Computer-Zukunft: Speichernetzwerker

Computer: Speichernetzwerker

Wiener Forscher entwick-eln Speichertechnik

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Das Surren der Klimaanlage übertönt jedes andere Geräusch. Eine Klimaanlage bei Minustemperaturen mitten im Winter? Tatsächlich, das Gerät bläst kalte Luft in den etwa fünf mal vier Meter großen Raum des Center for Computational Materials Science (CMS, www.cms.tuwien.ac.at) der Technischen Universität Wien. Denn in dem Raum ist die geballte Computerleistung des Forschungsinstituts aufgebaut: mehrere Meter lange, fast bis zur Decke reichende Metallstellagen, voll gepackt mit vernetzten Rechnern, einer dicht neben dem anderen. Auf diesen Computern werden die theoretischen Grundlagen für die Speichertechnologie von übermorgen entwickelt, versichert Peter Weinberger, Professor am Institut für Allgemeine Physik und Chef des Centers.

Mit seinen 20 wissenschaftlichen Mitarbeitern bildet Weinberger „von der Größe und Bedeutung her“, wie er selbst sagt, weltweit eine der Spitzengruppen seines Fachs. Denn der Wiener Physiker ist nicht nur ein Computernetzwerker, er ist auch ein Netzwerker der humanen Ressourcen. In seinem Team arbeiten ungarische, tschechische, rumänische, ukrainische oder auch italienische Forscher mit österreichischen Kollegen zusammen. Weinberger besinnt sich dabei eines gewachsenen Raums. Im Raum Wien, Prag, Brünn, Pressburg, Budapest und Graz, also im Umkreis von etwa 300 Kilometern, so seine Überlegung, gebe es eine Reihe hervorragender Universitäten mit einem exzellent ausgebildeten akademischen Potenzial und herausragenden Wissenschaftern. Dieser Raum mit etwa 20 Millionen Menschen sei der San Francisco Bay Area samt Silicon Valley vergleichbar. Was er damit sagen will: Immer nur nach Übersee zu schielen und die Verhältnisse bei uns zu bejammern sei nicht wirklich zielführend.

Freilich lässt die personelle, räumliche und finanzielle Ausstattung seines Centers viele Wünsche offen. Er verfügt über keine lokalen Partner, mit denen er seine Ergebnisse in der Praxis überprüfen könnte. Er behilft sich wiederum durch Networking: Französische Kollegen etwa, mit denen er eng zusammenarbeitet, testen seine theoretischen Ergebnisse in einem eigens für solche Zwecke geschaffenen großen Pariser Forschungsinstitut der französischen Forschungsorganisation Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS). Wenn demnächst die Frage einer Patentanmeldung auftauchen sollte, würde das geistige Eigentum „gemeinsam mit Leuten, denen ich vertraue“, so Weinberger, geschützt. „So funktioniert internationale Wissenschaft.“

Diese besondere Form des Networkings und der internationalen Forschungszusammenarbeit hat eine von Weinberger geleitete internationale Forschergruppe bereits nahe an den Descartespreis, die höchste Wissenschaftsauszeichnung der EU, herangeführt. Im Jahr 2004 war das von ihm geführte Team unter den acht Finalisten dieses europaweit begehrten Wissenschaftspreises. Doch was treibt Weinberger und sein Team an, was ist sein Konzept, welches Ziel schwebt ihm und seinen Kollegen vor Augen? Der Forscher zeigt einen Memorystick von der Größe eines kleinen Feuerzeugs. Darauf ist ein Datenvolumen von 524 Megabyte gespeichert, das entspricht der Datenfülle von mehreren Büchern.

Weinberger erinnert an die historischen Anfänge, an den Eniac von 1946, den ersten IBM-Computer, der einen Saal ausfüllte und dessen Speicherkapazität kaum größer war als die des kleinen „faszinierenden“ Memorysticks. Nach dem Moore’-schen Gesetz verdoppeln sich Leistung und Geschwindigkeit der Computer alle 18 Monate. Das ist der Grund dafür, warum ein drei Jahre alter Computer oft schon als veraltet angesehen werden muss. Die Geschichte des Computers ist aber nicht allein eine Geschichte der stetig wachsenden Leistung und Geschwindigkeit, sondern auch eine Geschichte der beständigen Miniaturisierung. Immer mehr Daten werden auf immer kleinerem Raum gespeichert und werden immer schneller abruf- und verarbeitbar. Am Beginn der Entwicklung waren Personal Computer weit außerhalb des Vorstellungsvermögens. Heute nutzt sie jedes Kind.

Sobald Weinberger auf die Speicher von übermorgen und seine diesbezüglichen theoretischen Überlegungen zu sprechen kommt, sagt er einen überraschenden Satz: „Nanotechnologie ist gestern.“ Freilich ist die Nanotechnologie, also die Technologie der Strukturen im Nanobereich (ein Nanometer = ein milliardstel Meter oder ein millionstel Millimeter), nicht wirklich gestern, aber sie bestimmt heute bereits derart weite Bereiche der Technik, dass sie in den Augen eines in technologischen Kategorien von übermorgen denkenden Forschers als „gestrig“ erscheinen muss. Dennoch stehen die theoretischen Überlegungen für die Speicher von übermorgen nicht isoliert da, sondern bauen klarerweise auf bisherigen Kenntnissen und heutiger Technik auf.

