Concordia: Der älteste Presseclub der Welt

Concordia: Der älteste Presseclub der Welt - Ein unordentliches Glossar zum Jubiläum

150-jähriges Bestehen: Glossar zum Jubiläum

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Von Sebastian Hofer

1848
Mit ihren politischen Zielen mag die bürgerliche Revolution von 1848 in Österreich weitgehend gescheitert sein, ihre medialen Auswirkungen sind kaum zu überschätzen: Am 14. März 1848 wurde die Zensur (vorübergehend) aufgelassen, was unzählige Zeitungsgründungen zur Folge hatte. Allein im Revolutionsjahr wurden 217 Tageszeitungen und Zeitschriften gegründet, von denen zwar nur wenige ihre ersten Ausgaben überlebten, die aber doch einen erheblichen Einfluss auf die Bevölkerung ausübten: „Die öffentliche Meinung war jene der Zeitungen, das Publikum sprach nach, was es gelesen“, schrieb der spätere Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, Friedrich Uhl. Wenig Wunder, dass sich die Gründungsmannschaft des Journalisten- und Schriftstellervereins Concordia 1959 überwiegend aus Alt-48ern rekrutierte.

„Master“ und „Nigger“
Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten Journalisten in der Habsburger-Monarchie unter äußerst prekären Bedingungen. Laut Rudolf Valdek, Gründungsmitglied der Concordia, sei es „in den fünfziger Jahren unter den Journalisten üblich gewesen, ihr Verhältnis zu dem Hauptredakteur mit den aus ‚Onkel Toms Hütte‘ entlehnten Namen ‚Master‘ und ‚Nigger‘ zu bezeichnen“. So wurde die Concordia denn auch in erster Linie als Wohltätigkeitsverein für kranke oder verarmte Journalisten gegründet. Später schuf die Concordia auch einen eigenen Pensionsfonds (1872), eine Alters- und Invalidenkasse (1898), eine Krankenkasse mit eigenen Heilanstalten (1902) sowie eine Witwenkasse (1917).

Nestroy
Am 23. Jänner 1859 veranstalteten einige Wiener Journalisten im Haus des berühmten Dichters und Theaterdirektors ­Johann Nepomuk Nestroy einen Benefizabend für einen notleidenden Kollegen. Der Erfolg der Benefizgala bewog die Veranstalter, die Gründung eines Wohltätigkeitsvereins für Journalisten zu beantragen. Die Wiener Polizeidirektion antwortete in einem Schreiben vom 7. Juni 1859: „Wenn schon gegenwärtig die Einzelstimmen der Journalisten einen leider schon zu viel dominierenden Einfluss auf die Menge ausüben und sich unberufen die Vertreterschaft der öffentlichen Meinung vindiciren, zu welchen Mißbräuchen und Ausschreitungen dürfte sich in nicht langer Zeit das Tagesschriftsteller­thum verleiten lassen, wenn es als berechtigtes geschlossenes Ganzes sich fühlt.“ Zu Deutsch: Antrag abgelehnt. Nach einer geringfügigen Änderung der Vereinsstatuten wurde die Gründung der Concordia am 23. August schließlich doch gestattet. Unter den 47 Gründungsmitgliedern war auch ein gewisser Herr Nestroy.

„Lied von der Glocke“
Im Jahr 1859 stand Wien ganz unter dem Eindruck von Friedrich Schillers 100. Geburtstag. Am 7. November widmete die soeben gegründete Concordia dem großen Freiheitsdichter ihre erste öffentliche Veranstaltung im Theater an der Wien – das Datum gilt seither als offizieller Geburtstag des Vereins. Auch dessen Name bezieht sich auf Schiller, genauer: auf sein „Lied von der Glocke“: „Herein! Herein! / Gesellen alle, schließt die Reihen, / Dass wir die Glocke taufend weihen! / Concordia soll ihr Name sein.“ Am Tag nach ihrer eigenen Schiller-Feier zog die Concordia bei einem Festzug zu Ehren des Dichters mit. Die „Presse“ schrieb: „Bei dem gestrigen Fackelzuge wurde dem Journalisten-Verein ‚Concordia‘ das Banner mit der Glocke und der Inschrift ‚Concordia soll ihr Name sein‘ vorangetragen. Dem Volke gab dies Anlass, die dem Banner folgenden Journalisten für Glockengießer zu halten.“ Wenig später wurde die Glocke im Vereinslogo durch eine goldene Feder ersetzt.

