„Ich wäre froh, wenn wir den Status Quo halten könnten“

Filmfestival. Christine Dollhofer, Leiterin von Crossing Europe, über die Gefahr von Langeweile nach zehn Jahren Festival

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Interview: Stephan Wabl

profil: Crossing Europe, Ars Electronica, Lentos Kunstmuseum, Kreativquartier Tabakfabrik und nun das neue Musiktheater: Ist Linz mit einem derart üppigen Kunstangebot nicht überfordert?
Dollhofer: Das wird sich in nächster Zeit weisen; allerdings sind das sehr unterschiedliche Häuser und Angebote. Crossing Europe ist eher in der Off-Szene verankert und hat als Nischenprojekt seinen Platz in der Stadt gefunden. Das kann man nicht mit den etablierten Häusern vergleichen. Das Festival ist auf eine Woche begrenzt, und wir sprechen vor allem ein junges Publikum an, die steigenden Besucherzahlen innerhalb der letzten zehn Jahre geben uns Recht. Es gibt aber auch Kooperationen mit anderen Kunsteinrichtungen der Stadt, zum Beispiel mit dem ÖO Kulturquartier, dem Lentos Museum oder der Kapu.

profil: Der Kuchen wird aber nicht größer, finanziell steht man doch auch in Konkurrenz zueinander.
Dollhofer: Das stimmt natürlich, aber bisher hat das Mit- und Nebeneinander gut funktioniert. Wir haben uns ein treues Publikum erarbeitet, die Linzer wissen, was sie von Crossing Europe erwarten können: außergewöhnliche Filme und interessante Projekte. Die Frage ist jedoch berechtigt - Linz ist keine Metropole. Ich sehe das steigende Angebot aber positiv.

profil: Österreich hat mit der Diagonale und der Viennale zwei große Filmfestivals. Nach zehn Jahren Crossing Europe darf man die Frage stellen: Verträgt das Land ein drittes großes Festival?
Dollhofer: Auf jeden Fall. Vor allem deshalb, weil sich diese drei Festivals sehr gut ergänzen. Die Diagonale zeigt den heimischen Film, die Viennale präsentiert Weltkino und wir spielen Filme von jungen europäischen Filmemachern und -macherinnen. Ich sehe überhaupt keinen Grund, mich mit der Frage nach einer Existenzberechtigung herumschlagen zu müssen. Von den rund 160 Filmen, die wir heuer zeigen, laufen nur zwei regulär in den Kinos. Jährlich werden 1300 Filme innerhalb der Europäischen Union produziert, nur ein Bruchteil findet allerdings den Weg in die Kinoprogramme. Festivals werden daher immer wichtiger, um diese Filme und Geschichten einem Publikum zugänglich zu machen – und in Österreich hat sich diesen Platz Crossing Europe erarbeitet. Es fragt sich hierzulande ja auch niemand, ob es die ganzen Musik- und Theaterfestivals braucht. Im Vergleich dazu, ist die Anzahl der heimischen Filmfestivals bescheiden.

profil: Sie meinten vor ein paar Jahren, dass Crossing Europe ohne die Bewerbung der Stadt Linz zur europäischen Kulturhauptstadt nicht das Licht der Welt erblickt hätte. Linz09 ist mittlerweile Geschichte, die Restmittel sind aufgebraucht. Befürchten Sie, das Licht könnte nun in absehbarer Zeit ausgehen?
Dollhofer: Linz09 hat dem Festival ohne Zweifel einen starken Schub gegeben und uns ermöglicht, Crossing Europe in der Stadt und der Filmbranche zu etablieren. Derzeit ist es so, dass alle Entscheidungsträger – Stadt, Land, Bund – wollen, dass das Festival als wichtiger Bestandteil von Linz aufrechterhalten bleibt. Der Aufwand steigt allerdings und damit auch die Kosten. Im Herbst war die finanzielle Situation schwierig, letztlich ist das Budget für heuer aber solide ausgefallen. Das ist oft ein Auf und Ab. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass wir das aktuelle Niveau und die Qualität des Festivals auch in Zukunft halten können.

profil: Das Festival ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich gewachsen, das Konzept hingegen gleichgeblieben. Läuft man nach einem Jahrzehnt Wachstum nicht Gefahr, sich zu wiederholen und langweilig zu werden?
Dollhofer: Diese Gefahr sehe ich nicht. Denn wir sind nicht nur gewachsen, sondern haben uns auch konstant weiterentwickelt. Das Grundkonzept – erste Werke junger europäischer Filmemacher zu zeigen – ist zwar unverändert, nebenbei sind aber ständig neue Schienen und Programme hinzugekommen, zum Beispiel die „Nachtsicht", Konzerte, Open-Airs oder Kooperationen. Außerdem präsentieren wir jährlich einen neuen Schwerpunkt. Es geht uns auch darum, Jahr für Jahr ein neues Publikum für den europäischen Film zu begeistern und kaum bekannte Filme zu vermitteln. Das wird nie langweilig und ist ein ständiger Prozess. Das Filmfestival in Cannes gibt es mittlerweile seit über 60 Jahren, da fragt auch niemand, ob das nicht langsam etwas langweilig geworden ist.

