Digitaler Lifestyle: Früchtchen des Zorns

Computer: Früchtchen des Zorns

Vor dreißig Jahren grün-dete Steve Jobs Apple

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Diesmal war die Euphorie nicht gespielt wie früher so oft. Diesmal musste er nicht gute Miene zum bösen Spiel machen. Diesmal war er tatsächlich der König der Welt. Bei der Computermesse MacWorld im vergangenen Jänner, wo Steve Jobs, der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Apple Computer, traditionell in Turnschuhen, Jeans und Rollkragenpullover mit hochgekrempelten Ärmeln, im Beisein hunderter devoter Fans seine jährliche Ansprache hielt, wuchs er, der eigentlich kaum 1,70 Meter misst, für alle sichtbar über sich selbst hinaus.

Im dritten Jahrzehnt seines Bestehens setzte der Computerhersteller Apple, den Steve Jobs gemeinsam mit seinem Jugendfreund Steve Wozniak am 1. April 1976 in der Garage seiner Eltern gegründet hatte, zum Höhenflug an. Aus der kultisch verehrten, aber lange Zeit nur in Nischenmärkten erfolgreichen Elitecomputerschmiede ist anno 2006 endgültig ein globaler Entertainmentkonzern geworden, eine Weltmarke, deren Bekanntheitsgrad an Coca-Cola oder Nike heranreicht.

Die Apple-Story beginnt am 24. Februar 1955 in San Francisco: Die Studentin Joanne Schieble bringt einen gesunden Jungen zur Welt und gibt ihn eine Woche später zur Adoption frei. Wenig später melden sich Paul und Clara Jobs, sie Hausfrau, er Mechaniker, und adoptieren das Kind. Sie nennen es Steve.

Heute würde man den jungen Steve Jobs wohl als „verhaltensoriginell“ bezeichnen. Damals, in den sechziger Jahren, war er eben ein schwieriges Kind: aufsässig, hyperaktiv, ein Einzelgänger, der in der Schule nur Probleme machte. Und, vor allem: ein Junge, der ganz genau wusste, was er wollte.

Transistoren und Psychedelik. San Francisco wurde zu jener Zeit in mehrerlei Hinsicht zur Boomtown. Im nahen Silicon Valley siedelten sich High-Tech-Unternehmen an und traten das Computerzeitalter los. Wenige Kilometer entfernt, in Berkeley und Ashbury Heights, regierten die Hippies. Steve Jobs war von beidem fasziniert, bastelte an Transistoren herum und tauchte ein in die Welt der Psychedelik. Beides sollte seine Geschäftsauffassung auf Jahre hinaus prägen. Noch in den achtziger Jahren pflegte Jobs angehende Apple-Mitarbeiter beim Vorstellungsgespräch zu fragen, wie oft sie schon LSD genommen und wann sie zum ersten Mal Sex gehabt hätten. In der jungen Welt der Computerindustrie war Steve Jobs – im Gegensatz zum farblosen, streberhaften Bill Gates – ein visionärer Querkopf, der zwischendurch die Arbeit hinschmiss, um wochenlang durch Indien zu pilgern und kahl geschoren, barfuß und im buddhistischen Mönchsgewand wieder aufzutauchen. Über Gates, mit dem ihn eine langjährige, respektvolle Feindschaft verbindet, meinte Jobs in einem „New York Times“-Interview 1997: „Ich finde Gates und Microsoft ein bisschen engstirnig. Er wäre eine umfassendere Person, wenn er mal Acid genommen oder in einen Ashram gegangen wäre.“

Steve Jobs war stets ein Nonkonformist. Aber er war auch ein Geschäftsmann. Als sein Kumpel, der fünf Jahre ältere Steve Wozniak, ihm Anfang 1976 von einem Computer erzählte, den er entworfen hatte, erkannte Jobs sofort dessen Potenzial. Am 1. April, der auch in den USA der Tag der Scherze ist, gründeten Jobs und Wozniak Apple. Woher der Name genau stammt, ist nach wie vor Gegenstand von Spekulationen. Manche meinen, dass Jobs’ Aufenthalt in einer Hippiekommune, die sich auf einer Apfelplantage angesiedelt hatte, verantwortlich war. Andere bringen das Beatles-Plattenlabel Apple Records ins Spiel.