Alles Walzer
Ursprünglich hatte die Concordia in ihren Statuten neben wohltätigen Aufgaben auch die „Vermittlung geselligen Verkehrs“ vorgesehen; dies hatten die Behörden 1859 allerdings untersagt. Dennoch war der Verein bald Zentrum des „geselligen Verkehrs“ Wiener Schriftsteller und Journalisten, veranstaltete Konzerte, Vorträge, Bankette sowie, ab 1863, den Concordia-Ball in den Sophiensälen. Schon 1865 kürte die „Morgenpost“ den Presseball zur „Krone der Elitebälle“. Heinrich Pollak, Mitbegründer des „Neuen Wiener Tagblatt“, schrieb in seinen Memoiren: „Hier versammelte sich in der That die Elite der Wiener Gesellschaft, hier gaben sich ein Rendezvous: die Minister, die Vertreter der fremden Mächte, die Spitzen der Civil- und Militärbehörden, die Männer der Wissenschaft, die Vertreter der Kunst auf allen Gebieten (…) kurz Alles, was nur einen Namen hatte, erschien alljährlich bei dieser Veranstaltung der Concordia.“ Bedeutende Komponisten (darunter Puccini, Lehár, Strauß) widmeten dem Ball eigene Kompositionen, Johann Strauß Sohn schrieb für die Concordia unter anderem „Morgenblätter“-, „Leitartikel“-, „Illustrationen“-, „Feuilleton“- und „Flugschriften“-Walzer.

Prominenz
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Concordia eine der bedeutendsten (und einflussreichsten) Kulturinstitutionen des Landes. Zu ihren Mitgliedern zählten (unter vielen anderen, in alphabetischer Reihen­folge): Ludwig Anzengruber, Hermann Bahr, Karl Farkas, Karl-Emil Franzos, Franz ­Grillparzer, Theodor Herzl, Alexander Lernet-Holenia, Fritz Molden, Johann Nestroy, Arthur Schnitzler, Hilde Spiel, ­Johann Strauß, Friedrich Torberg, Anton Wildgans und Berta Zuckerkandl.

Freimaurer
In ihrer Kronprinz-Rudolf-Monografie zitiert ­Brigitte Hamann eine historische Einschätzung der Concordia: „Der Verein galt in den achtziger Jahren als liberal, ‚verjudet‘ und wurde in einem zeitgenössischen Agentenbericht geschildert ‚als so von Freimaurern durchtränkt, dass man ihn als faktische Logen-Affiliation ansehen kann‘.“ Tatsächlich befanden sich unter den Mitgliedern mehrheitlich liberale Intellektuelle, viele davon jüdischen Glaubens. Dass die Concordia aber von Freimaurern dominiert wurde, ist ein Gerücht, das wohl auf eine Verwechslung mit der gleichnamigen Freimaurerloge zurückgeht. Der Historiker Peter Eppel geht in seiner Vereinsgeschichte „Concordia soll ihr Name sein“ davon aus, dass „der Anteil der Freimaurer unter den Mitgliedern der ‚Concordia‘ zu keiner Zeit drei bis fünf Prozent überschritten haben“ dürfte.

Joseph Pulitzer
Schon wenige Jahre nach ihrer Gründung genoss die Concordia auch international großes Ansehen. Als der US-Zeitungszar Joseph Pulitzer anno 1903 fast 2,5 Millionen Dollar für die Errichtung einer Journalisten-Hochschule stiftete, ersuchte er den Wiener Journalistenverein um ein Gutachten, wie jene zu organisieren sei. Das Ergebnis, laut dem Rechenschaftsbericht Concordia von 1903: „Während die Verwaltung noch all diese und andere Ideen erwog und sich anschickte, in eine gründliche Begutachtung einzutreten, erschienen bereits Zeitungsberichte, denen zu entnehmen war, dass die Frage, wie die geplante Hochschule einzurichten wäre, jenseits des Ozeans mit amerikanischer Raschheit erledigt worden sei.“