Informationseinheit. Viele mit modernen Rechnern arbeitende Menschen haben nur wenig Vorstellung davon, wie ein Computer eigentlich funktioniert. Dass die Rechenoperationen auf einer nahezu unvorstellbaren Fülle von Ja-Nein- beziehungsweise 0-und-1-Entscheidungen basieren, wissen zwar die meisten, aber auf welcher Grundlage und nach welchen physikalischen Gesetzen diese Entscheidungen zustande kommen, wissen nur die wenigsten. Die beiden vorherrschenden Grundprinzipien sind relativ einfach: Im einen Fall wird elektrischer Strom durch extrem dünne, magnetisch aktive Metallschichten geschickt. Die Metallschichten üben auf den Strom einen messbaren Widerstand aus, der je nach magnetischer Aktivität der Metallschichten groß oder klein sein kann. Nach diesem Prinzip trifft die winzige Einheit die Entscheidung zwischen 0 und 1. Im zweiten Fall wird ein Laserstrahl auf eine dünne, magnetisch aktive Schicht geschossen und von dieser reflektiert. Je nach magnetischer Ausrichtung der Schicht hat der reflektierte Strahl eine andere Qualität. Das ist das Prinzip, wie man auf einer Hard Disc lesen und Informationen von einer CD abrufen kann.

Basierend auf diesen zwei Grundprinzipien wurden die Systeme immer mehr verfeinert und weiter ausgebaut. Maßgeblich dabei war die Entwicklung der Nanotechnologie: Damit wurde es möglich, in den Bereich von weniger als zehn Nanometer (ein Nanometer entspricht dem Abstand von Goldatomen in Gold) vorzustoßen und Strukturen zu bauen, die so mikroskopisch klein sind, dass sich kleinste Recheneinheiten (Bits) auf dem Raum von einigen Dutzend Atomen platzieren ließen. Die magnetisch aktive Schicht wurde derart ausgedünnt, dass sich ihr Durchmesser ebenfalls im Bereich von wenigen millionstel Millimetern bewegt. Je kleiner die Struktur, desto dichter lässt sich darin Information speichern und desto rascher laufen Rechenoperationen ab. Das nahezu Unglaubliche an diesen Konstruktionen ist, dass es heute Maschinen gibt, die derartige mikroskopisch feine Strukturen herstellen können.

Zu dieser extremen Miniaturisierung kommt immer neues Wissen über die Eigenschaften von Materialien. Kombiniert werden heute Metalle wie Kupfer und Eisen oder Kupfer und Kobalt oder auch Platin und Gold sowie Halbleiter. Als Träger oder Deckmaterialien werden unter anderem Glas oder Silikat verwendet. Schon heute gibt es Strukturen, wo mikroskopisch kleine Inseln von der Größe einiger Dutzend Atome auf eine Trägerplatte aufgebracht werden. Diese Inseln sind so dicht gepackt, dass sie einander gerade nicht stören. Und in diesen Inseln laufen Rechenoperationen ab.

Die Miniaturisierung ermöglicht es, die Grundprinzipien der Wechselwirkung zwischen elektrischem Strom beziehungsweise zwischen einem Laserstrahl und Nanostrukturen noch weiter auszufeilen. Statt einer einzigen magnetisch aktiven Schicht werden beispielsweise zwei solcher Schichten in der kleinsten Recheneinheit angeordnet. Die darin aktiven Magnetfelder können entweder parallel oder antiparallel ausgerichtet sein. Bei paralleler Ausrichtung ist der Widerstand gering, bei antiparalleler Ausrichtung ist er hoch. Für diesen Giant Magneto Resistance (GMR) genannten Effekt hat die Gruppe Weinberger entscheidende theoretische Beiträge geliefert, weil sie zeigen konnte, dass der physikalische Effekt, der dem Lesen zugrunde liegt, von den Grenzflächen der jeweiligen Schichten sowie dort diffundierenden Atomen abhängt. Diesen GMR-Effekt nennt Weinberger „das Wartezimmer für den Physiknobelpreis“ und tippt auf nicht näher genannte Kollegen in Deutschland oder Frankreich als Favoriten.

Doch die eigentliche Geschichte für die Speichertechnologie von übermorgen heißt „current induced switching“. Darunter versteht man das Phänomen, dass sich Magnetfelder in der Recheneinheit automatisch umdrehen, sobald ein Strom von einer ganz bestimmten Beschaffenheit durchgeleitet wird. Weltweit befassen sich heute sowohl Forscher in der Computerindustrie wie an Universitäten und Forschungsinstituten mit dieser Zukunftstechnologie. Entscheidend wird dabei aber weniger die bereits vorgegebene Nanostruktur sein, sondern Eigenschaften von Materialien, welche Schaltzeiten im Bereich von Nano- und Picosekunden, also millionstel und billionstel Sekunden, ermöglichen. Weinberger und Kollegen liefern dazu die nötigen theoretischen Erkenntnisse über Materialien und die quantenmechanischen Berechnungen. Nicht umsonst deutet Weinberger auf den „Großvater“ und den „Vater“ seines Forschungsgebiets, die beiden Nobelpreisträger Albert Einstein und Walter Kohn (seinen persönlichen Freund), von denen Fotos in seinem Zimmer hängen.

Von Robert Buchacher