Wenige Tage nach der Unternehmensgründung lieferten Jobs und Wozniak ihren ersten Computer, den Apple I, an einen benachbarten Elektronikfachhändler. Das Gerät verkaufte sich rund 150-mal, zum Stückpreis von 666,66 Dollar (schon damals galt bei Apple: „think different“). Doch die Jungunternehmer strebten nach Höherem. Sie erreichten es mit dem Apple II, der ein Jahr später auf den Markt kam und die Computerwelt nachhaltig veränderte. Es war der erste Heimcomputer, der bloß noch ausgepackt und angesteckt werden musste. Der Erfolg war dementsprechend. Die Unternehmenszentrale in der elterlichen Garage wurde bald zu klein – Apple war praktisch über Nacht zum Marktführer am Heimcomputermarkt geworden. 1980 betrug das Vermögen des 25-jährigen ehemaligen Blumenkinds Steve Jobs 165 Millionen Dollar. Da kann einen schon der Größenwahn packen.

Zum unternehmensinternen Halloweenfest 1978 erschien Jobs, immer auf Wirkung bedacht, denn auch als Jesus Christus. „Steve hat das katholische Prinzip gefallen“, erinnert sich Hartmut Esslinger, der als Eigentümer des Unternehmens frogdesign zu den maßgeblichen Industriedesignern der Welt zählt und in den frühen achtziger Jahren Apples Macintosh mitentwarf (siehe Interview): „Der Papst hat immer Recht. Das muss so sein, sonst hätte die Kirche keine Basis. Das ist natürlich ein radikaler Gedanke. Aber Steve denkt nun einmal radikal.“

Vom „katholischen Prinzip“ ist es nicht weit zum „Intelligent Design“. Nach dem Erfolg des Apple II trieb Jobs sein Team mit der ihm eigenen Unnachgiebigkeit (die den introvertierten Wozniak zu dem Zeitpunkt bereits bewogen hatte, sich zunehmend aus der Apple-Führung zurückzuziehen und später ganz aus dem Unternehmen auszuscheiden) noch weiter an. Er wollte dem PC von IBM, der 1981 vorgestellt worden war, ein Kunstwerk entgegensetzen, einen Computer, der kein dröges Ingenieursspielzeug sein sollte, sondern ein sexy Konsumprodukt für die Masse. Was ihm mit dem Macintosh auch – beinahe – gelang.

Gesamtkunstwerk. Am Morgen des 24. Jänner 1984 präsentierte Steve Jobs im Veranstaltungssaal des De Anza College von Cupertino der Welt den Macintosh. Im Hintergrund erklang „The Times They Are A-Changin’“ von Steve Jobs’ großem Idol Bob Dylan, und der Apple-Chef war voll in seinem Element. Er, den viele für einen unerträglichen Querkopf hielten, hatte es allen gezeigt, wieder einmal. Er hatte bewiesen, dass es möglich war, Emotion und Leidenschaft mit der Welt der Technik zu verknüpfen und einen Computer herzustellen, der einfach war, benutzerfreundlich und vor allem: cool. Der Macintosh fügte sich blendend ins Bild, das die Öffentlichkeit von Apple hatte: eine genial querköpfige, technisch versierte und dabei höchst geschmackssichere Truppe. Mit dem Macintosh konnte, dank seiner wegweisenden Benutzerfreundlichkeit, auch der unbedarfte Laie an diesem Image teilhaben. Denn der Erfolg von Apple beruht keineswegs nur auf Design, wie auch der Designer Esslinger betont: „Das Gesamtkunstwerk, um es mal altmodisch zu sagen, das ist es, was die Menschen an Apple am meisten begeistert. Die Produkte selbst sind nur Bausteine. So, wie die Software ein Baustein ist, das Marketing, die Kommunikation, das Unternehmensimage. Und im Endeffekt bekommt der Kunde etwas, das er von niemandem anders bekommt.“

