass in nur ganz kurzer Zeit eine internationale Truppe zum Einsatz kam – gebildet aus amerikanischen und französischen Soldaten. Mit UN-Mandat agieren die „Erzfeinde“ des vergangenen Jahres gemeinsam, um das ärgste Chaos auf der bitterarmen Karibikinsel zu verhindern.

Die Vereinten Nationen sind aber nicht die einzige Organisation, die in diesem Jahr ihr Comeback feiert. Auch die NATO erlebt einen neuen Frühling. Die Atantische Allianz ist in der Ära Bush gleichfalls ausnehmend mies behandelt worden. Da hat sie nach dem 11. September ihre volle Solidarität mit den USA verkündet und ihre Bereitschaft erklärt, der attackierten Supermacht beizustehen – mit dem Ergebnis, dass sie und ihre europäischen Mitglieder beim Krieg gegen das Taliban-Afghanistan nicht einmal konsultiert wurden. Dass die NATO dann, als es um den Waffengang am Golf ging und sich Amerika und Europa tief greifend zerstritten, keine wie immer geartete Rolle spielte, verstand sich von selbst. Unter diesen Bedingungen wurden auch jene Kräfte in der EU gestärkt, die im Aufbau einer
eigenständigen europäischen Verteidigung eine Alternative zur NATO sehen. Oberflächlich betrachtet schien die
NATO völlig anachronistisch geworden zu sein.
Und wieder hat man sich geirrt. Robuster denn je spielt die NATO heute ihren Part in der Weltpolitik: auf dem Balkan seit langem schon; auch in Afghanistan, wo sie demnächst die internationale Militärpräsenz in toto übernehmen soll. Und schon drängen die Amerikaner, die noch vor kurzem so stolz auf ihren militärischen Alleingang am Golf waren, darauf, dass die NATO demnächst statt der US-britischen Besatzung die Sicherheit im Nachkriegs-Irak übernehmen sollte. Noch zögern die Europäer. Aber auch ihnen ist klar: Ohne die NATO wird der Irak aus der Katastrophe, in die Washington und London das Land geführt haben, nicht herausfinden. Nicht genug damit: Schon schwirren bereits Ideen herum, wie die NATO nicht nur bei der irakischen Transformation, sondern bei einer Neuordnung des gesamten Nahen Ostens operativ werden kann.

Eine Pointe setzte der für seinen politischen Erfindungsreichtum bekannte Euro-Grüne Danny Cohn-Bendit. Er schlägt ein Tauschgeschäft vor: Sollten die Israelis bereit sein, sich aus dem Westjordanland und in Gaza zurückzuziehen und die jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten unter internationaler Kontrolle zu räumen, um einem Palästinenserstaat Raum zu geben, dann möge man Israel im Gegenzug Mitgliedschaft in der NATO anbieten.

Comeback der UNO, Comeback der NATO: Erleben wir also eine Renaissance des Multilateralismus, den Bush und Co in den vergangenen Jahren so spektakulär zu Grabe getragen haben?

Verlassen sollte man sich darauf nicht. Offenbar entspringt der amerikanische Strategiewechsel nicht der prinzipiellen Einsicht, mit der Strategie des weltpolitischen Alleingangs fundamental gescheitert zu sein: „Das bleibt Multilateralismus à la carte: Mit den andern agiert Washington nur dort, wo es den nationalen Interessen dient und wo man nicht anders kann“, diagnostiziert Michael Doyle, Politologe an der Columbia University: „Nein, da ist keine grundlegende Wende in der Politik der Bush-Regierung.“

Eine echte Abkehr von einer Politik der aggressiven Arroganz und des rabiaten Großmacht-Nationalismus ist von dieser US-Regierung nicht zu erwarten. Da bedarf es mehr: des Comebacks des besseren, des zivilisierteren Amerika, das in den vergangenen dreieinhalb Jahren so erfolgreich in den Hintergrund gedrängt wurde.

Aber auch da kann man vorsichtig optimistisch sein: Seit Anfang dieses Jahres ist dieses andere Amerika wieder stark im Kommen. Und Bush muss um seine Wiederwahl bangen.