Karl Kraus
Kraus war selbst nie Mitglied der Concordia, widmete ihr im Lauf der Jahre aber doch mehrere hundert Seiten in seiner „Fackel“ – durchgehend negativen Inhalts. Über den Verein schrieb Kraus: „Den Ton geben die vaterländischen Insolvenzensammler und die Veranstalter von Blumencorsos an“, über seine Räumlichkeiten: „Ein mäßig großes Zimmer, an den Wänden (geschenkte) Bilder, in der Mitte ein langer grüner Tisch mit Freiexemplaren aller Blätter, welche Freiexemplare senden. Eines der gelesensten Wiener Tagesblätter fehlt: es sendet kein Freiexemplar. Dafür einige Nummern der Brauereizeitung „Gambrinus“ (sendet Freiexemplare). (…) An den Wänden außerdem – hinter versperrten Gittern – geschenkte Bücher. Was? Was die Buchhändler eben schenken: Assyrische Inschriften, Wilhelm Busch, Marcel Prévosts Werke.“

Frauen
Im Jahr 1899 stellte der Dramatiker Ottokar Tann-Bergler den ersten Antrag auf Aufnahme von Frauen in die Concordia. Der Vorschlag wurde lebhaft diskutiert und abgelehnt. Am 12. September 1900 wurde Marie von Ebner-Eschenbach immerhin als Ehrenmitglied aufgenommen und zeigte sich „inniger erfreut, als ich Ihnen auszusprechen vermag“. Erst 1919 waren Frauen in der Concordia satzungsgemäß gleichberechtigt; de facto dauerte es noch bis zum Ende des Jahrhunderts, bis Frauen auch in den Vorstand kamen. Noch in Peter Eppels Festschrift zum 125-Jahre-Jubiläum 1984 trat einzig eine gewisse Fritzi Köfmüller in Erscheinung, „die hinter der Bar sowie beim täglichen Auflegen von etwa 50 verschiedenen Zeitungen des In- und Auslands, wie Präsident Skalnik 1975 formulierte, ‚seit nunmehr zwanzig Jahren in unseren Diensten steht und sich ihrer stillen und unaufdringlichen Zuvorkommenheit wegen allgemeiner Beliebtheit erfreut‘.“

„Kronen Zeitung“
Im Sommer 1926 wurde Leopold Lipschütz, Mitbegründer der „Illustrierten Kronen-Zeitung“, zum Präsidenten der Concordia gewählt – was die Verfechter des Qualitätsjournalismus nicht wenig irritierte. Tatsächlich hatte Lipschütz durchaus bodenständige Ansichten zum Thema. Sein später Nachfolger Hans Dichand schrieb in seiner Geschichte der „Kronen Zeitung“: „Als Lipschütz einmal in einer Redaktionskonferenz aufgefordert wurde, das Niveau des Blattes zu heben, meinte er schlicht: Ich sag euch was, meine Herren: San ma g’scheidt, bleib ma blöd!“ Als Präsident führte Lipschütz die Concordia durch die schwierigen Zwischenkriegsjahre, floh nach dem „Anschluss“ 1938 nach Frankreich, wo er im Jänner 1939 gemeinsam mit seiner Frau Selbstmord beging. Die Nazis zählten unter den Mitgliedern der Concordia „77 Arier und 243 Juden“, stellten den Verein unter NS-Führung und beschlagnahmten sein Vermögen von gezählten 429.434,21 Reichsmark.

Presseclub
Schon am 17. Juni 1946 wurde die Concordia neu gegründet, einen ersten Teil ihres von den Nazis geraubten Vermögens erhielt sie aber erst im August 1957 zurück. An seine frühere Bedeutung kam der Verein zu dem Zeitpunkt nicht mehr heran, viele seiner angestammten Aufgaben waren auf andere, neu geschaffene Organisationen übergegangen, darunter etwa der Verband österreichischer Zeitungen VÖZ, der P.E.N.-Club, die Journalistengewerkschaft oder der im Dezember 1945 gegründete „Österreichische Presseclub“, der als Arbeits- und Diskussionszentrum für in- und ausländische Journalisten diente und politische Pressekonferenzen veranstaltete – aber in tiefen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Die Fusionierung mit der – ökonomisch sanierten, aber gesellschaftlich weniger bedeutenden – Concordia lag nahe und wurde am 17. November 1958 feierlich besiegelt.