Anno 1984 war die Zeit allerdings noch nicht wirklich reif für derlei Kunstwerke. Die Anfangseuphorie um den Mac verflog rasch, die Absätze blieben weit unter Plan, und weil auch im einstigen Freigeistparadies Apple inzwischen die Aktionäre und Aufsichtsräte den Ton angaben, wurde Steve Jobs im Mai 1985 aus der Chefetage des von ihm gegründeten Unternehmens entfernt. Die Computerindustrie hatte ihren tragischen Helden, und für Apple begann der lange Abstieg bis nahe an die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit. Die Innovationen blieben aus oder erwiesen sich als unausgegoren und am Markt nicht erfolgreich. Während Computer, die Mikroprozessoren des Chipherstellers Intel benutzten, am Hardwaremarkt reüssierten und zum Industriestandard wurden, während gleichzeitig Microsoft zum Quasimonopolisten im Segment der Betriebssysteme und zum führenden Unternehmen für Benutzersoftware aufstieg, wurde Apple, dessen Computer mit Intel/Microsoft-PCs nicht kompatibel waren, zu einer Insel in der Computerwelt. Einer Insel, die immer kleiner wurde. Bis sich das Blatt, über zehn Jahre später, erneut wendete.

Weil die NASA sein Angebot, an einer Space-Shuttle-Mission teilzunehmen, dankend abgelehnt hatte, hatte sich Steve Jobs inzwischen neuen Aufgaben zugewendet: Zum einen gründete er 1985 das Computer- und Softwareunternehmen NeXT, zum anderen erwarb er von dem Filmmogul George Lucas dessen Studioabteilung für Computergrafik, aus der sich unter Jobs’ Führung das Trickfilmstudio Pixar entwickeln sollte: Die sechs Filme, die Pixar seit 1995 für den Unterhaltungskonzern Disney produziert hat (darunter „Toy Story“, „Die Monster AG“ und „Findet Nemo“), spielten insgesamt 2,5 Milliarden Dollar ein, was das Studio, gemessen am Durchschnittsverdienst pro Film, zum erfolgreichsten in der Geschichte Hollywoods macht.

Weniger Glück war Jobs’ zweitem Post-Apple-Projekt beschieden: Trotz avancierter Technologie und gefeiertem Design konnte sich NeXT nie wirklich im Mainstream behaupten und schrieb laufend Verluste. Bis zum Jahr 1996. Apple war zu dem Zeitpunkt an einem Tiefpunkt angelangt, der Marktanteil lag bei unter zwei Prozent. Schuld war vor allem ein überaltertes Betriebssystem, das in den zehn Jahren davor nur unwesentlich weiterentwickelt worden war. Plötzlich trat Steve Jobs auf den Plan und bot Apple das Betriebssystem von NeXT zum Kauf an. Apple hatte im Grunde keine Wahl. Damit war Jobs, als NeXT-Chef, nach einer zehnjährigen Unterbrechung, wieder bei seiner „Jugendliebe“ (wie er Apple in einem schwachen Moment einmal bezeichnet hat) gelandet. Jobs, der nicht nur exzentrisch ist, sondern auch ein unerbittlicher Machtmensch, riss das Unternehmen an sich, drängte seine Gegner aus dem Aufsichtsrat und wurde schließlich, im Juli 1997, zu dessen Vorsitzendem gewählt. Sein erster Auftritt in der neuen Funktion, in kurzen Hosen, Turnschuhen und mit 7-Tage-Bart, war ein Lehrbeispiel angewandten Jobsismus: „Okay, jetzt sagt mir bitte, was hier nicht stimmt“, wollte er von den anwesenden Führungskräften wissen. Halbherziges Germurmel. „Es sind die Produkte! Okay, was also stimmt nicht mit den Produkten?“ Neuerliches Gemurmel. „Die Produkte sind Scheiße!“

Das sollte sich, dank Steve Jobs’ Initiative, rasch ändern. Der neue, alte Apple-Boss verschlankte Apples Produktpalette und brachte jenen Pioniergeist zurück, der Apple ursprünglich groß gemacht hatte. Mit der Einführung des schillernden, in Bonbonfarben strahlenden iMac begann 1998 schließlich die Ära des Lifestyle-Computers.