profil: Das Festival rückt mit der Local-Artists-Schiene Filmemacher aus Oberösterreich in das Rampenlicht, außerdem hat Linz mit der Kunstuniversität mittlerweile eine sehr gute audiovisuelle Ausbildungsstätte. Trotzdem gibt es kaum Spiel- oder Dokumentarfilme aus Linz bzw. Oberösterreich, die es über die Grenzen des Bundeslandes schaffen. Woran liegt das?
Dollhofer: Das stimmt nicht ganz. Der Dokumentarfilm „Es muss was geben“ über die Linzer Underground-Musikszene der 1970er-Jahre hat österreichweit ein Publikum gefunden. Oder die Dokumentation „Innere Blutungen“, einer der diesjährigen Eröffnungsfilme, über den Alltag im Salzkammergut in den 1960er und 1970er Jahren, wird sicherlich auch außerhalb Oberösterreichs zu sehen sein. Aber die Stärke von Linz liegt eher in avantgardistischen Crossover-Projekten und technischen Disziplinen wie Animationsfilm und Video-Installationen. Reine Filmemacher gibt es in Linz selten, das Filmschaffen ist häufig in einem künstlerischen Kontext eingebunden und nur ein Teil der Arbeit. Das ist einfach nachvollziehbar: Es gibt in Linz keine großen Budgets oder Produktionsfirmen. Die Ressourcen sind andere als in Wien, das beeinflusst auch die Ergebnisse.

profil: Die diesjährige Ausgabe widmet sich stark den Themen prekäre Arbeitsverhältnisse sowie steigende Unsicherheit in ökonomisch angespannten Zeiten. Innerhalb der EU gibt es diesbezüglich auf politischer Ebene beinahe so etwas wie eine Bipolarität: der reiche Norden auf der einen, der verschuldete Süden auf der anderen Seite. Spiegeln sich diese Blöcke in der Arbeit der europäischen Filmemacher wider?
Dollhofer: Diese Themen sind in allen europäischen Ländern gleich relevant. Was sich allerdings leicht unterscheidet, ist die Intensität der Erzählung. Die beiden griechischen Wettbewerbsfilme „Boy Eating the Bird’s Food“ und „A.C.A.B: All Cats Are Brilliant“ zum Beispiel behandeln die Frage nach Souveränität über das eigene Leben und Perspektiven sehr offensiv. Ein Film wie der britische Beitrag „The Comedian“ handelt ebenso von Unsicherheit, rückt dabei jedoch statt Existenzsicherung die Chance auf Selbstverwirklichung in den Vordergrund. Zentraler sind hingegen die Unterschiede in den Produktionsbedingungen. Denn in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Portugal ist die Budgetsituation im Kulturbereich derzeit dramatisch und die Filmschaffenden leiden darunter stark - Zustände, die sich in Zukunft wohl vermehrt auf die Arbeitsbedingungen und damit auf die Filme auswirken werden.

profil: 2011 haben sie sich zusätzliche Spielstätten gewünscht. Was wünschen Sie sich heuer?
Dollhofer: Der erste Wunsch ist mit dem Ursulinensaal zum Glück in Erfüllung gegangen. Heuer wäre ich froh, wenn wir in Zukunft den Status Quo halten könnten. Das heißt allerdings nicht Stagnation! Die Erwartungshaltung des Publikums ist von Jahr zu Jahr gewachsen – und dieser wollen wir auch in den nächsten Jahren gerecht werden.

Zur Person
Christine Dollhofer, 1963 in Wels geboren, war von 1997 bis 2003 Intendantin und Geschäftsführerin der Diagonale, leitet seither das Crossing Europe Filmfestival in Linz. Zudem ist die studierte Film- und Theaterwissenschaftlerin Programmdelegierte für Österreich, Schweiz und Deutschland für das Internationale Filmfestival San Sebastián (Spanien).

Crossing Europe
Das Filmfestival zeigt zum zehnjährigen Jubiläum von 23. bis 28. April 162 europäische Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme, darunter 31 Uraufführungen und 98 Österreich-Premieren. Ein Tribute ist heuer dem Polen Przemyslaw Wojcieszek gewidmet.

www.crossingeurope.at