Freiheit, Schönheit, Genuss. In ihrem Buch „The Substance of Style“ beschreibt die US-Kulturtheoretikerin Virginia Postrel, wie Computer, nicht zuletzt durch die Leistungen von Apple, in den neunziger Jahren von ihrer bloßen Aufgabe als Rechner befreit wurden und auch sinnliche Funktionen übernahmen: „Wo das modernistische Design Effizienz, Rationalität und Wahrheit versprach, beschwört die heutige Ästhetik eine andere Dreifaltigkeit: Freiheit, Schönheit und Genuss.“ Den Erfolg von Apple kann man auch daran ermessen, wie selten diese drei Begriffe mit herkömmlichen PCs in Verbindung gebracht werden – und wie oft mit dem iMac. Oder auch daran, dass in Hollywoodfilmen und TV-Serien nur selten ordinäre Laptops aufgeklappt werden, sondern fast ausschließlich Apples iBook. Und zwar ohne dass Product-Placement-Gebühren fällig würden.

Denn Apple ist das coolste Computerunternehmen der Welt. Nein: Apple ist das einzige coole Computerunternehmen der Welt. Und seit es den iPod gibt, wissen das nicht nur elitäre Spezialisten, sondern auch Technikverweigerer und Elektronikahnungslose. Denn mit der Einführung des handlichen MP3-Players im Oktober 2001 hat Apple nicht nur seinen Marktwert vervielfacht, sondern auch die Art, wie Musik vertrieben und verwendet wird, radikal verändert. Hunderte Stunden Musik passen seitdem in jede Hosentasche, und mit der Eröffnung des dazupassenden legalen Download-Service, dem iTunes music store, setzte Apple obendrein dem Gespenst der Filesharing-Piraterie nachhaltig ein Ende.

iPod und iTunes sind beileibe nicht die ersten Innovationen aus dem Hause Apple. Aber erstmals schlägt sich der Pioniergeist auch in den entsprechenden Wirtschaftsdaten nieder: Seit dem Jahr 2001 stieg der Jahresumsatz von 5,3 auf knapp 14 Milliarden Dollar, einem Nettoverlust von 25 Millionen Dollar 2001 stand im Vorjahr ein Gewinn von 1,3 Milliarden Dollar gegenüber. Die 135 Apple-Stores weltweit entwickelten sich zu Goldgruben und regelrechten Touristenattraktionen. Allein im Vorjahr wurden 32 Millionen iPods verkauft, und am 24. Februar 2006 erstand ein Coldplay-Fan aus Michigan den milliardsten Song im iTunes-Store. Inzwischen ist Apples MP3-Player derart omnipräsent, dass er von der britischen Regierung sogar in die Verbraucherpreisberechnung einbezogen wurde.

Die einstige Randerscheinung Apple ist also, kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag, endgültig im Mainstream angekommen. Auch das Kerngeschäft, die Computerherstellung, profitiert vom iPod-Boom – allerdings auf immer noch bloß moderatem Niveau: Apples weltweiter Marktanteil beträgt 3,4 Prozent. Den notorischen Optimismus des Steve Jobs kann das aber nicht bremsen. Schließlich ist er, der Exzentriker, der Außenseiter, der Spinner, mit einem Schlag zu einer unübersehbaren Zentralfigur der internationalen Unterhaltungsindustrie geworden: Am 24. Jänner wurde bekannt, dass der Disney-Konzern Jobs’ Trickfilmstudio Pixar – mittels Aktientausch im Wert von 7,4 Milliarden Dollar – übernehmen wird. Was Jobs, dem 50 Prozent von Pixar gehören, zum größten Disney-Aktionär macht. Schon wird gemunkelt, dass der streitbare Apple-Chef sich schon bald zum Chef von Disney aufschwingen könnte – und damit zum Herrscher über unzählige Radiosender, Fernsehstationen, Musiklabels und Filmstudios. Den Ehrgeiz dazu hätte er. Den Einfluss mittlerweile auch. Die Apple-Story ist noch lange nicht zu Ende.

Von Sebastian Hofer